Systeme, die wie Neigungsmesser mit Quecksilber arbeiten, wären viel zu ungenau, da die Zitterbewegungen sehr, sehr kleine Winkelamplituden und zu hohe Frequenzen haben (ca. 3 Hz bis 20 Hz sind relevant). Außerdem werden Ferngläser auch während des Beobachtens geschwenkt, so daß das Quecksilber hin und her schwappte.
Die verwendeten Sensoren arbeiten, wie Sie schon richtig vermuten, als Beschleunigungsaufnehmer, die aufgrund ihrer Anordnung im Fernglas Drehbeschleunigungen um zwei zur optischen Achse rechtwinklige Achsen (eine senkrechte und eine waagerechte) erfassen. Die Wandlung in ein elektrisches Signal könnte z.B. kapazitiv, induktiv oder piezoelektrisch sein; üblich sind aber meines Wissens hier nur Piezowandler. Die Bezeichnung „Gyrosensor“ ist deswegen etwas irreführend, weil man bei „Gyro“ an einen Kreisel denkt (was Herrn van den Berg wohl veranlaßt hat, sich mit dem Kreiselkompaß zu befassen). „Gyro“ bezieht sich jedoch nicht auf einen Kreisel, sondern die Erfassung einer WINKELbeschleunigung, also der Beschleunigung einer DREHbewegung (griech. gyros = rund).
Wie Sie schreiben, reichen diese zwei Achsen aus. Die dritte Achse (parallel zur optischen Achse) ist nicht deswegen irrelevant, weil der Benutzer keine Drehbewegungen um diese Achse verursachte (tatsächlich tut er das auch, wenn auch mit sehr viel kleinerer Amplitude), sondern weil eine solche Drehung des Fernglases keinerlei Auswirkung auf das Bild hat: Sie könnten z.B. im Fernglas um die optische Achse rotierende Linsen verwenden, ohne daß man das am Bild merkte (wenn die Zentrierung und Auswuchtung stimmt).
Beim Zeiss 20x60 S hat der Höhenwinkel (Winkel der Blickrichtung relativ zur Horizontebene) so gut wie keinen Einfluß auf die Bildstabilisierung, denn das System basiert nicht auf Schwerkraft, sondern auf Massenträgheit. Allerdings stellt man trotzdem bei sehr steil nach oben gerichtetem Fernglas eine schlechtere Bildstabilisierung fest, weil der Mensch in dieser Haltung mehr wackelt und zittert (verkrampfte Körperhaltung, Kopf weit in den Nacken abgeknickt, Arme „freischwebend“ weit weg vom Oberkörper, schlechteres Gleichgewicht durch die ungewohnte Kopflage, somit auch des Gleichgewichtsorgans im Ohr (Vestibularapparat) und durch den fehlenden „optischen Halt“ an einem feststehenden Horizont.
Walter E. Schön