Es gibt ein Bildstabilisierungssystem für Ferngläser, bei dem eine Flüssigkeit eine wesentliche Rolle spielt, nämlich das von Canon in den IS-Modellen eingesetzte, von Kenichi Kimura erfundene, 1996 noch unter dem ursprünglichen Namen „Variable-apes prism controller“ für Canon zum Patent angemeldete Varia-Angle-Prismen-System.
Hierbei werden Prismen benutzt, die aus zwei in Normallage parallel zueinander angeordneten Glasplatten bestehen, zwischen denen sich eine glasklare Flüssigkeit mit relativ hoher Brechzahl und möglichst niedriger Dispersion befindet. Die Seiten müssen natürlich flexibel angedichtet sein, was mit einer Art Faltenbalgen (ähnlich aussehend wie der Balgen einer verstellbaren Großformatkamera oder eines Balgengeräts für Nahaufnahmen) geschieht. Werden die beiden Glasplatten zueinander verkippt, verwandelt sich das im Ruhezustand planparallele System ohne optisch relevante Wirkung (außer einer Wegänderung) in ein Keilprisma, das die Richtung der ausfallenden Lichtstrahlen nicht mehr (wie die Planparallelplatte) lediglich parallelverschiebt, wenn sie schräg einfallen, bzw. unverändert läßt, wenn sie orthogonal zur Eintrittsfläche einfallen, sondern sie um einen bestimmten Winkel abknickt, der zu einer Bildverschiebung führt. Beschleunigungssensoren, die die Bewegung des Fernglases um zwei Achsen rechtwinklig zur optischen Achse (nämlich um eine vertikale und eine horizontale Achse) erfassen, liefern ihre Signale an einen Mikroprozesser, der errechnet, wie groß der Keilwinkel des Vari-Angle-Prismas sein muß, um eine solche zum Bildzittern gegenläufige Bildbewegung auszulösen, daß das Bild stillsteht. Vom Mikroprozessor angesteuerte Stellmotoren bewegen dann die Glasplatten der Vari-Angle-Prismen. Ich vermute, daß die eine Glasplatte die Kippbewegung um die senkrechte und die andere die um die waagerechte Achse ausführt und nicht eine Glasplatte beide Kippbewegungen, aber ich kenne leider keine Zeichnungen oder sonstigen Informationen von Canon, aus denen das hervorginge.
Die Flüssigkeit dient hier einzig und allein dazu, das Prisma flexibel zu machen.
Eine zweite Einsatzmöglichkeit in diesem Zusammenhang wäre zum Zweck einer Dämpfung, die ein Aufschaukeln von Schwingungen (bis hin zur Resonanz) verhindert und zu einer aperiodischen Rückbewegung in die Ruhelage verhilft. Hierzu wird im Prinzip das bewegte Teil mit einer Art Paddel versehen, das in eine hochviskose Flüssigkeit (z.B. ein etwas zähes Öl) eintaucht und bei Bewegung durch die entstehende Reibung bremst und quasi Bewegungsenergie „vernichtet“ (natürlich wird tatsächlich keine Energie vernichtet, sondern nur in Wärme umgewandelt). Ich glaube jedoch, daß so etwas bei keinem IS-Fernglas verwendet wird, weil es Probleme bei unterschiedlicher Orientierung („Blickrichtung“) des Fernglases gäbe: Öl könnte dort, wo das bewegliche Paddel ins Gefäß eindringt, auslaufen; eine Dichtung würde unerwünschte Friktion erzeugen. Besser eignet sich daher zur Bedämpfung bei bildstabilisierenden Ferngläsern eine lageunanhängige elektrische Wirbelstrombremse, wie sie im Zeiss 20x60 S benutzt wird.
Andere Anwendungen bzw. Anwendungsmöglichkeiten von Flüssigkeiten bei der Bildstabilisierung sehe ich nicht.
Walter E. Schön