Dies ist im Forum für Tagesbeobachtung eigentlich 'off-topic'; ich schreibe hier, weil ich bereits mehrmals über das Wahrnehmungsmodell von Max Berek (Leitz) berichtet hatte und somit in diesem Forum bereits ein Hintergrundwissen vorhanden ist. Ich habe Bereks Modell der Sichtungsschwellen von Objekten bei der Tages-, Dämmerungs- und Nachtbeobachtung jetzt auch zur Bestimmung der Grenzgrößen von Sternen verwendet und bin dabei auf ein interessantes Ergebnis gestoßen. Aber der Reihe nach:
1. Grenzgrößen von Sternen: Adlerindex
In einer dunklen Nacht kann das bloße Auge Sterne bis etwa zur 6. Größenklasse (6 mag) erkennen. Mit empirischen Formeln wird gern versucht, die Grenzgröße bei der Verwendung eines Fernglases oder Fernrohrs abzuschätzen. So gilt etwa für den Adlerindex
IA = mD1/2, (Adlerindex)
wo m die Vergrößerung und D der Objektivdurchmesser darstellt. Was bedeutet das? Nehmen wir etwa ein 10x50 Fernglas, so ergibt sich der Wert 70.71 für den Adlerindex, ein 8x32 schafft 45.25. Jetzt muß man zwei Dinge wissen: Erstens nimmt das Auge Helligkeiten auf einer logarithmischen Skala wahr, und zweitens ist eine Helligkeitsdifferenz von einer Größenklasse (1 mag) durch den Faktor 2.512 definiert. Den Gewinn in der Grenzgröße erhält man für das 10x50 dann als
log(70.71/45.25)/log(2.512) mag = 0.48 mag,
und ein 10x50 schaut somit etwa eine halbe Größenklasse 'tiefer' als ein 8x32. Ein wichtiger Punkt beim Adlerindex ist: Die Vergrößerung spielt eine größere Rolle für die Grenzgröße als der Objektivdurchmesser, weil letzterer nur als Quadratwurzel zu dem Gesamtwert beiträgt.
2. Bereks Wahrnehmungsgesetz
Details dazu sind im
Wikipedia Artikel zur Fernrohrleistung bereits angesprochen. Wir müssen Bereks Formalismus jedoch noch ein wenig auf die Eigenheiten der Sternbeobachtung anpassen. Berek erhält den Schwellenkontrast eines mit dem freiem Auge eben noch erkennbaren Objekts zu
K1/2 = 1/s (p(La)/La)1/2 + (b(La)/La)1/2, (1)
wo L
a die Adaptionsleuchtdichte des Auges ist, s der Winkeldurchmesser des zu beobachtenden Objekts (in Bogenminuten), p(L
a) Bereks sogenannte charakteristische Lichtstromfunktion und b(L
a) die sogenannte charakteristische Leuchtdichtefunktion darstellt. Die beiden charakteristischen Funktionen wurden anhand von Messungen an Versuchspersonen ermittelt und tabelliert; inzwischen habe ich mathematische Interpolationen dazu gefunden, die
in dieser Arbeit (Journal of the Optical Society of America A) vorgestellt sind. Bei dem Kontrast handelt es sich um den gewöhnlichen Weber-Kontrast K = (L
S - L
H)/L
H mit der Leuchtdichte des Stern(beugungs-)scheibchens, L
S, und der Leuchtdichte des Himmelshintergrunds, L
H. Es macht Sinn, anzunehmen, dass das Auge des Beobachters auf die Leuchtdichte des Hintergrunds adaptiert, dass also L
a = L
H gilt.
3. Herleitung des Berekindex
Sterne sind so klein, dass sie nicht als endlich große Objekte aufgelöst werden können. Man erkennt lediglich ein Beugungsscheibchen, das etwa einen Durchmesser von s = 1 Bogenminute hat, und das unabhängig von der Vergrößerung des Fernglases (sofern man keine extreme Übervergrößerung zulässt). Weil s also klein ist, wird in Bereks Gleichung (1) der zweite Term vernachlässigbar klein, so dass wir uns auf den ersten Term beschränken können. Nach Quadrieren und mit s = 1 haben wir dann
K = p(LH)/LH,
oder
LS = p(LH) + LH,
und somit die minimale, eben noch erkennbare Leuchtdichte L
S eines Sterns mit dem freien Auge. Jetzt nehmen wir das Fernglas zur Hilfe: Mit einem Objektivdurchmesser von D sammelt dieses Fernglas einen Lichtstrom, der um den Faktor (D/d
a)
2 größer ist als der des freien Auges. Da der Lichtstrom, der vom Stern stammt, in das kleine Beugungsscheibchen konstanter Größe fällt, sinkt die Schwellenleuchtdichte auf L'
S = L
S/(D/d
a)
2. OK, das ist etwas vereinfacht, denn wir nehmen hier ein perfektes Instrument an, das 100% Transmission aufweist und keine Abbildungsfehler, die das Sternscheibchen verschmieren. Zudem gilt diese Beziehung nur solange, wie das komplette Strahlbündel in das Auge gelangt, die Austrittspupille d = D/m also kleiner oder gleich der Augenpupille d
a bleibt. Auf diesen letzteren Fall wollen wir uns beschränken, um die Diskussion einfacher zu halten. Tatsächlich sind wir noch nicht ganz am Ziel: Da ja der Himmelshintergrund im Fernglas mit zunehmender Übervergrößerung abnimmt, kann das Auge hinter dem Okular auf eine niedrigere Helligkeit adaptieren, wodurch die Kontrastschwelle nochmals sinkt. Die Helligkeit des Himmels wird im Fernglas zu L'
H = L
H (D/[d
am])
2, weil die einfallende Lichtenergie im Instrument um den Faktor (D/d
a)
2 zunimmt, jedoch auf eine Fläche verschmiert wird, die um den Faktor m
2 größer ist. Wir erhalten dann im Fernglas die Schwellenleuchtdichte
IB = (L's)-1 = (D/da)2 / [p(L'H) + L'H] ('Berekindex')
4. Skalenverhalten
Wir vergleichen den Berekindex eines (idealen) 10x50 Fernglases mit dem eines (idealen) 20x100 Fernglases. Beide haben identische Austrittspupillen und somit auch identische Hintergrundhelligkeiten L'
H. In diesem Fall vereinfacht sich der Quotient beider Indexe zu I
B(20x100) / I
B(10x50) = 100
2/50
2 = 4. Er skaliert somit exakt mit der Gesamtenergie, die von dem Objekt in das Objektiv gelangt. Das macht Sinn, da sich alle physiologischen Aspekte, die in der Funktion p(L'
H) verbergen, aufheben. Man beachte, dass der Adlerindex hier zu einem falschen Ergebnis kommt: I
A(20x100) / I
A(10x50) = 2.83, eine Verletzung des Energieerhaltungssatzes. Auf diesen Fehler des Adlerindex hat kürzlich Beat Fankhauser hingewiesen (Beat Fankhauser:
Eine neue Leistungsgröße für Ferngläser, ORION, Nr. 387, 2/2015). Er hat stattdessen den neuen Index
IF = (m2D)2/3 (Index von B. Fankhauser)
vorgeschlagen, der die Energieerhaltung berücksichtigt, und andernfalls - ähnlich wie der Adlerindex - die Vergrößerung stärker gewichtet als den Objektivdurchmesser. Sein Index wird auch
hier in einem Artikel auf dem englischsprachigen cloudynights-Forum diskutiert.
Wie verhält sich der Berekindex als Funktion der Vergrößerung bzw. des Objektivdurchmessers? Da Bereks charakteristische Lichtstromfunktion p(L'
H) recht kompliziert ist, lässt sie sich nicht einfach als ein simples Potenzgesetz darstellen. Immerhin kann man versuchen, diese Funktion im Bereich geringer Adaptionsleuchtdichten zu approximieren, und erhält etwa p(L'
H) ~ a (L'
H)
0.45, und da a>>1, folgt dann der vereinfachte Index
IB ~ D1.1 m0.9, (genäherter Berekindex)
und hier dominiert der Objektivdurchmesser ein wenig über die Vergrößerung.
5. Vergleich mit Beobachtungsdaten
Die Grenzgrößen wurden von
Ed Zarenski mit diversen Ferngläsern ermittelt. In der Abbildung (Anhang) sind die theoretischen Grenzgrößen, ermittelt mit dem Adler-, dem Berek- und dem Fankhauserindex, über die experimentell ermittelten Grenzgrößen von Ed Zarenski aufgetragen. Die Daten sind zum besseren Vergleich auf das Fujinon 16x70 normiert worden, da dieses Fernglas vermutlich das qualitativ beste war und somit so nah wie möglich an dem perfekten Fernglas, das die theoretischen Modelle voraussetzen. Logischerweise liegen die meisten Datenpunkte oberhalb der Diagonalen, weil ja die realen Ferngläser eine geringere Leistung bringen sollten als ein perfektes Glas.
Man erkennt, dass die drei Indizes die Tendenzen im wesentlichen korrekt wiedergeben. Der Berek- und der Fankhauserindex liegen meist sehr nah beieinander, obwohl sie ja unterschiedliche Skalenverhalten als Funktion der Vergrößerung und des Objektivdurchmessers aufweisen. Auch der Adlerindex, der den Energiesatz nicht erfüllt, zeigt in diesen Daten kein grundsätzlich falsches Verhalten.
Hier bleibt noch einiges zu klären: Warum sind die unterschiedlichen Ansätze, trotz ihrer Eigenheiten, allesamt in der Lage, die Grenzgrößen (im Rahmen gewisser, zu erwartender Fehler) zu reproduzieren? Wieso kann ein Modell, das den Objektivdurchmesser stärker gewichtet als die Vergrößerung, zu ähnlich brauchbaren Resultaten führen wie Modelle, bei denen es umgekehrt ist? Vermutlich werden zur Klärung dieser Fragen noch genauere Messungen erforderlich sein, in denen diverse unbekannte Parameter (Transmission, Abbildungsgüte etc.) eliminiert werden. Beat Fankhauser hat daher vorgeschlagen, alle Messungen an einem einzelnen Teleskop hoher Güte durchzuführen, bei dem durch Wechsel der (ebenso guten) Okulare und durch Abblenden des Objektivs unterschiedliche m und D Werte gemessen werden könnten.
So, es wurde etwas länger, sorry für die Umstände, und, wer durchgehalten hat: Danke für die Aufmerksamkeit :-)
Viele Grüße,
Holger