Liebhaber „richtiger“ Ferngläser – ich würde Modelle deutlich jenseits 10-facher Vergrößerung darunter verstehen – haben es schwer, und das nicht nur im wörtlichen Sinn. Zentralfokussierung, Justierstabilität, Dichtigkeit, kompakte Abmessungen und das alles bei möglichst geringem Gewicht, schon an diesen rein mechanischen Herausforderungen scheitern die meisten Hersteller. Je anspruchsvoller Vergrößerung und Öffnung ausfallen, um so mehr zahlt sich höchste Qualität selbst in den kleinsten konstruktiven Details aus, also wären Spitzenhersteller hier besonders gefragt. Aber während es bei vielen anderen Konsumgütern manchmal fast schon zweifelhafte Ehrensache der Hersteller ist, ihre umfassende Leistungsfähigkeit gerade an den größten Kalibern zu demonstrieren, scheint das bei großen Ferngläsern unrentabel. Die Auswahl wird nach oben hin nicht nur immer geringer, im Spitzensegment ist sie kaum mehr vorhanden. Selten gibt es Neuheiten, und wenn, dann eher bei Modellen zweifelhafter Herkunft und Qualität, die vielleicht den optischen Nimmersatt erregen können, einen qualitätsbewußten Liebhaber aber kaum interessieren dürften.
Versucht man notgedrungen, sich nicht am dürftigen aktuellen Angebot zu orientieren, wird es nicht besser. Ein historisches Zeiss 15x60 zu ergattern ist ein Kunststück für sich, und dicht und leicht oder mit guter Nahgrenze versehen ist es auch nicht – vom vorletzten Stand der Vergütungstechnik und damit gewissen Einbußen bei Kontrast und Transmission ganz abgesehen. Wenn also eines Tages durchsickert, lange nachdem entsprechende Gerüchte in die Welt gesetzt wurden, Zeiss könnte tatsächlich demnächst 12 und 15-fache 56er Victorys auf den Weg bringen, ist die Vorfreude genauso groß, wie die baldige Enttäuschung darüber, dass ein vorgepreschter Händler offenbar zurückgepfiffen und offiziell nichts verlautbart wird. Also heißt es weiter träumen. Was kann man sich da nicht alles ausmalen…
Zeiss könnte womöglich, wie klammheimlich schon bei den RF-Modellen, wieder zu bewährten Magnesium-Druckgussgehäusen zurückkehren, hurra! Während die hässlichen „dicken Polyamid-Brummer“ als normale 56er für meine Begriffe ein geradezu amerikanisches Erscheinungsbild abgeben (supersize me) gefällt mir bei den schlanker wirkenden 56er-Victory-RF nicht nur das Gehäuse-Design weit besser. Diese Gläser mit Metallgehäuse sehen nicht nur besser aus, sie sind mit 1150g auch um überraschende 100g leichter als ihre Kunststoff-Pendants. Und womöglich könnte man für die zusätzlichen Entfernungsmesser-Bauelemente noch vielleicht weitere 50-100g Gewicht abziehen. Magnesium-Druckguss macht’s möglich und das zeigt zweierlei: es war wohl nicht allein das Gewicht, das Zeiss einst zum Umstieg auf Kunststoff bewog, und man hat sich, ohne viel Tamtam, aber vielleicht nicht von ungefähr, der Qualitäten armierten Metalls zurückerinnert. Außerdem sieht die etwas längere Knickbrücke der RFs nicht nur besser aus, sondern dürfte auch eher die für höhere Vergrößerungen notwendige Stabilität liefern. Und für ein integriertes stabiles Stativgewinde oder gar ein Schnellwechselsystem wäre ein Metallgehäuse wahrscheinlich auch besser. Dafür würde man dann auch gerne wieder ein paar wenige Gramm draufpacken.
Wenn Zeiss also hoch vergrößernde 56er Victory herausbrächte, dann bitte, bitte, hoffentlich nicht in Gestalt der bekannten Polyamid-Whopper! (Die zurückgezogenen Fotos der vorschnellen Ankündigung zeigten leider genau deren unsäglich dickliche Form, die für meine Begriffe dem Verkaufserfolg der größeren Modelle von Zeiss alles andere als gut tut.) Dagegen in RF-ähnlichen Gehäusen, gutaussehend, metallen armiert, stabil und mit vielleicht sogar unter 1100g auch noch deutlich leichter als die aufgepumpt wirkenden Kunstharzgeschwister… das wär’ doch was zum träumen.
Vorerst jedoch scheinen bei Zeiss eher die Wünsche der Einäugigen erhört zu werden, neue Spektive, hauptsächlich mit verbesserter Streulichtunterdrückung, und ein Auszugsspektiv mit Variookular soll es geben. Nicht schlecht, sicher. Aber leichte und hoch vergrößernde Premiumferngläser von Zeiss wäre m. E. für Tag- und Nacht- und Himmelsbeobachtung unersetzlich. Sie wären deshalb ein echtes Aushängeschild ein Alleinstellungsmerkmal, denn kein anderer Hersteller zeigt m. E. momentan vergleichbares Potential: weder Leica noch Swarovski noch Nikon oder Kowa kommen an die für höchste Brillianz nötige Transmission heran, die Zeiss mit seinen Abbe-König Prismen und seiner T*-Vergütung realisieren kann. Und dass Zeiss auch in Sachen Gewicht die absolute Leistungsspitze markieren könnte, das beweisen die gelungenen RF-Metallgehäuse. In deren attraktives Design ein 15-faches und ein 18-faches 56er FL-System samt Abbe-König verpackt, meinetwegen auch noch ein 12-fach - jedes Spektiv könnte mir da gestohlen bleiben.
Nachdem Spektivisten regelmäßig verwöhnt werden und für Binokulanten bei manchem Hersteller sogar schon lautstarke Teilgruppen wie altersichtige Randschärfefanatiker die Entwicklungsrichtung mitbestimmen, wäre m.E. die Zeit reif, endlich auch allen jüngeren oder jung gebliebenen Beobachter mit guten Augen, die bei hoher Vergrößerung beide Augen offen halten wollen, erstklassig zu bedienen. Da könnte Zeiss nach allen Regeln der Kunst demonstrieren, wie „richtige“ Ferngläser aussehren müssen: mittenscharf, brilliant und maximal transmissiv, farbsaumarm und stark vergrößernd. Vom legendären 15x60 hat es mal geheißen es sei das beste Fernglas der Welt. Also los, Herr Weigand, wenn das kein Ansporn ist, Spektive gibt’s doch längst mehr als genug. Wenn der Fachhandel nicht genügend Marktpotential sieht und das Risiko scheut, wie wär’s mit einer Kleinserie, gebaut nach einer genügenden Anzahl von verbindlichen Anfragen, deren Modelle man dann im Direktvertrieb von Zeiss beziehen würde? Build on Demand, oder wie das Neudeutsch heißt. Herr Müllers und ein paar andere hier machten wahrscheinlich sofort mit. Manche wären vermutlich sogar mit dem verkaufshemmenden Kunststoff-Whopper-Design einverstanden, ich dagegen finde, die besten Ferngläser der Welt sollten unbedingt auch so ansehnlich und leicht wie möglich daherkommen. Also wo klemmt’s, es kann doch nicht so kompliziert sein, aus einem Metall-RF-Gehäuse die Entfernungsmesser-Elektronik und -Optik herauszunehmen und stattdessen ein paar gute 15- oder 18-fach Okulare einzusetzen? Come on, Mr. Weigand, show us, you can… :-)
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 02.03.10 21:45.