Hallo Tobias,
die Tatsache, dass die gemessene MTF immer Anteile von allen Komponenten des optischen Systems enthaelt, spricht nicht dagegen, solche Messungen auszufuehren. Es gehoert zu den Routineaufgaben des Experimentators, zu analysieren, welche Anteile der Daten zum Signal gehoeren und welche nicht, denn jede Messung enthaelt ja immer ein gesuchtes Signal, ein Rauschen, und dazu systematische Fehler, die jeweils diskriminiert werden muessen.
Bevor wir uns jedoch an der Frage festbeissen, wie man die MTF noch besser messen kann, koennten wir erst einmal herausfinden, ob solche Daten ueberhaupt etwas ueber die Leistung einer visuellen Optik aussagen. Du hattest erwaehnt, dass das Integral der MTF-Kurve (gemaess Heynacher) durchaus mit der subjektiven Leistung einer visuellen Optik korreliert. Von daher sollten wir diese Kurven natuerlich auch einmal gemessen und integriert haben.
In dem angehaengten Artikel, den ich gestern gefunden habe, wird noch ein alternativer Vorschlag gemacht. Hier kommen die Autoren zu dem Schluss, dass weniger die MTF, als vielmehr der Strehl, genauer gesagt das "line Strehl ratio (LSR)", zur Bewertung der optischen Leistung eines Fernglases taugen duerfte. Hier handelt es sich natuerlich wieder nur um einen weiteren Vorschlag, der von anderen Autoren ebenso kritisch bewertet werden duerfte. Immerhin geht dieser Artikel auf die Schwierigkeiten ein, die bei der Bewertung visueller Instrumente auftreten, und ist daher schon aus diesem Grund lesenswert. So wird etwa erwaehnt, dass afokale Optiken eben nicht afokal genutzt, sondern vom (normalsichtigen) Anwender so eingestellt werden, dass das virtuelle Bild etwa einen Meter entfernt liegt. Eine Messung der optischen Leistung sollte daher nicht in der afokalen Stellung erfolgen, sondern in dieser Stellung der bequemsten Beobachtungsentfernung, und der optische Designer sollte sein Instrument dann auch fuer diese Stellung optimieren.
Wie immer, wenn man damit beginnt, in eine Materie etwas tiefer einzudringen, wird schnell klar, dass es simple Loesungen gar nicht geben kann. All diese DIN-Normen, in denen man solche Werte wie "Aufloesung" festzulegen sucht, erscheinen in diesem Licht schon wieder dilettantisch. Was bei einer Kamera mit einer Filmebene noch halbwegs Sinn macht, wird mit einem Auge, das dynamisch nachfokussiert und sich auch nie in einer festgelegten Nullstellung befindet, schnell zu einer reinen Zahlenspielerei.
Viele Gruesse,
Holger