Zunächst eine Begriffsklärung, um Mißverständnisse auszuschließen. Sie schreiben von Einzelokulareinstellung und dann (offensichtlich in derselben Bedeutung) von IF. Normalerweise bedeutet IF aber Innenfokussierung, und das wäre etwas ganz anderes. Ich vermute, daß Sie eine Abkürzung für die amerikanische Bezeichung „individual focusing“ meinen, von der ich wegen dieser Verwechslungsgefahr für den Gebrauch in deutscher Sprache abrate. Wenn eine Abkürzung für nötig erachtet wird, schlage ich in Analogie zu ZF = Zentralfokussierung die Abkürzung EF = Einzelfokussierung vor.
Nun aber zum eigentlichen Thema. Sie sind offensichtlich doch den Steinerschen Behauptungen auf den Leim gegangen, denn die Schärfentiefe zweier Ferngläser mit identischen Kennzahlen (Vergrößerung x Öffnungsdurchmesser, z.B. 7x50) und einer auf dieselbe Entfernung vorgenommenen Scharfeinstellung (gleichgültig, ab individuell für jedes Okular oder gemeinsam mit einer Zentralfokussierug, egal, ob durch Okularhub oder durch Innenfokussierung) ist 100,0000…%ig gleich. Sie hat nichts mit der Bauweise der Fernglases zu tun, weder damit, ob es sich um ein Porro- oder ein Dachkantglas handelt, weder damit, ob das Fernglas kurz oder lang gebaut ist und lange Objektiv- und Okularbrennweiten oder kurze Objektiv- und Okularbrennweiten hat usw. Solange es z.B. zwei 7x50-Gläser sind, haben sie bei Scharfstellung auf z.B. jeweils 50 m exakt dieselbe Schärfentiefe für ein und denselben Beobachter bei identischer Umgebungs- und Motivhelligkeit; für einen anderen Beobachter kann sich bei anderem Akkommodationsvermögen eine andere Schärfentiefe, aber natürlich auch wieder mit beiden 7x50-Gläsern dieselbe ergeben, und bei anderer Umgebungs- und Motivhelligkeit kann sich aufgrund anderer Pupillengröße auch die Schärfentiefe ändern, aber ebenfalls für beide 7x50 in exakt gleicher Weise.
Wenn Sie also sagen, daß Sie beim Fernglas mit Einzelokularfokussierung nach Einstellung auf einen geeigneten Mittelwert (der Entfernung) schnell beobachtungsfähig sind, ohne lang nachfokussieren zu müssen, dann wären Sie es bei einem anderen Fernglas mit Zentralfokussierung ganz genauso gewesen, wenn dieses andere Fernglas dieselben Daten hat (z.B. 7x50) und auf denselben Entfernungs-Mittelwert eigestellt gewesen wäre.
Daß immer wieder – und nicht nur jetzt von Ihnen – behauptet wird, daß man beim Fernglas mit Eizelokularfokussierung nicht so oft nachfokussieren müsse, ist nur damit erklärbar, daß …
1. die Werbung von Steiner offensichtlich eine starke suggestive Wirkung hat und
2. die Leute, die das behaupten, dies allein aufgrund einer gefühlsmäßigen Bewertung sagen, statt es einmal unter wirklich objektiven Bedingungen zu überprüfen, wie ich es weiter oben schon beschrieben habe (neben einen langen Gartenzaun stellen, in Richtung des Gartenzaunverlaufs schauen, auf eine markierte Zaunlatte oder einen Zaunpfosten mit beiden Ferngäsern so präzise wie möglich scharfstellen und dann vergleichen, wie viele Zaunlatten vor und wie viele hinter dem Scharfstellpunkt in beiden Ferngläsern scharf wahrgenommen werden; sollten mit einem der beiden Ferngläser vorn mehr und hinten weniger Zaunlatten scharf zu sehen sein, hat dies seine Ursache in ungleichem Scharfstellpunkt - also darauf achten, daß die Verteilung der „nahen” und der „fernen“ Schärfentiefe bei beiden Ferngläsern geichartig ist, z.B. im Verhältnis 2:3 oder 3:4).
Ich empfehle dringend, diesen Test zu machen, denn diese wirklich völlig falsche Behauptung von Steiner gehört ausgerottet. Ihre häufige Wiederholung erweckt bei vielen noch unerfahrenen Fernglasfreunden den Eindruck, daß sie wohl doch stimmen müsse (denn Millionen Fliegen können sich nicht irren, wenn Sie …). Aber jeder weiß doch, daß auch noch so häufige Wiederholung einer falschen Aussage deren Wahrheitsgehalt nicht erhöht!
Walter E. Schön