Leider stecke ich momentan in der stressigsten Endphase vor der Photokina und dürfte deshalb hier keine einzige Zeile schreiben. Darum kann ich heute nicht in gewohnter Ausführlichkeit antworten, sondern nur kurz skizzieren und muß die ausführliche Begründung auf die Zeit nach der Photokina verschieben, falls sie dann noch jemanden interessiert.
Ein großes Sehfeld ist grundsätzlich von Vorteil, und ich stimme dem Zitat
„dass hier die Objekte besser in ihrem Umfeld integriert sind und auf diese Weise leichter interpretiert werden koennen“
zu. Jeder kennt die Zeitschriftenrätsel, die irgendeinen kleinen Ausschnitt aus einem Gegenstand, z.B. einer Blume, zeigen und von dem man erraten soll, um was es sich handelt. Hier liegt dann zwar eine Fülle feinster Details vor (also keine mangelnde „Detailauflösung“), aber es fehlt der Zusammenhang. Unser Gehirn arbeitet nicht so, daß es Detail an Detail fügt und so ein größeres Ganzes zusammensetzt, sondern es erkennt zunächst grobe Strukturen (am Beispiel eines Menschen: es erkennt quasi zuerst ein „Strichmännchen“ als Schema), dann feinere Strukturen (im Beispiel etwa Hose und Sakko oder Rock und Bluse) und nach und nach immer feinere Details (z.B. daß der Mensch lange Haare hat und eine Brille trägt, dann daß die Brille schlanke oder große Gläser, eine Horn- oder Metallfassung hat, dann daß die Augenfarbe grün oder braun ist usw. zu immer delaillierteren Feinheiten).
Es ist daher die erste Stufe des Erkennens der Grobstrukturen besonders wichtig, auch weil sie eventuell den Blick dann gezielt auf die Stellen lenkt, an denen das von der Erfahrung geprägte Bild die für genaueres Erkennen wichtigen weiteren Details erwartet. Ist aufgrund der geringen Helligkeit nur wenig zu erkennen, hilft der umfassendere Kontext, den ein Fernglas mit großem Sehfeld bietet, gewiß beim Erkennen weiterer Einzelheiten. Soweit stimme ich zu.
Der anderen Erklärung mit der Bündelung rezeptiver Felder muß ich dagegen widersprechen, und zwar aus mehreren Gründen.
Daß ein erfahrener Hobbyastronom auf ein lichtschwaches Objekt nicht direkt blickt (korrekt ausgedrückt: es nicht fixiert, also sein Auge nicht so ausrichtet, daß das Bild des zu betrachtenden Objekts auf die Fovea, den Bereich des schärfsten Sehens im Zentrum der Netzhaut, fällt), sondern etwa 5° bis 10° außerhalb – darüber oder darunter ist günstiger als seitlich, damit der „blinde Fleck“ keinen Strich durch die Rechnung macht –, hat nichts mit der Bündelung rezeptiver Felder zu tun, sondern wird durch das Nicht-vorhanden-Sein von Stäbchen in der Foveola (dem innersten Teil der Fovea) und der sehr geringen Stäbchendichte in der übrigen Fovea erzwungen. Da die fürs farbige Sehen bei größerer Helligkeit zuständigen Zapfen in der Fovea besonders dicht angeordnet sind, sieht man dort etwa ab Leuchtdichten von ca. 0,03 cd/mˆ2 viel schärfer als an jeder anderen Netzhautstelle, aber bei Nacht, wenn die Empfindlichkeit der Zapfen nicht mehr ausreicht und nur die Stäbchen noch empfindlich genug sind, sieht man dort gar nichts mehr. Also hilft nur noch die Technik des „indirekten Sehens” (engl. „adverted vision“) weiter.
Daß mit zunehmender Dunkelheit immer mehr Ganglien der Stäbchen zu größeren rezeptiven Feldern verknüpft werden (eine Art „Binning“, wie man es von Digitalkameras kennt, die z.B. Vierergruppen von Pixeln zu je einem Großpixel zusammenfassen und so die Lichtempfindlichkeit – leider zu Lasten der Auflösung – vervierfachen), ist zwar richtig, aber es erklärt nicht, warum ein Fernglas mit 60° im inneren Teil des Sehfeldes mehr erkennen lassen sollte als ein Fernglas mit nur 50° scheinbarem Sehwinkel. Das Erkennen von Details durchs Fernglas in großer Dunkelheit erfolgt immer nur im inneren Bereich des Sehfeldes und nie am Rand. Denn dort ist die Schärfe viel schlechter und die Helligkeit geringer. Dort leistet auch das Auge weniger, auch weil bei dorthin verdrehtem Auge die Eintrittspupille des Auges weniger gut in der dann nicht mehr ganz kreisförmigen Austrittspupille des Fernglases zentriert wird. Wenn aber das Auge nicht verdreht wird, sondern tatsächlich die Details im Randbereich des Sehfeldes auch auf der Netzhaut peripher, also weit abseits der Fovea abgebildet werden, dann kommt ein anderer, das Bild extrem verschlechternder Effekt zum Tragen: Die Stäbchendichte ist außerhalb der Fovea nicht konstant, sondern nimmt vom Rand der Fovea zunächst schnell zu, um in einer ringförmigen Zone von ca. 20° Abstand zur Fovea ihr Maximum zu erreichen, und dann sehr schnell wieder ab. Der Randbereich, in der sich das 60°-Fernglas vom 50°-Fernglas unterscheidet und der zwischen 25° und 30° außerhalb der Mitte liegt, fällt also in einen Bereich, in dem die Stäbchendichte und somit das Auflösungsvermögen schon um ca. 30% abgenommen hat. Wie jeder leicht selbst ausprobieren kann, sieht man dort schon erheblich schlechter: Man fixiere in ziemlicher Dunkelheit z.B. eine Wanduhr mit großem Zifferblatt aus etwa 3 m Abstand und wandere dann mit dem Auge seitwärts. Zugleich achte man (ohne aber das Auge wieder zur Uhr zu lenken) darauf, wieviel man noch vom Zifferblatt erkennt. In dem fraglichen Abstand von 25° bis 30° wird man bestenfalls noch einen hellen Fleck (wenn das Zifferblatt heller ist als die Wand) erkennen, aber garantiert nicht mehr, daß es ein Zifferblatt mit Stundenmarkierungen und Zeigern ist.
Ich bin jetzt doch mehr in die Details gegangen, als ich wollte. Aber ich muß spätestens jetzt aufhören und wieder arbeiten. Mehr dazu, falls diese Frage dann noch diskutiert werden sollte, irgendwann nach dem 2. Oktober.
Walter E. Schön