Farbsäume werden durch chromatische Längs- und Queraberration erzeugt. Queraberration ist im allgemeinen die häufigere und gravierendere Ursache, und diese kann (definitionsbedingt) nur außerhalb der optischen Achse auftreten, wenn man mal von einem dezentrierten, also fehlerhaften optischen System absieht, denn Queraberration bedeutet unterschiedliche Bildhöhe (= Abstand eines Bildpunktes von der opt. Achse) für verschiedene Farben desselben Objektpunktes. Wird z.B. ein weiß leuchtender Stern außerhalb der opt. Achse abgebildet, so kann z.B. sein purpurnes Bild ein wenig näher zur Achse bzw. Bildmitte und sein gelbgrünes Bild weiter außen liegen. Deutlich ist chromatische Queraberration an tangential zu konzentrischen Kreisen verlaufenden kontrastreichen Stukturen (z.B. an weißen Linien vor schwarzem Grund oder an schwarzen Linien vor weißem Grund) etwa als ein auf einer Seite lila oder violetter und auf der anderen Seite orangegelber oder gelbgrüner Saum zu sehen.
Allerdings kann auch chromatische Längsaberration Farbsäume erzeugen. Chromatische Längsaberration bedeutet unterschiedliche Schnittweite (= längs der Achse gemessener Abstand des Bildpunktes vom letzten Linsenscheitel) für verschiedene Farben desselben Objektpunktes. Ein weiß leuchtender Stern wird dann als annähernd weißer Bildpunkt mit einem je nach Fokussierung z.B. purpurnen, violetten, orangeroten oder gelbgrünen Saum abgebildet. Dieser Saum liegt, zumindest wenn der Bildpunkt nicht allzu weit von der opt. Achse entfernt ist, annähernd kreisfömig um das helle Zentrum.
Prinzipiell ist natürlich auch chromatische Längsaberration bei Ferngläsern nicht auszuschließen, so daß evtl. auch im Bildzentrum Farbsäume um Lichtpunkte auftreten können. Aber ich zweifle, ob die angesichts der im Vergleich zu astronomischen Teleskopen sehr geringen Vergrößerung bei guten Ferngläsern störend sichtbar sind (mit Billigramsch will ich mich nicht befassen, denn da ist beinahe alles möglich). Vielmehr vermute ich in Fällen, in denen Farbsäume auch im Bildzentrum beobachtet wurden, eher die Ursache in einer mangelhaften Zentrierung der Augenpupille zur Austrittspupille, in Fehlern des Auges oder in Asymmetrien einer zwischen Okular und Auge liegenden Brille (z.B. kann dies leicht bei Gleitsichtbrillen der Fall sein oder dann, wenn das opt. Zentrum des Brillenglases bei der Beobachtung weit von der opt. Achse des Okulars entfernt liegt).
Ich werde mit Optikrechnern des Fernglasherstellers Leica Kontakt aufnehmen und das Thema diskutieren und dann hier über das Ergebnis berichten.
Ihre Vermutung, daß vielleicht Dachkantprismen mehr Farbsäume verursachen könnten als Porroprismen, trifft mit Sicherheit nicht zu. Denn hinsichtlich der Farbzerstreuung ist bei einem Bildumkehrprisma ausschließlich die Länge des Lichtweges durch das Glas und die Dispersion der Glassorte maßgebend. Wenn beide Prismentypen aus BaK4 (das bei wohl 99,9% aller hochwertigen Ferngläser verwendete Glas) gefertigt sind, unterscheiden sie sich nicht in der Dispersion, also bleibt noch der Glasweg, und der ist bei sonst gleichen Fernglasdaten (Objektvbrennweite, Öffnungsverhältnis und Durchmesser des Bildfeldes im Primärfokus) auch nur minimal verschieden, wenn wie üblich die kleinstmögliche vignettierungsfreie Prismengröße gewählt wird. Im Falle der Dachkantprismen sind übrigens drei verschiedene, sich im Glasweg untereinander deutlicher als der gängige Schmidt-Pechan-Typ relativ zu Porroprismen unterscheidende Dachkantprismentypen üblich: außer dem schon genannten Schmidt-Pechan noch Abbe-König und Uppendahl. Jeder gute Fernglashersteller bezieht aber die Glasdicke des Umkehrprismas – gleich welchen Typs – in die Fehlerkorrektion mit ein, so daß eventuell verbleibende Fehler dann nie Fehler des Prismas, sondern Fehles des Gesamtsystems sind.
Walter E. Schön