Ihre Annahme, daß bei Ferngläsern mit Innenfokussierung unterschiedlich konzipierte Fokussierlinsen (also z.B. von sehr verschiedener Brechkraft oder in unterschiedlichem Abstand zu den vorderen Objektivlinsen) bei gleicher Vergrößerung im Fernbereich zu stärker voneinander abweichenden Vergrößerungen im Nahbereich führen würden, ist nicht richtig, auch wenn es auf den ersten Blick ohne genauere Betrachtung optischer Gesetze als denkbar erscheint. Ich will das kurz begründen:
1.
Bei Ferngläsern ohne Innenfokussierung wird durch Änderung des Abstandes zwischen Objektiv und Okular scharfgestellt, also nicht anders als bei herkömmlichen Fotoobjektiven fester Brennweite, die mittels eines Schneckengangs für große Entfernungen näher an den Film oder Sensor gebracht werden (mit Bildweite = Brennweite für unendlich) und für kürzer werdende Entfernungen immer weiter vom Film oder Sensor weg verschoben werden (z.B. auf den Abstand „Brennweite + Brennweite · Abbildungsmaßstab“, also um „Brennweite · Abbildungsmaßstab“ weiter weg vom Film oder Sensor). Beim Fernglas wird diese Abstandsvergrößerung meistens durch einen Hub der Okulare bewerkstelligt, viel seltener alternativ durch einen Hub der Objektive, wie es z.B. bei den IS-Ferngläsern von Canon der Fall ist. Diese Abstandsvergrößerung im Nahbereich führt zu einer wachsenden Vergrößerung, da sich die Vergrößerung aus dem Quotienten „Bildweite des Objektivs : Brennweite des Okulars“ ergibt, sofern der Beobachter so fokussiert, daß sich das virtuelle Bild im Unendlichen befindet. Nicht nur, aber vor allem kurzsichtige Beobachter ohne Brille fokussieren etwas anders, nämlich so, daß das virtuelle Bild im Endlichen liegt, für normalsichtige Beobachter meistens in der Gegend um 1 m bis 2 m, für kurzsichtige entsprechend der jeweiligen Stärke der Kurzsichtigkeit noch näher. Dafür muß der Abstand des Okulars vom Zwischenbild ein wenig vergrößert werden, und dann geht in die obige Formel für die Berechnung der Vergrößerung statt der Brennweite des Okulars ein etwas größerer Wert ein, und weil dieser in der Formel im Nennen steht, reduziert sich die Vergrößerung ein wenig. Wir können jedoch diesen Effekt getrost unbeachtet lassen, da er in gleicher Weise für den folgenden Fall 2 zutrifft und uns letztlich nur der Unterschied zwischen Fall 1 und Fall 2 interessiert, sich dieser kleine Effekt also quasi wegkürzt.
Wir sehen also, daß generell Ferngläser ohne Innenfokussierung eine bei Naheinstellung zunehmende Vergrößerung zeigen. Die Zunahme der Vergrößerung hängt von der Nahentfernung ab, aber ein wenig auch noch davon, ob der Beobachter für ein virtuelles Bild im Unendlichen oder doch lieber für entspanntes Beobachten für ein virtuelles Bild irgendwo in der Gegend um 1 m fokussiert. Außerdem hat auch noch die Objektivbrennweite des Fernglases einen sehr kleinen Einfluß auf den Vergrößerungszuwachs im Nahbereich; je länger die Objektivbrennweite ist, um so größer ist dieser Zuwachs. Doch da die üblichen Ferngläser hinsichtlich der Objektivbrennweiten innerhalb ihrer jeweiligen Größenklassen (also z.B. alle 32er- oder alle 42er-Ferngläser) nur minimal differieren, kann man diesen Effekt in der Praxis ebenfalls vernachlässigen. Nur wenn man das merklich längere Swarovski EL 8x32 mit den anderen Ferngläsern vergleichen wollte, sollte man vielleicht auch diesen Unterschied quantitativ untersuchen. Es könnte sein, daß dann ein nicht zu unterschlagender Einfluß zu berücksichtigen bleibt.
2.
Bei Ferngläsern mit Innenfokussierung ist der Abstand zwischen Objektiv, genauer: deren vordere Linsen, denn die Fokussierlinse(n) ist/sind genau genommen Bestandteil des Objektivs, und Okular konstant, und zwar bei Einstellung auf unendlich und einer Fokussierung für ein virtuelles Bild ebenfalls im Unendlichen gleich der Summe aus Objektiv- und Okularbrennweite. Die Vergrößerung ist dann gleich dem Quotienten „Objektivbrennweite : Okularbrennweite“. Ein Motiv im Nahbereich würde bei dieser Fernglaseinstellung vom Objektiv weiter hinten, also hinter der Feldblendenebene abgebildet, so daß der Betrachter es durch das als Lupe wirkende Okular nicht mehr als virtuelles Bild im Unendlichen, sondern in extremer Nähe sieht, so daß das Akkommodationsvermögen seiner Augen nicht mehr ausreicht, um es scharf zu sehen. Er muß also nachfokussieren. Das geschieht nun mit einer ein Stück weit hinter den vorderen Objektivlinsen liegenden Fokussierlinse(ngruppe), die fast immer negative Brechkraft hat und wie eine verschiebbare Barlowlinse wirkt (die Hobbyastronomen kennen Barlowlinsen zur Brennweitenverlängerung und somit zur Erhöhung der Vergrößerung). Durch axiales Verschieben dieser Fokussierlinse geschieht nichts anderes als beim Zoomen einen Zoomobjektivs: Die Brennweite ändert sich. Bei einer Fokussierlinse mit negativer Brechkraft führt die Verschiebung nach hinten (= zum Okular hin) zu einer Verkürzung des Objektivbrennweite. Im Falle einer Fokussierlinse mit positiver Brechkraft, wie ich sie nur von einem Minox-Fernglas kenne, muß die Verschiebung der Fokussierlinse zur Brennweitenverkürzung umgekehrt nach vorn erfolgen (= vom Okular weg).
Die Verkürzung der Brennweite muß beim Fokussieren so erfolgen, daß das vom Objektiv erzeugte Bild des im Nahbereich liegenden Motivs wieder genau in die Feldblendenebene fällt. Dann sieht der Beobachter es nämlich wieder scharf. Und nun sieht man, daß die Vergrößerung, die sich aus „Bildweite des Objektivs : Brennweite des Okulars“ berechnet (wenn das virtuelle Bild wieder wie üblich im Unendlichen angenommen wird), im Nahbereich exakt dieselbe ist wie im Fernbereich.
3.
Vergleich zwischen Zeiss Victory 8x32 FL und Kowa Genesis 8x33. Beide haben eine Innenfokussierung, also bei allen Beobachtungsentfernungen denselben Abstand zwischen Objektiv und Okular wie bei unendlich, also im Fern- und Nahbereich dieselbe Vergrößerung, egal wie die Fokussierlinse konzipiert ist.
4.
Ein vernachlässigbarer Effekt: Nun haben wir aber oben eine Sache unberücksichtigt gelassen, die man bei ganz genauer Berechnung nicht unterschlagen darf: Das optische System „Objektiv“ besteht nicht nur aus den vorderen Linsen, sondern schließt die Fokussierlinse mit ein. Deshalb verlagern sich die Hauptebenen dieses Gesamt-Objektivs beim Zoomen ein wenig, so daß die Annahme eines konstanten Abstandes zwischen Objektiv und Okular nicht genau eingehalten wird. Dieser Abstand ist nämlich definiert als der Abstand der bildseitigen Hauptebene H1' des Objektivs von der objektseitigen Hauptebene H2 des Okulars. Da sich die Bildseitige Hauptebene H1' des Objektivs aber minimal verschiebt, bleibt der Abstand also doch nicht ganz konstant, so daß auch Ferngläser mit Innenfokussierung eine sehr geringfügige Änderung der Vergrößerung beim Wechsel von Fern- zur Nahbeobachtung aufweisen. Aber dieser Einfluß ist sehr klein und kann in dem hier zugrundeliegenden Falle (Vergleich zwischen Zeiss- und Kowa-Fernglas) getrost vernachlässigt werden. Um genau sagen zu können, ob dieser Einfluß im Promillebereich oder noch niedriger liegt, müßte man einige zeitraubende Berechnungen mit konkreten Fernglasdaten anstellen, die ich mir gegenwärtig nicht leisten kann. Aber ich bin sicher, daß dieser Einfluß wirklich nicht größer als im Promillebereich ist und somit für den Zeiss-Kowa-Vergleich keine Rolle spielt.
Walter E. Schön