Wenn Fernglasobjektiv und Fernglasokular so wie übliche Fotoobjektive sehr verzeichnungsarm abbildeten, denn wäre immer die „alte“ Formel
SSW = 2 arc tan (V · tan TSW/2)
mit SSW = scheinbarer Sehwinkel, V = Vergrößerung und TSW = tatsächlicher Sehwinkel
sehr genau zutreffend. Wenn das Fernglas insgesamt (also Objektiv zusammen mit Okular*) kissenförmig verzeichnet, vergrößert sich der scheinbare Sehwinkel mehr oder weniger. Solange diese Verzeichnung nicht über etwa 3 bis 4% hinausgeht, ist die obige Formel bei Weitwinkelgläsern immer noch genauer als die einfachere Formel, bei der einfach der tatsächliche Sehwinkel mit der Vergrößerung multipliziert wird. Erst seit man bewußt (und nicht, weil man es nicht geschafft hat, die Verzeichnung zu beheben) eine stärkere kissenförmige Verzeichnung in der Größenordnung um knapp 10% zur Minderung des Globuseffekts „hineinkonstruiert“, ist die dadurch bewirkte zusätzliche Vergrößerung des Bildes so, daß die einfache Formel ein genaueres Ergebnis liefert. Man kann also nicht grundsätzlich sagen, daß die einfachere Formel
SSW = V · TSW
mit V = Vergrößerung und TSW = tatsächlicher Sehwinkel
immer die richtige für Ferngläser mit Verzeichnung sei, sondern es hängt sehr vom Ausmaß der Verzeichnung ab.
Da wir uns in dieser Diskussion konkret mit dem neuen Nikon 8x42 EDG und den für dieses Modell von Nikon angegebenen widersprüchlichen Daten befaßt hatten, will ich für diesen Fall die Verzeichnung angeben, die nötig wäre, wenn
1. der tatsächliche Sehwinkel genau 7,7° wäre,
2. die Vergrößerung exakt 8,0fach wäre,
3. der scheinbare Sehwinkel genau der einfachen Formel entspricht und 61,6° wäre.
Man berechnet aus dem SSW = 61,6° das „scheinbare Sehfeld“
SSF = 2 · tan (61,6°/2) = 1192,24 m auf 1000 m
und aus dem TSW = 7,7° das tatsächliche Sehfeld
TSF = 2 · tan (7,7°/2) = 134,6 m auf 1000 m
Multipliziert man das zuletzt berechnete Sehfeld von 134,6 m mit der Vergrößerung, so erhält man das „scheinbare Sehfeld“, das sich ohne Verzeichnung ergeben müßte
SSF(unverzeichnet) = 8 · 134,6 m = 1076,8 m auf 1000 m
Dividiert man nun das zuvor nach der einfachen Formel berechnete „scheinbare Sehfeld“ durch das zuletzt berechnete ohne Verzeichnung, so ergibt sich dadurch die Verzeichnung plus 100%:
Verzeichnung + 1 = 1192,24 : 1076,8 = 1,1072
Die Verzeichnung ist also 1,1072 - 1 = 0,1072 = 10,72%, also positiv (führt zu kissenförmiger Durchbiegung) und in der oben von mir angegebenen Größenordnung. Vermutlich ist in Wirklichkeit die Verzeichnung geringer oder sehr viel geringer, aber das werden wir erst wissen, wenn es nachgemessen ist.
Walter E. Schön
*) Ziemlich weit oben hatte ich hinter dem Wort „Okular“ ein Sternchen * gesetzt, weil man beachten muß, daß eine positive Verzeichnung des Objektivs die Gesamtverzeichnung des Fernglases in positiver Richtung beeinflußt, aber es beim Okular umgekehrt ist, wenn man das Okular als ein umgedrehtes Objektiv auffaßt und so die Verzeichnung (in der mit der Fernblende zusammenfallenden Brennebene) mißt. Wenn man eine Verzeichnung angibt, muß man nämlich immer sagen, in welcher Lichtrichtung man mißt. Würde ich z.B. ein Foto-Teleobjektiv mit 85 mm Brennweite, das etwa +2,1% Verzeichnung hat, von der Kamera abnehmen und in einem Diaprojektor als Projektionsobjektiv einsetzten, so hätte das projizierte Bild eine negative Verzeichnung von -2,1%!