Zunächst einmal ein herzliches Willkommen hier! Da ich gerade etwas für genau denselben Einsatzzweck suche, nämlich tief in die Bergwelt schauen (zwar in Österreich und nicht im Allgäu, aber sei's drum), darf ich gleich antworten.
Erster Grundsatz: Jedes Spektiv kann nur so gut sein wie das darunter befindliche Stativ. Je höher die Vergrößerung ist, mir der man beobachten möchte, desto wichtiger ist der absolut stabile Stand des Spektivs. Noch wichtiger wird das dann, wenn auch Umwelteinflüsse wie insbesondere Wind dazukommen. Ich habe zwei Stative, eine leichtes Alustativ von Cullmann und ein mordsschweres von Linhof, da liegen Welten zwischen den beiden. Das Linhof ist die Ruhe selbst, das Cullmann kann man nur bei Windstille benutzen, und wenn man auch nur leicht dran stößt, dann schwingt alles.
Nun zum Spektiv: Vor etwa zwei Jahren habe ich mir als Einstieg ein kleines Spektiv gekauft, das man auch gut mal auf eine Reise oder auf eine Wanderung mitnehmen kann. Es ist ein Opticron MM4 60 ED mit einer Vergrößerung von 15 - 45 fach. Mit diesem Spektiv bin ich bisher sehr zufrieden (knackscharfes Bild bis zum Rand, auch bei höchster Vergrößerung), wollte nun aber mehr Vergrößerung haben, mindestens 70fach, besser 80fach oder mehr. Das geht nur mit einer entsprechend großen Linse vorne, damit genug Licht reinkommt.
Nach dem Motto "man gönnt sich ja sonst nichts" und im übrigen nervt Corona bin ich in die Vollen gegangen und habe mir ein Kowa TSN 883 Spektiv gekauft, dazu noch einen 1,6fach Extender, so dass sich insgesamt ein Vergrößerungsbereich von 25 - 96fach abdecken lässt. Das genannte Kowa gilt als eines der weltweit besten Spektive überhaupt, es spielt in derselben Liga wie das Swarovski ATX oder BTX (der Unterschied zwischen ATX und BTX liegt ja nur im Okular, die restliche Optik ist dieselbe). Am vergangenen Wochenende habe ich mit viel Vorfreude das neue Kowa ausprobiert und natürlich auch mit meinem bisherigen Spektiv verglichen. Im Rahmen eines sich über mehrere Stunden an zwei verschiedenen Tagen hinziehenden Vergleichs ist meine Vorfreude dann aber immer mehr zur Enttäuschung geworden. Warum?
Das Kowa kostet etwa 3,5 mal soviel wie das Opticron, hat eine Frontlinse mit 88mm Durchmesser (statt 60mm beim Opticron) und eine angeblich herausragende Optik, da sind die Erwartungen natürlich hoch. Natürlich ist die mit dem Kowa erreichbare Maximalvergrößerung von 96fach etwas anderes als die 45fache des Opticron. Natürlich ist - bei gleicher eingestellter Vergrößerung - das Bild des Kowa auch heller als das des Opticron (weil die größere Frontlinse des Kowa mehr Licht einfängt). Aaaber, vergleicht man beide Spektive bei gleicher Vergrößerung (nur dann ist der Vergleich ja fair), also beispielsweise bei 30facher oder 45facher Vergrößerung, dann ist der Unterschied in der Erkennbarkeit von Details minimal bis nicht vorhanden. Mit anderen Worten, ich konnte mit dem 3,5 teureren Spektiv nicht mehr erkennen als mit dem "billigen". Montiert war das Kowa dabei übrigens auf dem Linhof-Stativ, das Opticron hingegen auf dem Cullmann, was einen Vorteil für das Kowa darstellte.
Ich habe dann, weil ich es nicht glauben mochte, auch Vergleiche im Nahbereich angestellt, damit Luftverwirbelungen keinen Einfluss mehr haben können. Auf eine Distanz von 5m konnten beide Spektive - wieder bei derselben eingestellten Vergrößerung - das Druckraster einer Illustrierten auflösen (und zwar bis zum Rand und auch bei höchster Vergrößerung des Opticron, also 45fach). Auch da also kein signifikanter Unterschied.
Im Ergebnis würde ich sagen, dass das Kowa maximal 10% besser war als das Opticron (das Bild des Kowa war
etwas kontrastreicher und
etwas heller, aber nicht schärfer). Bei Einsetzen des 1,6fach Extenders (nur dann kommt man auf 96fach, sonst endet das Kowa bei 60fach) war das Bild des Kowa genauso "dunkel" wie das des Opticron.
Ein Anruf beim Verkäufer ergab nichts Erhellendes. Ich sagte ihm, vielleicht hätte ich besser das Swarovski gekauft, aber er antwortete, dass das auch nicht besser sei als das Kowa.
So kam es, dass ich das schöne neue Kowa heute wieder zurückgeschickt habe und wieder am Anfang stehe. Eine 10%-ige Leistungsverbesserung ist jedenfalls mir keine 3000 € wert.
Fazit: Bevor in ein so teures neues Spektiv investiert wird, egal von welcher Marke, kommt man um einen Vergleich mit dem bestehenden Equipment nicht herum.
Beste Grüße
Andreas