Es gibt viele tausend Jugendliche, die sich bis zum Bankrott für Klingentöne verschulden. An den Klingentönen kann es, wenn ich Ihre Logik anwende, nicht liegen, denn „viele tausend Kunden kaufen doch keinen Schrott“.
Es gibt viele tausend Menschen, die Kupferbänder oder Magnetbänder fürs Handgelenk oder irgendwelche Halbedelstein-Anhänger kaufen, um Krankheiten fernzuhalten oder zu heilen. Daß es nicht wirkt, kann ebenfalls nach Ihrer Logik nicht an den Kupferbändern liegen, denn „viele tausend Kunden kaufen doch keinen Schrott“.
Es gibt viele tausend Menschen, die vor ca. 70 Jahren der Nazupropaganda erlegen sind und so zu einem Weltkrieg und zum Tod von zig Millionen Menschen mehr oder weniger beigetragen haben. An der Nazipropagande kann es dann auch nicht gelegen haben, denn in leichter Abwandlung Ihres logischen (?) Schlusses: „viele tausend Menschen glauben doch keinen Schrott".
Wenn Sie genau hinsehen, was in den kritischen Beiträgen zu Steiner steht, werden Sie feststellen, daß in den meisten Fällen Steiner nicht ohne Angabe von Gründen pauschal „geprügelt“ wird (wie Sie sehen, umfaßt unser Wortschatz sogar das deutsche Wort für „bashing“, was Sie uns offensichtlich nicht zugetraut hatten). Vielmehr wird vor allem an Steiners gegen jede Kritik hartnäckig beibehaltene Aussagen vom „Sports-Auto-Focus“ Anstoß genommen, den Steiner selbst auf der eigenen Website wie folgt definiert:
„Mit dem STEINER Sports-Auto-Focus ist das Handling besonders komfortabel: Beide Einstellringe an den Augenmuscheln auf "0" stellen und immer scharf sehen - von ca. 20 m bis unendlich. Auch bei wechselnden Beobachtungsentfernungen! Ist dies nicht der Fall, liegt eine Fehlsichtigkeit vor. Dann drehen Sie jeden Einstellring einmalig so, dass Sie einen weit entfernten Punkt scharf sehen - fertig! Ein unübertroffener Vorteil, der besonders bei wechselnden Beobachtungsdistanzen, in der Dämmerung und bei frostiger Kälte mit Handschuhen überzeugt!“ (Ende des Zitats)
Das ist aber Unsinn.
1. Jedes beliebige Fernglas gleicher Vergrößerung und AP wie die des betreffenden Steiner-Modells kann dasselbe, wenn man es für die Sehschärfe des betreffenden Beobachters auf unendlich fokussiert (was auch beim Steiner-Glas nötig ist). Denn jedes Fernglas gleicher Vergrößerung hat bei gleicher effektiver Austrittspupille für ein und denselben Beobachter exakt dieselbe Schärfentiefe. Von einem „unübertroffenen Vorteil“, an den leider viele tausend technisch unkundige Käufer glauben, kann also nicht im entferntesten die Rede sein. Falls Sie sich jetzt zur Verteidigung von Steiner an „unübertroffen” festklammern sollten, weil dies insofern richtig sei, weil ja umgekehrt die anderen Ferngläser aufgrund meiner Argumentation keine größere Schärfentiefe bieten, sie also das Steiner-Fernglas diesbezüglich tatsächlich nicht „übertreffen”, so muß ich Sie darauf hinweisen, daß es das Wort „Vorteil” ist, in dem die Lüge sich verbirgt. Denn wenn sich alle anderen Ferngläser in diesem Kriterium Schärfentiefe bei gleicher Vergrößerung und AP identisch verhalten, wo steckt dann ein „Vorteil”? Der unbedarfte Kunde glaubt an die Existenz eines Vorteils, der nun durch das Attribut „unübertroffen” scheinbar (ja, wirklich nur scheinbar und nicht anscheinend) noch in seinem Wert gesteigert wird.
2. Die Aussage „von ca. 20 m bin unendlich“ ist nicht aufrechtzuerhalten, weil die erzielte Schärfentiefe, die außer den Steiner-Ferngläser auch alle anderen Ferngläser gleicher Daten in exakt gleicher Weise haben, vom Akkommodationsvermögen des Beobachters abhängt. Ein ca. 20jähriger hat ca. 12 dpt, ein 35jähriger noch ca. 8 dpt, ein 45jähriger nur noch knapp 4 dpt und ein 55jähriger gar nurmehr ca. 1 dpt Akkommodationsbreite (alle Angaben sind statistisch gesicherte Mittelwerte der betreffenden Altersgruppe mit einer Schwankungsbreite von ±1 dpt beim 20jährigen bis nur noch ±0,3 dpt beim 55jährigen Beobachter).
3. Wie Sie sich anhand eines fokussierbaren Fernglases (also nicht eines Steiner-Modells mit diesem sog. „Sports-Auto-Fokus°) leicht überzeugen können, sehen Sie dann, wenn Sie z.B. auf 20 m weit entfernte Äste eines Baumes scharfstellen, diese erheblich schärfer, als wenn Sie das Fernglas auf unendlich scharfstellen (wie es beim Steiner mit sog. „Sports-Auto-Fokus“ der Fall ist) und dann ohne nachzufokussieren dieselben Äste in nur 20 m Entfernung betrachten, selbst wenn Ihre Akkommodationsbreite noch relativ groß sein sollte. Je älter Sie sind, desto größer ist der Unterschied in diesem Schärfevergleich.
Ich hatte deswegen schon vor mehreren Jahren mehrfach mit Technikern von Steiner telefoniert, und ich nehme an, daß ich nicht der erste und nicht der einzige Fernglasfreund mit Wissen um die physikalischen Gesetze der Schärfentiefe war, der das gemacht hat. Die Techniker bei Steiner winden sich zwar, aber am Ende stimmen sie zu, wenn sie merken, daß man sich mit Optik auskennt, daß diese Werbeaussage von Steiner Unsinn ist. Sie verweisen auf die Marketingabteilung und die Werbeagentur, mit der sie (die Techniker) nichts zu tun und auf die sie keinen Einfluß habe. Dennoch schreibt Steiner diese Lügen nach wie vor und betrügt damit gutgläubige Käufer, die sich (wie wohl auch Sie, Herr Broich) nicht vorstellen können, daß ein wegen seiner hohen Umsätze für seriös gehaltener Hersteller so lügen kann.
Niemand hat hier im Forum geschrieben, daß ALLE Steiner-Ferngläser nichts taugten. Steiner baut auch einige in ihrer Preisklasse recht ordentliche und oft in mechanischer Hinsicht sogar sehr gute (robuste, wasserdichte) Ferngläser. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, daß möglicherweise „viele tausend Kunden” auf die Lügen hereinfallen. Das ist es, was mich und sicher auch die anderen Kritiker von Steiner so ärgert.
Walter E. Schön