Aus diesem Thema kann ganz schnell ein "Faß ohne Boden" werden.
Wie körperliche Eigenschaften und Merkmale formt die Umwelt auch das Verhalten, das aufgrund des Genoms den Individuen in unterschiedlicher Weise möglich ist. Das Genom unterliegt der Evolution, wobei die Gene ihre eigene Selbstvermehrung fördern. Soweit und sehr stark zusammengefasst der biologische Hintergrund, wie ich ihn verstehe.
Das heißt nun aber leider, dass niemand eine seriöse Tabelle mit dem Titel "Fluchtdistanzen verschiedener Tierarten" aufstellen kann, denn so hoch entwickelte Tierarten wie Vögel und Säugetiere sind sehr lernfähig und an einem Ort gibt es schon andere, möglicherweise auch bedeutsame Umweltfaktoren als wenige km oder sogar nur m weiter. Folglich ändert das Tier auch seine Fluchtdistanz je nach den Umweltbedingungen, seinen individuellen (oft altersabhängigen) Erfahrungen und je nach seiner Genausstattung. Das ist ein so komplexes Faktorengefüge, dass starre Regeln kaum möglich sind. Wildgänse z.B. sind bekanntlich sehr wachsam, aber in manchen Großschutzgebieten kommt man recht nahe an sie heran, wenn sie merken, dass sie nicht gejagt oder verscheucht werden. Kraniche sind inzwischen in einigen Gegenden Ostdeutschlands fast schon Kulturfolger geworden und brüten (vielleicht nur als Folge des Populationsdrucks, den die Schutzmaßnahmen ermöglicht haben) an Stellen, die man früher für unmöglich gehalten hätte, häufig genug aber auch vergeblich.
In Südamerika habe ich im Pantanal ganz geringe Fluchtdistanzen erlebt, und Naturfotografen wissen das genau so zu nutzen wie die Beobachter. Ich kann daraus nur schließen, dass die Tiere dort kaum oder gar nicht verfolgt werden. Vergleichen Sie das einmal mit den Schießereien auf Malta und andernorts!
Man konnte sich z.B. einem direkt am Pfad fast in Gesichtshöhe brütenden (zufällig gefundenen) Kolibri bis auf mindestens 1m nähern, er brütete weiter. Ähnliches ist ja von Regenpfeifern in Skandinavien bekannt. Dennoch heißt das überhaupt nicht, dass das Tier nicht gestört wird, bloß weil es auf seinen Eiern sitzen bleibt. Denn das Brüten ist natürlich eine lebenswichtige Verhaltensweise, die zudem genmaximierend nur an einen Ort, nämlich am eigenen Nest wirkt. Man hätte theoretisch sicher beim brütenden Tier eine stark zunehmende Herzschlagfrequenz messen können. Und deshalb ist man auch in diesen Fällen gut beraten, auf Distanz zu bleiben oder sich zumindest bald zu entfernen.
Geringere Distanzen kann man natürlich schaffen, wenn man sich selbst versteckt. Die Beunruhigung ist aber umso größer, wenn man dann doch entdeckt wird. Ein gewisses Versteck ist auch das Auto.
In Europa, Kleinasien und Nordafrika werden viele Tiere aber so beunruhigt, dass sehr oft der Einsatz eines Spektivs ein unverzichtbares Mittel ist, die Tiere möglichst wenig zu beeinträchtigen (womit dann der Bogen zur Optik wieder geschafft wäre) und auch in anderen Gegenden kann es nur nützen.
MP
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.12.07 16:47.