Lieber Hans,
es gibt ein paar einfache Regeln, die ueber die Toleranz eines optischen Designs gegen Dezentrieren/Verkippen/Verschieben entscheiden.
So sollte man vor allem starke Kruemmungen (heisst: kleine Kruemmungsradien) der Linsen vermeiden. Je staerker die Kruemmung, desto groesser die Aberrationen, auch diejenigen hoeherer Ordnung, die man irgendwann nicht mehr durch eine zusaetzliche Linse wegbuegeln kann. Swaro's "Absam Ring" ist vermutlich eine Bildfeldkruemmung hoeherer Ordnung, die an deren extrem verbogenen Bildebnungslinsen entsteht.
Langsame Oeffnungsverhaeltnisse, also relativ lange Brennweiten, sind daher immer guenstiger als kompakte, kurzbrennweitige Konstruktionen. Doch auch langbrennweitige Objektive koennen aus mehreren Linsen bestehen, von denen jede einzelne starke Kruemmungen hat und die daher nicht justierstabil sind. Nun moechte man auch die chromatische Aberration herunterfahren, nimmt also "ED" Glaeser. ED ist extra-low-dispersion, aber solche Glaeser haben nicht nur geringe Dispersion, sondern auch eine geringe Brechkraft. Ergo muss man, um auf eine bestimmte Brennweite zu kommen, wieder die Kruemmungsradien reduzieren. Man korrigiert die Farbsaeume, und faengt sich dabei einen Rattenschwanz an weiteren Aberrationen ein. Also braucht man weitere Linsen, um das auszugleichen, hat damit neue potenzielle Fehlerquellen, zudem Kontrastverluste, die nur durch sehr aufwendige Verguetungen wieder kompensiert werden koennen. Nebenbei haben die Fluoridglaeser hohe Waerme-Ausdehnungskoeffizienten, was gerade bei den groesseren Linsendurchmessern (etwa bei den 56er Fernglaesern) nicht mehr ohne Relevanz ist.
So geraten die Hersteller in diese Kostenspirale, in der kleinste Verbesserungen einen enormen Extraaufwand erfordern, damit sie nicht an anderer Stelle Probleme erzeugen. Bei der Fokussierung jedenfalls scheinen die meisten inzwischen ueberfordert, wenn das Marketing einen Nahfokus von 1.5m fordert, dazu einen leichtgaengigen und schnell uebersetzten Mitteltrieb.
Wenn mehr Kaeufer wuessten, wie solche Systeme funktionieren, und ihre Kaufentscheidungen danach ausrichten wuerden,
dann koennten sie sehr gute, sehr zuverlaessige und wertbestaendige Optiken fuer 1500 Euro haben. Dazu gehoert, sich endlich von den Papierkriegen, die ueber die Spezifikationslisten ausgetragen werden, zu emanzipieren, und nach Verstand zu entscheiden. Konkret hiesse das:
1) Nicht der kuerzeste Nahpunkt gewinnt. 3m sind OK, darunter werden die Optiken anfaelliger und sehr teuer. Wer Insekten beobachten will, sollte sich fuer ein Spezialglas entscheiden.
2) Nicht der schnellste Mitteltrieb gewinnt. Es gibt mittlere Geschwindigkeiten, die dann auch eine genauere Einstellung erlauben, bei laengeren Lebenszeiten der Mechanik.
3) Nicht das geringste Gewicht gewinnt. Auch mit modernen Materialien kann man nicht ewig an der Robustheit feilen.
4) Nicht das kompakteste Design gewinnt. Laengere Brennweite bedeutet meist besser korrigierte Optik mit weniger Linsen.
5) Nicht die groesste Tauchtiefe gewinnt. Ein Fernglas muss nicht auf 5m Wassertiefe druckwasserdicht sein, das sind Spezifikationen, die beeindrucken sollen und bei deren Umsetzung den Preis treiben.
6) Nicht die aufwendigste Konstruktion gewinnt. Wer damit prahlt, Objektive aus vier Linsen und Okulare aus sieben Linsen zu verwenden, der verraet nur, dass er seine Aberrationen nicht in den Griff bekommen hat.
Solch einfachen Regeln folgend, koennten die Hersteller sehr gute und zuverlaessige Fernglaeser fuer ihre zweiten Reihen bauen, mit nahezu perfekter Optik und perfekter Mechanik, und mit Preisen unter 1500 Euro. Leider sind solche Fernglaeser, die die Punkte 1-6 nicht beherzigen, leichter zu vermarkten, und da waeren wir wieder am Anfang.
Viele Gruesse,
Holger