Die Diskussion um abgeblich oder tatsächlich weitwinkelige Ferngläser hat mich veranlaßt, bei einigen Ferngläsern nachzumessen, die mir immer besonders weitwinkelig (bezüglich des scheinbaren Sehwinkels) erschienen waren. Den Herstellerangaben kann man ja leider nicht trauen, auch wenn die wenigsten Hersteller so dreist übertreiben wie Miyauchi und der zur Zeit wohl noch einzige für die vermutlich nicht mehr lange existierende Firma Miyauchi sehr engagierte amerikanische Internethändler „bigbinoculars.com“. Allerdings stellte ich immer wieder fest, daß auch viele für seriös gehaltene Hersteller oder Anbieter als scheinbaren Sehwinkel einfach das Produkt aus tatsächlichem Sehwinkel und Vergrößerung angeben. Das ist um so falscher, je größer der Sehwinkel ist und nur dann bei einem nicht oder nur sehr schwach verzeichnenden Fernglas näherungsweise richtig, wenn der tatsächliche Sehwinkel und die Vergrößerung klein sind, also auch der damit als Produkt errechnete scheinbare Sehwinkel. Bei den Winkeln und Vergrößerungen, wie sie die heute üblichen Ferngläser bieten, über die wir hier diskutiueren, ist eine so einfache „Berechnung“ des scheinbaren Sehwinkel unzulässig, auch wenn die von vielen und insbesondere den europäischen Nobelherstellern zur Reduzierung des Globuseffekts gewollte kissenförmige Verzeichnung (die etwa im Bereich zwischen 10% und 16% liegen dürfte) den Fehler bei der obigen allzu vereinfachten Berechnung des scheinbaren Sehwinkels stark reduziert.
Ich habe also einige Ferngläser aus meinem Bestand, die mir immer als besonders weitwinkelig aufgefallen waren, herausgeholt und gemessen. Zum Vergleich habe ich auch das hinsichtlich des scheinbaren Sehwinkels aktueller Topmodelle etwa im oder sehr knapp über dem Mittelfeld liegende und sicher vielen Fernglasfreunden bekannte Leica Ultravid 8x32 BR hinzugezogen, das optisch bis auf die den scheinbaren Sehwinkel nicht beeinflussende Vergütung und Prismenverspiegelung identisch mit dem Trinovid 8x32 BA oder BN ist. Mit diesen sehr bekannten Modellen Ultravid/Trinovid 8x32 sollte fest jeder Leser dieses Forums einen guten Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der gemessenen scheinbaren Sehwinkel der anderen hier aufgeführten Ferngläser haben.
Die Abkürzung SSW bedeutet scheinbarer Sehwinkel, die Abkürzung RSW bedeutet realer Sehwinkel.
Leica Ultravid 8x32 BR: SSW = 59,6° (keine Herstellerangabe für SSW, nur RSW = 7,7°)
Swarovski 8x32 EL: SSW = 61,6° (Herstellerangabe SSW = 62°, o.k.)
Canon 10x42 L IS WP: SSW = 61,9° (Herstellerangabe SSW = 65°, ziemlich deutlich übertrieben!)
Swarovski 8,5x42 EL: SSW = 62,5° (Herstellerangabe SSW = 62°, o.k.)
Nikon 10x35 E II: SSW = 67,6° (Herstellerangabe SSW = 70°, deutlich übertrieben)
SARD 6x42 (amerik. Militärglas WK II): 69,0° (keine Herstellerangabe)
Das letztgenannte Fernglas ist ein unter Sammlern wegen seines wirklich sehr weiten Sehwinkels, der aufgrund der niedrigen Vergrößerung von nur 6fach natürlich auch einen extrem großen tatsächlichen Sehwinkel liefert (ca. 13°), ein sehr geschätztes Modell, allerdings richtig „dick“ und 1733 g schwer. Der Eindruck eines riesigen Sehwinkels wird auch durch die mit 7 mm sehr große Austrittspupille gefördert, die den scheibaren Sehwinkel zwar nicht vergrößert, aber auch bei dezentrierter Lage der Augenpupille dafür sorgt, daß man immer noch das volle Sehfeld überblicken kann. Dieser Zusammenhang ist übrigens ein wichtiger, wenn nicht der Hauptgrund dafür, daß viele Beobachter Ferngläser mit größerer AP subjektiv für weitwinkeliger halten als andere mit gleichem scheinbaren Sehwinkel, aber kleinerer AP. Das erklärt auch, warum z.B. die 7fach-Ferngläser, die alle einen deutlich kleineren scheinbaren Sehwinkel haben als die vergleichbaren Schwestermodelle mit 8facher und 10facher Vergrößerung (welche aber eine kleinere AP haben) subjektiv nicht engwinkeliger erscheinen.
Da ich diesmal zur Messung einen etwas einfacheren Meßaufbau benutzte, kann ich die Genauigkeit meiner Angaben diesmal nur auf ca. ±0,3° angeben. Ich werde aber, sobald ich etwas mehr Zeit habe, einen präziseren Aufbau mit Meßtoleranz ±0,1° fest installieren und dann mal alles, was ich an Ferngläsern besitze oder leihweise erhalte, hinsichtlich des scheinbaren Sehwinkels und dann auch des realen Sehwinkels und des Sehfeldes (in Meter auf 1000 m) durchmessen und die Ergebnisse hier bekanntgeben.
Sollte jemand meinen, ein besonders weitwinkeliges Fernglas zu besitzen, das eventuell die 70°-Grenze erreicht oder überschreitet, so wäre ich sehr daran interessiert, es für ein paar Tage leihweise zur Messung zur Verfügung zu bekommen. Wer dazu bereit ist, kann über die hier im Forum nach Anklicken meines Namens in der Spalte „geschrieben von“ öffentlich einsehbare eMail-Adresse Kontakt mit mir aufnehmen.
Walter E. Schön