Der Duden ist ein sehr umfangreiches Werk, das wohl nahezu, aber eben auch nur nahezu den gesamten Wortschatz der Alltagssprache (!) und darüber hinaus viele gängige, aber keineswegs alle Wörter der vielen Fachsprachen enthält. Zu den im Duden fehlenden Wörtern gehört u.a. auch „wichten“.
Herr Werres schrieb (Zitat):
„Natürlich bilde ich mir ein, diese Daten auch zu verstehen und richtig wichten zu können.“ (Zitatende)
Das Wort „wichten“ ist hier völlig korrekt, könnte aber auch durch das sicher populärere „gewichten“ ersetzt werden. Letzteres verzeichnet der aktuelle Duden, nicht aber der von mir noch mehr geschätzte, weil an Information viel reichere ältere Wahrig (Wahrig - Deutsches Wörterbuch).
Für „gewichten“ gibt der aktuelle Duden folgende, leider unvollständige und daher nicht ganz korrekte Bedeutung „Schwerpunkte setzen“ und in der Statistik „einen Durchschnittswert unter Berücksichtigung der Häufigkeit vorhandener Einzelwerte bilden“ an.
Im Sinne von „Schwerpunkte setzen“ ist mir „gewichten“ noch nie begegnet, und ich habe in meinem Leben wahrlich viel gelesen und gehört. Wenn hier jemand aus der Duden-Redaktion mitlesen sollte, wäre meine Bitte an ihn oder sie, mir doch ein konkretes Beispiel eines Satzes zu zitieren, in dem „gewichten“ die Bedeutung „Schwerpunkte setzen“ hat. Ich möchte gern noch etwas dazulernen.
Auch die für die Statistik genannte Bedeutung „einen Durchschnittswert unter Berücksichtigung der Häufigkeit vorhandener Einzelwerte bilden“ kann ich nicht als ausreichend akzeptieren, sondern nur als einen speziellen Anwendungsfall betrachten. Richtig wäre gewesen, „gewichten“ als „jedem Element einer Menge von Parametern einen Faktor (z.B. in Form eines Prozentwertes) zuordnen, der bei der Durchschnittsbildung den Einfluß des jeweiligen Parameters relativ zu den anderen verändert“ zu erklären. Um das weniger abstrakt zu machen, ein Beispiel:
Wenn die Stiftung Warentest z.B. bei einem Fernglastest von Heft 9/2006 die Parameter
optische Eigenschaften
Haltbarkeit
Handhabung
Schadstoff-Freiheit
prüft und durch Vergabe von Punkten bewertet, bildet sie für das Gesamturteil nicht daraus den einfachen Durchschnittswert, sonder sie „gewichtet“ die vier Parameter unterschiedlich, nämlich
optische Eigenschaften mit 55%
Haltbarkeit mit 25%
Handhabung mit 15%
Schadstoff-Freiheit mit 5%
Man hätte hier auch sagen können, die Stiftung Warentest „wichtet“ die Parameter mit den angegebenen Prozentwerten.
Darüber hinaus (aber das hat mit dem Wort „wichten“ nichts mehr zu tun) kann es ungeachtet des so aus „gewichteten“ Parametern ermittelten Durchschnittswert zu Abwertungen aufgrund bestimmter K.o.-Kriterien kommen, z.B. bei gesundheitlich bedenklichen Schadstoffwerten.
Ich denke, daß jeder, der diesen Beitrag liest, erkennen wird, daß da im Duden bei der angegebenen Erklärung geschlampt wurde.
Die Schlamperei liegt nicht allein in der Beschränkung auf „Häufigkeit“ (besser wäre „Bedeutung“ oder „Wichtigkeit“ gewesen, die in manchen Fällen durchaus aus einer „Häufigkeit“ resultieren kann, aber sehr viel öfter nicht, wie mein Beispiel einer Gewichtung bei Warentests zeigt). Die Schlampigkeit liegt auch darin, daß der erklärende Satz völlig falsch konstruiert ist! Denn „gewichten“ ist nicht „einen Durchschnitt ... bilden“, sondern „(beim Bilden eines Durchschnitts) die unterschiedliche Wichtigkeit der einzelnen Parameter berücksichtigen“, oder wenn ich es mit der mangelhaften Duden-Formulierung sage, „... die Häufigkeit vorhandener Einzelwerte berücksichtigen“. Das ist ein himmelweiter Unterschied, der eigentlich einem Duden-Redakteur sofort auffallen müßte, wenn er auch nur einen Funken Sprachgefühl hat.
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Jetzt noch einige andere Bemerkungen zu obigen MC-Beitrag:
Zitat: „Das kein Keiner. Wie schon Voltaire (und vor ihm Montaigne) sagte.“
Wenn diese Zeile nicht MC, sondern ein anderer Forumsteilnehmer geschrieben hätte, hätte MC darauf möglicherweise folgende Antwort gegeben:
„Wie kann das ein Ausländer verstehen, bitte schreiben Sie deutsch! Was soll den ,Das kein Keiner‘ bedeuten? Und der folgende Satz ist gar kein Satz, sondern nur ein Nebensatz, dem der vorausgehende Hauptsatz fehlt.“
Mit dieser Kritik hätte MC dann sicher recht gehabt. Der fiktive Schreiber dieser von MC kritisierten Zeile hätte richtig schreiben müssen: „Das kann keiner, wie schon Voltaire (und vor ihm Montaigne) sagte“.
Nun könnte ich noch hinzufügen, daß Herr Werres den Satz „Ich kann nämlich beim Beobachten nicht sagen, was mir noch fehlt“ bestimmt nicht in diesem allgemeingültigen philosophischen Sinne gemeint hat wie Voltaire oder Montaigne, sondern so, wie man ihn in der Alltagssprache interpretiert. Und dann stimmt es eben nicht mehr, daß das keiner kann! Ich kann sehr wohl beim Beobachten (mit einem mangelhaften Fernglas) manches angeben, was mir fehlt, wenn ich schon genügend Erfahrung mit anderen Ferngläsern und einschlägige Fachkenntnis habe.
Zitat: „Sonst wären nicht Millionen TCM-User wunschlos glücklich.“
Obwohl ich kein Ausländer bin (zumindest nicht hier in Deutschland), wünschte ich mir hier ebenfalls mehr Klarheit. Was ist denn ein „TCM-User“? Das steht weder im Duden noch im Wahrig, auch nicht in Meyers Enzyklopädischem Lexikon. Ich kann zwar „User“ als unschönen Anglizismus für „Benutzer“ vermuten, aber bei „TCM“ fällt mir leider nichts ein. Vielleicht gebe ich mir damit eine Blöße, aber sei's drum: Was ist bitte ein „TCM-User“?
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Es fehlt noch die Antwort auf die im Postscriptum gestellte Frage, ob „Keiner“ und „Einem“ groß oder klein geschrieben werden müssen. Die Antwort lautet: Beide Wörter sind klein zu schreiben. Genauso wie „keiner“ würde auch das an dieser Stelle gleichbedeutende Wort „niemand“ klein geschrieben werden. Nur wenn es hieße: „Er war ein Niemand“ (einer, der nichts bedeutete, keinen Einfluß hat), wäre groß zu schreiben, weil durch den vorgesetzen unbestimmten Artikel „ein“ das Wort „niemand“ zum Hauptwort „Niemand“ wird. Anders wäre es bei einer Formulierung wie „sie ignorierte ihn, er war für sie niemand“.
Auch beim Zahlwort „eine(r)“ ist die Großschreibung (außer am Satzanfang) nur in den drei folgenden Fällen korrekt: 1. „Der Eine“ = Gott. 2. „Einer“ = ein einsitziges Sportboot. 3. „Einer“ = diejenige Ziffer einer Zahl, die unmittelbar vor dem (bei nicht vorhandenen Nachkommastellen nicht geschriebenen) Dezimalkomma steht (davor Zehner, vor diesem Hunderter usw.). Übrigens machte da der aktuelle Duden auch wieder einen bösen Fehler, denn er setzt „Einer“ gleich „Einser (Zahl)“. Man sollte sich, wie man sieht, nicht blindlings auf den Duden verlassen, zumindest seit den Schlechtschreibreformen der letzen Jahre.
Walter E. Schön