Herr Sauer,
mit Farbsäumen ist das so eine Sache. Grundsätzlich weist jedes optisches System Farbfehler auf. Ihre Ausgeprägtheit ist von vielen Faktoren abhängig, nicht nur von der verwendeten Optik. Diese Faktoren lassen sich aber meist nur schwer exakt quantifizieren. Zunächst wären da die Licht- und Wetterverhältnisse zu nennen. In der Praxis habe ich festgestellt, dass die Sichtbarkeit von Farbsäumen von Sonnenstand, Bewölkung und vor allem von der Luftfeuchtigkeit in den verschiedenen Luftschichten beeinflusst wird. Hohe Luftfeuchtigkeit in Verbindung mit hellem, diffusem Licht (hoher Anteil von gestreutem Licht in der Atmosphäre) lässt solche Farbsäume besonders deutlich hervortreten, wenn man Motive mit einem hohen Kontrast betrachtet. Beispiele für Hochkontrastmotive sind etwa Ast- und Zweigwerk von entlaubten Bäumen, Hochspannungsleitungen oder auch Antennen, jeweils gegen den hellen Tageshimmel als Hintergrund betrachtet. Bei der Vogelbeobachtung kommen schwarz-weiß gefärbte Arten als Hochkontrastmotive in Betracht, wie z.B. Kiebitz, Weißstorch und Säbelschnäbler. Beispiele aus dem Bereich der astronomischen Beobachtung wären Mond oder Sonne (natürlich mit entsprechendem Filter) vor dunklem Himmelshintergund bzw. die dabei zu beobachtenden Grenzbereiche zwischen hell und dunkel.
Erfahrene Fotografen wissen um diese Umstände und wählen deshalb ihre Ausrüstung den Licht- und Wetterverhältnissen entsprechend aus. Vereinfacht gesagt heißt das: jedes Licht bzw. jedes Wetter hat die Optik, die am besten passt. Weiter scheint es auch individuelle Unterschiede in der Wahrnehmungsempfindlichkeit gegenüber Farbsäumen zu geben. Was den einen stört, fällt dem anderen kaum auf - und dies unabhängig von der Beobachtererfahrung.
Zurück zu den Ferngläsern. Alle mir bekannten Ferngläser und Spektive zeigen mehr oder weniger deutlich Farbsäume. Dabei gilt: je weiter entfernt das betrachtete Motiv von der zentralen Bildachse ist, desto deutlicher treten Farbfehler hervor. Es gibt einige Ferngläser, die in der Bildmitte keine Farbsäume zeigen. Dies ist z.B. bei den Zeiss Victory FL und auch bei vielen Modellen von Leica nicht aber bei Nikons 32er HG (die aber ansonsten von überragender optischer Qualität sind) der Fall. Zum Bildrand hin müssen aber auch diese Modelle früher oder später passen. Die Erkennbarkeit von Farbsäumen ist meist auch abhängig von der Vergrößerung. Das 10x32 Nikon HG zeigt beispielsweise mehr Farbe als das entsprechende 8x32. Das 10x32 Leica Trinovid mehr als das 8x32 und das 18x50 Canon IS mehr als das 15x50. Die Ursache dieser vergrößerungsabhängigen Sichtbarkeit von Farbsäumen kenne ich nicht. Eine Vermutung ist, dass die Farbsäume ganz einfach mit vergrößert werden. Oft habe ich auch den Eindruck - Spitzenprodukte voraussgesetzt - gewonnen, dass es ebenfalls einen Zusammenhang gibt zwischen Bildhelligkeit und Sichtbarkeit von Farbsäumen, wobei diese mit zunehmender Helligkeit ebenfalls zunehmen. Beispiele sind die Fernglasmodelle 10x56 Zeiss Victory -> 10x50 Swarovski SLC -> 10x50 Leica Trinovid - sortiert nach abnehmender Bildhelligkeit. Die Sichtbarkeit von Farbsäumen verläuft bei diesen Modellen aber in genau umgekehrter Reihenfolge. Gleiches gilt für die Spektive Zeiss Diascope 85, Swarovski 80 ATS HD und Leica Apo 77 Televid jeweils mit 20-60x Okular.
Die Modelle von Zeiss sind am hellsten, zeigen aber auch am meisten Farbe. Die Modelle von Leica weisen die vergleichsweise geringste Bildhelligkeit auf, haben aber die wirksamste Farbkorrektur. Die Modelle von Swarovski liegen jeweils etwa in der Mitte.
Nach meiner Produkterfahrung kann ich Ihnen folgendes berichten. Die Zeiss Victory Fl sind in Bezug auf Freiheit von Farbsäumen hervorragend. Das 10x42 FL ist in dieser Beziehung wohl der Spitzenreiter seiner (10x) Klasse. Nicht schlecht gestaunt habe ich deshalb, als ich kürzlich zwei 7x42 miteinander vergleichen habe: das Leica Ultravid und das Zeiss Victory FL. Dabei zeigte unter den Lichtbedingungen jenes Tages das Leica erkennbar weniger Farbsäume als das Zeiss. Wenn Sie hier also empfindlich sind (wie ich übrigens auch), wäre diese Modell eine Empfehlung wert. Ein anderes Modell mit hervorragender Farbkorrektur ist ansonsten das 10x50 Leica Trinovid BN und Ultravid. Beide Modelltypen wären meiner Meinung nach auch ansonsten eine gute Ergänzung zu Ihrem 8x32.
S. Green