Hallo matthias,
ich möchte Ihr "Problem" an einem Beispiel erklären. Vor langer Zeit war ich einmal hobbymäßiger Filmvorführer. Davon ist mir jahrelang geblieben: wenn in Spielfilmen im TV rechts oben weiße Zeichen (meist Kreise) erscheinen, bedeutet das, die Rolle wird bald aus, Achtung nächste Rolle starten. Durch dieses technische Wissen wurde ich vom Filmgenuss gewissermaßen abgelenkt. Heute achte ich nicht mehr so darauf, ich habe (fast) wieder das unbefangene Filmansehvergnügen.
So ähnlich ist es auch mit dem Vogelbeobachten. Nach gewisser Zeit sieht man nicht mehr Kohlmeisen, sondern 3m, 4 juv KM (3 Männchen und 4 Jungvögel). Man beginnt zu zählen und genauer zu erfassen (Anzahl und Geschlecht oder sogar Unterart). Das naive Vogelgucken ist damit vorbei.
Wenn ich heute entspannt beobachte, "erfasse/zähle" ich nur die gesehenen Arten und nur die Bedonderheiten schreib ich genauer auf. Ansonsten dient alles Beobachten +/- "wissenschaftlichem" Zweck im weitesten Sinn. Gutes Beispiel war das Usutuvirus (Amselsterben), das vor einigen Jahren bei uns in Ö aufkam (heute in D). Kein Mensch hatte Amseln gezählt, nicht einmal grob geschätzt, die waren überall. Plötzlich gab es fast keine mehr (bis 90% weniger). Da wären vorher-nachher Zahlen nicht schlecht gewesen. Nachher hab ich die wenigen Amseln gezählt, heute wieder nicht mehr, jetzt sind wieder so viele wie davor.
Das wird aber auf allen Gebieten so sein, dass intensive Beschäftigung die vorherige "Naivität" verdrängt, man sieht es dann nüchternern, technischer (was keine Wertung ist).
Ich persönlich war fast ein Jahrzehnt nur "Vogelgucker", ohne jede sonstige Ambition, bis man alles schon kennt und/oder sich tiefer mit der Sache beschäftigt, Fachbücher kauft, zu Vereinen beitritt etc. Man macht dann bei Zählungen mit oder meldet besondere Sichtungen (und unterstützt so die Forschung).
Übrigens hat auch K. Lorenz die "Verwissenschaftlichung" (das genaue Wort weiß ich nicht mehr) beklagt. Er selber hat mehr beobachtet und intuitiv Schlüsse gezogen, heute geht es mehr um Zahlen, exakte Versuche, Trends etc. Ohne Statistik geht da nichts. Das muss in Zahlen, Diagramme und Karten gegossen werden.
mfG JC_4