Nun habe ich mir die Diskussion in Astronomie.de unter dem Titel „90°-Bino aus deutscher Produktion” angesehen; Christian Losch hat dort in seinem Beitrag vom 14.11.um 22:06 Uhr erstmals von einer „Relay-Optik” („Relais-optics” wäre ein ähnlich häßlicher deutsch-englischer Zwitter gewesen) geschrieben und dann nochmals in seinem Beitrag vom 15.11. um 22:30 Uhr, in dem auch seine Strahlengangskizze zu finden ist:
Zitat: „Das BT-125 bedient sich zweier Tricks, die allerdings legitim sind im Fernglasbau. Einerseits wird ein Relay-System aus einer Negativ- und einer Positivlinse verbaut (man könnte das auch als telezentrisches System bezeichnen). Durch die Negativlinse kann man den Strahlengang nach dem ersten Prisma quasi parallel machen und durch die doch recht kleinen Prismen - welche den Abstand bis zu den Augen überbrücken - quetschen. Anschliessend macht man den Strahlengang kurz vor dem Okular durch eine Positivlinse wieder konvergent.”
Das ist leider gleich dreifach sachlich falsch.
1. Bei einem solchen System aus Negativ- und Positiv-Linse oder -Linsengruppe handelt es sich nicht um ein Relaissystem. Ebensowenig wäre ein Bildfeldebenungs- oder eine Feldlinse ein Relaissystem. Ein Relaissystem wäre ein solches optisches System, das ein reelles Bild des Objektivs erneut als (um 180° gedrehtes) reelles Bild abbildet, z.B. so wie die mittlere Linse in Johannes Keplers terrestrischem Fernrohr. Das tun aber die von Chr. Losch beschriebenen Linsen nicht.
2. Auch das mit dem parallelen Strahlengang ist in der Formulierung von Chr. Losch nicht korrekt. Man kann zwar so aus dem ursprünglich konvergenten Strahlenkegel jedes beliebigen Bildpunktes auf solche Weise ein paralleles oder nahezu paralleles Strahlenbündel machen, aber das ist keineswegs ein telezentrisches System – im Gegenteil: obwohl die zu einem (beliebigen) Bildpunkt gehörenden Strahlen „parallelisiert” werden, divergieren die Hauptstrahlen für die Gesamtheit aller Bildpunkte stärker als zuvor (weil die Negativlinse wie eine Barlowlinse das Bild vergrößert, die Bildpunkte am Rand also weiter von der optischen Achse weg rücken als ohne diese Linse), und somit hat man geradezu das Gegenteil dessen, was ein telezentrisches System macht! Dieses ist nämlich nicht durch parallelen Strahlengang für die Strahlen je EINES Bildpunktes, sondern durch Parallelität der Hauptstrahlen ALLER Bildpunkte gekennzeichnet. Und das ließe sich zwar hinter der Positivlinse, nicht aber zwischen Negativ- und Positivlinse, also beim Durchtritt durch das Glas des Rhombusprismas erreichen.
3. Schließlich ist an Chr. Loschs Text auch noch falsch, daß es mit dieser Maßnahme möglich sei, „den Strahlengang … durch die doch recht kleinen Prismen … (zu) quetschen”. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Weil die Negativlinse das Hauptstrahlenbüschel sogar aufweitet (siehe oben), wird dadurch das nutzbare Bildfeld sogar deutlich eingeengt. Man darf eben nicht nur die Strahlen eines Bildpunktes auf der opt. Achse betrachten, sonden auch die von Bildpunkten im Randbereich des Gesichtsfeldes. Diese Stolperfalle hat Chr. Losch übersehen und darum mit dem oben zitierten Text ziemlichen Unsinn geschrieben.
Man sollte also nicht alles für bare Münze halten, was so in Internetforen behauptet wird, auch denn der Autor manchmal aufgrund der Vielzahl seiner Beiträge, einer eigenen Homepage und interessanter Erfahrungsberichte (die man bei Chr. Losch zahlreich finden kann) den Ruf genießt, etwas von der Sache zu verstehen. Ein guter Praktiker ist längst nicht immer auch ein kompetenter Theoretiker – und umgekehrt natürlich auch.
Fazit: Das vorliegende Astro-Bino von Vixen hat keine Relaisoptik, sondern nur eine Negativ- und Positivlinse, die dazu dient, vor allem die sphärische, aber auch die chromatische Aberration zu reduzieren, die bei stark konvergentem Strahlenkegel im langen Glasweg des Rhombusprismas zur Augenweitenanpassung entstünde.
Walter E. Schön