Die meisten Vogelfreunde sind nicht nur Vogel-, sondern auch Naturfreunde. Und wer sich mit der Natur näher befaßt (wie man es bei den meisten Naturfreunden annehmen darf), der weiß auch um das Natürliche des Fressens und Gefressen-Werdens. Wenn ein Eichhörnchen ein Vogelnest plündert, dann aber selbst von einem Bussard als Mahlzeit verspeist wird, ist das im ersten Falle für die Jungvögel und im zweiten für das Eichhörnchen nicht lustig. In jedem Falle tut uns das gefressene Tier leid, obwohl wir wissen, daß der jeweilige gefräßige Räuber auch nur zum Erhalt seines eigenen Lebens sein Opfer frißt und nicht aus purer Lust am Töten oder an einer Bereicherung (wie es bei Menschen vorkommt, auch kollektiv in Kriegen). Aber so ist die Natur, und ein echter Naturfreund muß das akzeptieren. Schließlich sollte jeder, der kein strenger Vegatarier ist, auch daran denken, daß der Mensch es nicht anders macht, ja sogar noch etwas weitergeht und Tiere speziell für seinen Nahrungsbedarf züchtet, mästet und dann schlachtet (z.B. eine Weihnachtsgans).
Andererseits ist es aber auch verständlich, daß jemand Mitleid empfindet, der z.B. in einem Naturfilm über afrikanische Tierreservate zusehen muß, wie an einem Wasserloch ein „grausames“ Krokodil einer „niedlichen“ jungen Antilope ins Bein beißt und dann die Antilope ins Wasser zieht, sie so ertränkt und sie dann frißt, während er selbst (= der Mensch) ohne jedes Mitgefühl eine Stechmücke, die ihn in den Handrücken sticht, mit der anderen Hand durch Draufhauen den Garaus macht. Manche Tiere erregen eben mehr Mitgefühl an andere, sei es daß sie so niedlich aussehen, sei es, daß sie besonders nützlich sind, sei es, daß sie z.B. als Säugetiere höher entwickelt sind als ein Insekt.
Ein Katzenfreund wird sich damit abfinden, daß seine Katze ab und zu einen Vogel fängt und frißt, wenngleich es ihm sicher lieber wäre, die Katze finge nur Mäuse. Aber ist die Maus weniger wert als der Vogel? Da beginnt die Sache kompliziert zu werden. Die Maus ist nur in unseren Augen (also aus der Sicht des Menschen) ein Schädling, der Vogel meistens nicht (sofern der Mensch keinen Garten mit Kirschbäumen oder keinen Acker mit frischer Saat hat).
Bedenken Sie bitte auch, daß verantwortungsbewußte Vogel- und andere Naturfreunde dann, wenn es um den Erhalt bedrohter oder zumindest in ihrem Lebensraum bereits sehr stark eingeschränkte Tier- und speziell Vogelarten wie z.B. die von Ihnen genannte Eule geht, solche Tiere in höherem Maße zu schützen versuchen als andere, deren Bestand nicht bedroht ist wie z.B. die von Ihnen genannten Mäuse zum Füttern der bedrohten Eulen. Das sollte doch zumindest nach einigem Nachdenken einleuchten.
Ich denke, daß die meisten Vogelfreunde, die hier im Forum mitmachen, sehr wohl akzeptieren, daß ab und zu ein Vogel von einer Katze gefressen wird. Schließlich akzeptiert er ja auch, daß manche Vögel Mäuse, Frösche, Fische und sogar auch wieder Vögel fressen. Insofern sehe ich Ihren Vorwurf nicht gerechtfertigt, zumal ich auch keinerlei Anlaß dafür sehe, daß Sie aus heiterem Himmel so einen Vorwurf in die Menge werfen.
Walter E. Schön