Herr Dr. Dipl.-Ing. hat das Problem nicht „aus einer anderen Sicht”, sondern schlichtweg falsch dargestellt, und Ihre Argumentation ist leider auch falsch:
Der Kulisseneffekt ist etwas anderes als der Globuseffekt. Der Kulisseneffekt entsteht, weil das Fernglas quer zur optischen Achse (also nach links/rechts und oben/unten) den Sehwinkel vergrößert, gleichzeitig aber die Abstände längs der Achse (also vorn/hinten) verkürzt. Dadurch erscheinen räumliche Gegenstände kulissenhaft „flachgedrückt” und in ihren Abständen zueinander „gestaucht”. Der Kulisseneffekt hängt ausschließlich vom Vergrößerungsfaktor der Fernglases ab (je stärker vergrößernd, desto stärker erscheint die Tiefenausdehnung gestaucht) und hat absolut nichts mit Verzeichnung oder Randschärfe zu tun und wird von diesen beiden Parametern weder verstärkt noch abgemildert.
Ihre Schlußfolgerung …
„Dann wird man aber üblicherweise ein geringes Maß an Verzeichnung hinnehmen müssen. Gerade Linien werden am Rande des Gesichtsfeldes nicht mehr gerade, sondern minimal durchgebogen abgebildet.”
… ist also bezüglich des Kulisseneffekts falsch. Sie wäre dann richtig, wenn es um den GLOBUSEFFEKT ginge und wenn Sie die einzubringende Vereichnung als KISSENFÖRMIG angegeben hätten (tonnenförmige Verzeichnung würde den Globuseffekt noch verstärken).
Ferner ist Unschärfe am Bildrand keine physiologische Entlastung, sondern eine Belastung, weil der nicht vom Willen steuerbare Akkomodationsautomatismus (im Bestreben, durch An- oder Entspannung des Augenlinsen-Ringmuskels bestmögliche Bildschärfe in der Fovea herzustellen) versagen oder zumindest zu einen unvollkommenen Ergebnis führen muß.
Richtig ist nur, daß eine höhere Randschärfe eine größere Informationsflut ins Hirn spült, aber wenn Sie das als eine Belastung empfinden, dann empfehle ich Ihnen, bei Ihrem Fernglas die Objektive dünn mit Vaseline einzureiben. Denn dann wird durch den resultierenden Weichzeichnereffekt über das volle Bildfeld hinweg Ihr Hirn noch mehr entlastet und Sie können völlig entspannt Ihr nebulöses Bild betrachten. Dabei können Sie sogar viel Geld sparen, denn für derartige Weichzeichnerbilder sind Billigferngläser noch besser geeignet.
Zu Ihrem letzten Satz: Abgesehen davon, daß auch hier „Kulisseneffekt” durch „Globuseffekt” ersetzt werden muß, damit Ihre Aussage wenigstens halbwegs stimmt, möchte ich Sie persönlich fragen, ob Sie denn schon mal beim Schwenken eines Fernglases von „Unwohlsein” befallen wurden. Ich habe nämlich den Verdacht, daß irgendein Fernglashersteller diese maßlose Übertreibung in die Welt verbreitet hat, weil er damit die auffällige kissenförmige Verzeichnung seiner Ferngläser rechtfertigen wollte. Und seither wird diese Behauptung mehr oder weniger kritiklos nachgeplappert.
Ich habe noch nie „Unwohlsein” verspürt, wenn ich ein nahezu verzeichnungsfreies Fernglas beim Beobachten verschwenkt habe, und mir ist auch niemand anderer bekannt, dem es so ergangen wäre. Ein ans Unwohlsein grenzes Gefühl kam bei mir bestenfalls dann auf, wenn die Kollimierung des Ferglases nicht stimmt, also die beiden Bilder fürs linke und rechte Auge so stark höhenversetzt oder zueinander verkippt waren, daß mein Hirn die beiden Bilder nicht mehr oder nur unter einer Art „Kopfschmerz” zur Deckung bringen konnte. Ich vermute, daß diese schon von vielen, insbesondere vielen Billigfernglaskäufern beobachtete Erscheinung mangels ausreichender Fachkenntnis und Differenzierung mit dem Globuseffekt in einen Topf geworfen wurde und sich so die Mär vom „Unwohlsein” lebendig erhalten hat.
Walter E. Schön