In den vergangenen ca. 25 Jahren habe ich viel technische Dokumentation auch für Produkte japanischer Hersteller im Auftrag deren deutscher Importeure oder deutschen Firmenniederlassungen erstellt. Dabei sind mir oft in den als Vorlage übermittelten englischsprachigen Dokumenten (Anleitungen, Handbücher, Kataloge, Prospekte usw.) Fehler aufgefallen, die wahrscheinlich Fehler bei der Übersetzung der japanischen Origibnale ins US-Englische waren, manchmal aber auch schon in den japanischen Originalen enthalten gewesen sein dürften. Glücklicherweise genoß ich das volle Vertrauen meiner deutschen Auftraggeber und konnte alle Fehler nach eigenem Ermessen berichtigen. Vor allem bei gravierenden Fehlern machte ich fast immer auch die Japaner auf diese Fehler aufmerksam und gab ggf. Empfehlungen für eine korrekte Formulierung, damit die Fehler in Nachdrucken oder aktualisierten Neuauflagen behoben werden konnten. Oft waren die englischen Vorlagen selbst noch nicht gedruckt und hätten somit noch vor dem Drucken berichtigt werden können. Die Japaner reagierten jedoch in nahezu allen Fällen entweder gar nicht auf meine Hinweise oder in etwas scharfem Ton und ohne auf meine Argumente auch nur mit einem einzigen Wort einzugehen sinngemäß etwa so: Überlassen Sie uns die Entscheidung, was richtig ist, und übersetzen Sie, was wir geschrieben haben. Kein einziger meiner deutschen Auftraggeber ließ sich jedoch davon einschüchtern; nachdem ich ein paarmal zu Beginn der Zusammenarbeit überzeugend begründen konnte, warum die Aussagen in den englischen Dokumenten falsch sind und wie sie richtig lauten müssen, bekam ich freie Hand und mußte später auch keine Rechtfertigungen abgeben, warum ich etwas geändert habe.
Dazu drei kleine Beispiele:
1. In der US-englischen Anleitung einer Profi-Mittelformatkamera hätte in der Anleitung zum Auswechseln der Lupe eines Lichtschachtsuchers stehen müssen, daß man zum Abschrauben eines Gewinderings den Lichtschacht umgekehrt („upside down“) auf den Tisch legen soll, doch war „inside out“ (umgestülpt, innen nach außen) angegeben. Dieser Fehler war damals nicht ganz leicht zu erkennen, weil mir weder das Produkt selbst noch ein Foto oder eine Zeichnung vorlag. Auch derjenige, der die Übersetzung aus dem Japanischen ins Englische gemacht hatte, konnte sich wahrscheinlich nur auf einen reinen Text stützen. Doch mit ausreichender Sachkenntnis und mit guter Interpretation des weiter folgenden Textes ließ ich doch rekonstruieren, wie es hätte heißen müssen. Obwohl ich die Japaner auf diesen Übersetzungsfehler hinwies, wurde er nie berichtigt. Die deutsche Anleitung war natürlich korrekt. Die dann vorliegenden Fotos bestätigten die Richigkeit meiner deutschen Übersetzung.
2. Der Hersteller eines Weitwinkelkonverters gab einen Vergrößerungsfaktor von 0,5 an, doch konnte ich anhand von Vergleichsfotos, die dieser Hersteller auf seiner japanischen Website zeigte, nachweisen, daß der Vergrößerungsfaktor nur ca. 1,4 beträgt - eine wirklich simple Sache, zu der kein Expertenwissen nötig ist und die jeder Mensch mit nur durchschnittlichem Verstand begreifen kann, wenn man sie ihm erklärt. In der Antwort auf meinen Hinweis, dem ich die von mir in Photoshop zusammenmontierten und mit einer Maßstabsskala versehenen Vergleichsfotos als JPEG-Datei beigefügt hatte, wurde mit keinem Wort auf meine Begründung eingegangen, sondern nur gesagt, der angegebene Wert sei richtig und ich solle ihn nicht ändern. Der deutsche Importeur dagegen ließ sich von mir überzeugen und akzeptierte meine Änderung.
3. In den Anleitungen von drei Profi-Belichtungsmessern war u.a. die Erklärung der Unterschiede zwischen Licht- und Objektmessung physikalisch völlig falsch (offensichtlich nicht von einem Techniker, sondern einem Werbefuzzi formuliert, der die Zusammenhänge nicht begriffen hatte). Da der deutsche Importeur mir vertraute, konnte ich in den deutschen Anleitungen, in denen ich u.a. die gesamte Reihenfolge der 24 bzw. 32 Seiten erst einmal nach logischen Aspekten änderte und für die ich mindestens ein Dutzend Zeichnungen wegen sachlicher Fehler überarbeiten sowie fünf eigene Zeichnungen hinzufügen mußte, alle Fehler berichtigen, was zum Teil nur mit völlig neu formulierten Texten möglich war. Die englischsprachige Anleitung jedoch enthält, obwohl ich den Japanern ein langes Schreiben mit vielen Hinweisen und auch neuen Formulierungsvorschlägen in Englisch zusandte und später die gedruckten deutschen Anleitungen der drei verschiedenen Meßgeräte nachreichte, bis heute alle Fehler. Auf mein Schreiben, das mich einige (nicht berechnete) Arbeitsstunden gekostet hatte, bekam ich nie eine Antwort.
Man betrachtet in Japan trotz aller westlicher Einflüsse heute noch immer sehr oft das Eingeständnis eines Fehlers als einen Gesichtsverlust (auch wenn darauf kaum mehr ein Harakiri erfolgt). Und ein Hinweis auf einen Fehler wird, obwohl seine Berichtigung im Interesse der Firma liegt, wie eine Unhöflichkeit behandelt, auf die man am besten gar nicht reagiert (die österreichische Methode: „goarnet erst ignoriern“) oder mit gewisser Schärfe im Ton zu erkennen gibt, daß man sich von anderen nicht belehren lassen will.
Sicher sind nicht alle Japaner bzw. nicht alle japanischen Firmen so. Aber meine langjährige Erfahrung zeigt, daß immer noch eine Mehrheit so reagiert. Bei deutschen Firmen habe ich das glücklicherweise bisher nie erlebt – was nicht heißt, daß es nicht doch auch hier ab und zu vorkommt. Allerdings hat der englische Mutterkonzern eines ehemals sehr großen, inzwischen aber nicht mehr existierenden Fotounternehmens ebenfalls meine Hinweise auf Fehler in den englischen Originaldokumenten ganz ähnlich wie die Japaner entweder ignoriert oder entrüstet (jedoch stets unter Verzicht auf Argumente, die es ja auch gar nicht geben konnte) zurückgewiesen. Oft hatte ich das Gefühl, der letzte Weltkrieg hätte da noch nachgewirkt und man wolle sich als stolzer Engländer von einem Deutschen nichts sagen lassen. Aber auch hier durfte ich aufgrund des Vertrauens der deutschen Geschäftsleitung über 15 Jahre lange alle deutschen Druckschriften so abfassen und auch teils erhebliche inhaltliche Änderungen vornehmen, wie ich es für richtig oder besser hielt. Die deutsche Niederlassung dieses Unternehmens hat übrigens bis zur Insolvenz des Mutterkonzerns (mit zu vielen Flaschen in wichtigen Positionen) gute Gewinne gemacht; sie wurde jedoch vom Strudel des Mutterkonzerns mitgerissen und existiert deshalb auch nicht mehr. Übrigens bestehen zwischen den damaligen Eigentümern des Mutterkonzerns, einer britischen Investorengruppe ohne einschlägige Erfahrung im Fotobereich, und den Eigentümern der jetzt durch Insolvenz betrohten Hertie-Kaufhauskette beängstigende Parallelen.
Was jetzt den vorliegenden Fall „Fujinon“ betrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß bislang eigentlich nicht diese Firma, sondern ihr in dieser Sache verantwortlicher Repräsentant Herr Korth von meiner Kritik betroffen ist. Vielleicht hätte ich das in meinen vorherigen Beiträgen deutlicher machen müssen. Ich habe in allen meinen diesbezüglichen Beiträgen auch nie Fujinon als unseriöse Firma dargestellt, wie mir von zwei etwas vorlauten Kritikern unterstellt wurde, die leider gegenüber Argumenten resistent und ignorant blieben und sich so selbst disqualifizierten. Noch baue ich darauf, daß nach Prüfung der eingesandten Ferngläser von „höherer Instanz“ (ich bin nicht sicher, daß sich die angeschriebene Geschäftsleitung selbst darum kümmern wird, denn das wäre eher Sache der Fachleute aus der Technik) doch noch eine glaubhafte Erklärung und Entschuldigung sowie ein Versprechen kommen wird, diesen Fehler künftig abzustellen. Warten wir also erst mal in Ruhe ab, wie die offizielle Reaktion ausfallen wird. Nachdem wir schon drei volle Monate gewartet haben, soll es auf eine oder zwei weitere Wochen nicht mehr ankommen.
Walter E. Schön