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Über das Wesen kissenförmiger Verzeichnung

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25. Oktober 2004 16:03
Ich kenne diese Kilometersteine nicht, doch muß der von Ihnen beschriebene Effekt natürlich in gleicher Weise auch bei anderen Kilometersteinen oder ähnlichen Objekten funktioniern. Aber nun zu den physikalischen Erklärungen:

Wenn ein im Bildzentrum scharfgestelltes Objekt nach dem Schwenken des Fernglases nahe dem Bildkreisrand größer erscheint, dann liegt dort definitionsgemäß positive Verzeichnung, nicht zwangsläufig aber kissenförmige Verzeichnung vor. Das wird oft verwechselt, zumal vor allem in Fotozeitschriften und Fotobüchern, gelegentlich auch in Fachbüchern immer wieder die falsche Aussage zu lesen ist, daß eine positive Verzeichnung kissenförmig sei. Daher möchte ich erst klären, wie Verzeichnung definiert ist und wie kissen- bzw. tonnenförmige Durchbiegung gerader, nicht durch das Bildzentrum verlaufender Linien zustande kommt.

Die jedem Objektiv, auch Fernrohr- oder Fernglasobjektiv, zugewiesene Brennweite ist die für das paraxiale Gebiet (also das Gebiet in unmittelbarer Nähe der opt. Achse) geltende Brennweite. Aufgrund verschiedener Abbildungsfehler kann sich die Brennweite außerhalb des paraxialen Gebiets ändern, und zwar sowohl allein schon bei monochromatischem Licht mit dem Bildwinkel als auch zusätzlich noch bei Änderung der Lichtfarbe mit der Wellenlänge (woraus dan Farbsäume resultieren).

Wenn rein rechnerisch unter Zugrundelegung der fürs paraxiale Gebiet geltenden Brennweite ein Bildpunkt die Bildhöhe h1 (= Abstand von der opt. Achse) haben sollte, tatsächlich aber die Bildhöhe h2 hat, bei h2>h1 also weiter außen und bei h2<h1 weiter innen liegt, dann ist die Verzeichnug definiert als

Verz = (h2 - h1)/h1

Das ist die relative, an der Sollhöhe normierte Deplazierung, die auch als Prozentwert angegeben werden kann. Dieser Wert ist positiv, wenn h2>h1, und er ist negativ, wenn h2<h1. Ein positiver Vezeichnungswert bedeutet also, daß an der Stelle des betreffenden Bildpunktes die Abbildung größer ist als im Bildzentrum (und daß für diesen Bildpunkt somit auch die Brennweite größer als im Zentrum ist).

Wann aber entsteht eine Verbiegung gerader Linien, von der wir wissen, daß sie dann am stärksten ist, wenn die Linien tangential zu einem Kreis um das Bildzentrum sind, bei Fotos also beispielsweise parallel zu den geradlinigen Bildrändern?

Dazu betrachten wir eine gerade senkrechte Linie beispielsweise am rechten Bildrand (z.B. eine Hauskante in einem das Haus nahezu formatfüllend zeigenden Foto). Wäre die Verzeichnung am Bildrand positiv und über die volle Länge der gesamten Hauskante konstant, dann hätte das nur zur Folge, daß die Kante größer (= länger) abgebildet wird; sie bliebe aber geradlinig! Das ist so, als würden Sie sich mit dem Kopf eines Vergrößerungsapparates oder mit einem Diaprojektor etwas weiter von der Projektionsebene (Fotopapier bzw. Leinwand) entfernen. Erst wenn wir annehmen, daß die positive Verzeichnung vom Bildzentrum zum Rand hin KONTINUIERLICH (nicht zwangsläufig gleichförmig) ZUNIMMT, entsteht eine Verbiegung der Kante: Die Mitte der Hauskante auf halben Höhe nahe dem rechten Rand des Bildes wird wegen der positiven Verzeichnung in größerem Abstand von der opt. Achse abgebildet, als sie abgebildet werden sollte (h2>h1). Hätte exakt dieselbe Vereichnung auch noch in den Bildecken gegolten, dann wären das obere und das untere Ende der Hauskante prozentual (nicht absolut!) um gleichviel in radialer Richtung nach außen versetzt und die Linie bliebe gerade. Weil aber die Verzeichnung nun von uns als nach außen hin zunehmend angenommen wird, ist dort die Verzeichnung noch größer (h2>>h1) und das obere und untere Ende der Hauskante wird noch weiter nach außen verschoben, so daß „kissenförmige Zipfel” entstehen.

Kissenförmige Verzeichnung ist also NICHT das Resultat POSITIVER, SONDERN in positiver Richtung ZUNEHMENDER Verzeichnung. Für den Laien kurioserweise kann kissenförmige Verzeichnung sogar dann auftreten, wenn die Verzeichnung am Bildrand negativ ist, nämlich beispielsweise wenn sie bei 70% Bildhöhe -1,5%, bei 80% Bildhöhe -1,2%, bei 90% Bildhöhe -0,8% und bei 100% Bildhöhe -0,2% beträgt (alle Werte sind negativ, aber sie nehmen nach außen hin zu!). Entscheidend für die Art der Durchbiegung ist nicht der Wert der Verzeichnung, sondern ihre Änderung. Mathematisch ausgedrückt ist die Durchbiegung nicht proportional zur Verzeichnung(skurve), sondern zu ihrer 1. Ableitung bzw. zu ihrem Gradienten. Wie das obige Zahlenbeispiel zeigt, kann sogar eine starke kissen- oder umgekehrt auch tonnenförmige Verzeichnung nahe dem Bildrand auftreten, wenn die Verzeichnung genau am Bildrand oder beim Foto in der Bildecke 0 % (Null %) beträgt. Dies zeigt, wie blödsinnig die von nahezu allen Fotozeitschriften bei Objektivtests angegebenen Verzeichnungswerte sind, die in (und nur in) der Bildecke gemessen werden.

Zurück zu Ihrer Beobachtung. Daß Sie am Grenzstein keine oder kaum eine Verbiegung feststellen konnten, liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht daran, daß keine aufgetreten ist, sondern daran, daß die Kante einfach zu kurz war, um an ihr eine Krümmung wahrzunehmen. Um kissen- oder tonnenförmige Verzeichnung deutlich zu sehen, sollte man schon eine lange, möglichst ober die volle Bildhöhe reichende vertikale oder eine über die volle Bildbreite reichende horizontale Kante betrachten. Stellen Sie sich in so einer Entfernung zu einem hohen Haus (ich meine nicht den Bundestag) auf, daß eine senkrechte Hauskante die volle Bildhöhe ausfüllt oder größer ist. Wenn Sie diese Hauskante so anpeilen, daß sie durchs Bildzentrum verläuft, sehen Sie sie bei jedem Fernglas ungeachtet seiner Verzeichnung schnurgerade. Schwenken Sie nun das Fernglas nicht zu langsam so hin und her, daß die senkrechte Hauskante zwischen dem linken und dem rechten Bildrand hin und her pendelt. Bei einem nicht oder nur minimal verzeichnenden Fernglas (z.B. Nikon 8x32 HG oder Nikon 10x32 HG) merken Sie wahrscheinlich nichts von einer Durchbiegung. Wenn Sie dasselbe mit einem Fernglas mit deutlicher kissenförmiger Verzeichnung (z.B. Leica Trinovid) machen, verbeult sich die Hauskante um so stärker, je näher sie dem linken oder (gegenläufig) rechten Bildrand kommt, und an dieser mal nach der einen und mal nach der anderen Seite erfolgenden Verbiegung erkennen Sie sehr schnell und sogar ohne jegliche Erfahrung sofort, ob ein Fernglas schwach oder stark kissenförmig verzeichnet. Mir ist übrigens kein einziges Fernglas bekannt, das tonnenförmig verzeichnet, obwohl dies grundsätzlich auch möglich wäre.

Ich hatte oben von „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” geschrieben – warum? Weil es einen Sonderfall geben kann: Wenn die Verzeichnungskurve eines Objektivs oder Fernglases vom Nullpunkt zunächst nahezu horizontal verläuft und anfangs nur schwach, dann stärker ansteigt und schließlich ein Maximum erreicht, nach dem sie wieder leicht abfällt (ohne unbedingt wieder 0% erreichen oder gar in den negativen Bereich fallen zu müssen), dann wäre in dem Fall, daß Ihr beobachteter Grenzstein etwa dort im Bildfeld lag, wo die Verzeichnungskurve ihr Maximum hat, zwar eine Vergrößerung gegenüber der Bildmitte feststellbar (weil dort h2>h1, also h2-h1 positiv ist), aber keine Durchbiegung (weil sich im Maximum wegen der dort horizontalen Tangente an die Verzeichnungskurve die Verzeichnung NICHT ÄNDERT).

Damit kann ich Ihnen die Feststellung (Zitat:) „Aus der kissenförmigen Verzeichung schließe ich auf eine stärkere Vergrößerung zum Rand hin, aber zusehen ist nix.” (Zitat-Ende) erklären. Sie erwarteten – wie das eben fälschlich so üblich ist – daß „kissenförmig” und „stärkere Vergrößerung” gleichbedeutend sei. Das stimmt aber nicht: „kissenförmig” ist feststellbar, wenn die Verzeichnung an dieser Stelle anwächst, was auch bei einer aktuellen Verzeichnung von 0% oder gar bei negativer Verzeichnung sein kann und somit nicht zugleich „stärkere Vergrößerung” an dieser Stelle ergeben muß. Umgekehrt tritt bei einer Verzeichnungskurve, die nicht kontinuierlich bis zum Bildrand wächst, sondern vor dem Bildrand ein Maximum hat, von dem aus sie wieder leicht abfällt, an der Stelle dieses Maximums die „stärkste Vergrößerung” ein, aber absolut keine Verbiegung gerader Linien, weil die Kurve am Ort des Maximums weder ansteigt noch abfällt, sondern horizontal verläuft.

Daß Sie am Conquest und am Zeiss 15x60 ein so unterschiedliches Verhalten beobachten, muß, wenn Ihre Beschreibung korrekt ist (ich kann das mangels der von Ihnen genannten Ferngläser nicht überprüfen), daran liegen, daß die Verzeichnungskurven unterschiedlich geformt sind: Ein kissenförmig verzeichnendes Fernglas zeigt dort starke Vergrößerungszunahme gegenüber der Bildmitte, wo die Kurve hohe positive Werte erreicht. Und es zeigt dort die stärkste kissenförmige Krümmung gerader Linien, wo die Verzeichnungskurve am steilsten aufwärts verläuft. Die Stellen höchster Werte und maximaler Kurvensteigung sind nicht dieselben!

Der von Ihnen beobachtete Farbsaum hat mir der typischen „Verzeichnung” nichts zu tun, sondern hat andere Ursachen (obwohl strenggenommen der Farbquerfehler nichts anderes ist als die chromatische Variation der Verzeichnung, aber darauf auch noch einzugehen, würde den Rahmen dieses Forums und auch mein Zeitkontingent sprengen).

Die Sache ist leider komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht, und die Fotozeitschriften, die hin und wieder über Verzeichnung schreiben, tragen mangels Fachwissens ihrer Redakteure mehr zu Verbreitung falscher Vorstellungen als zur Klärung bei. Warten Sie auf mein Fernglas-Buch, von dem ich hoffe, daß es im Frühjahr fertig ist. Dort werde ich auch dieses Thema ausführlich und wesntlich leichter verständlich darstellen, weil ich dort anders als hier im Forum Zeichnungen und Diagramme abbilden kann, die den komplizierten Sachverhalt besser vorstellbar machen, als es mit Worten allein möglich ist.

Walter E. Schön

Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Randschärfe und Vergrößerung

Rainer Braun 2622 21. Oktober 2004 16:07

Re: Randschärfe und Vergrößerung

Walter E. Schön 1285 21. Oktober 2004 16:35

Re: Randschärfe und Vergrößerung

Gutzeit 1386 21. Oktober 2004 19:17

Widerspruch, Euer Ehren!

Walter E. Schön 1542 21. Oktober 2004 22:30

Re: Widerspruch, Euer Ehren!

Gutzeit 1325 22. Oktober 2004 10:22

Präzisierung der Voraussetzungen

Walter E. Schön 1144 22. Oktober 2004 11:31

Re: Präzisierung der Voraussetzungen

Momo 1168 22. Oktober 2004 12:04

Kulisseneffekt ? Globuseffekt

Walter E. Schön 1403 22. Oktober 2004 12:51

Re: Kulisseneffekt ? Globuseffekt

Wolfgang Henseler 1359 24. Oktober 2004 08:38

Kleines Gesichtsfeld des Nikon 8x42 HG(-L)

Walter E. Schön 1501 24. Oktober 2004 10:37

Ergänzung eines unvollständigen Satzes

Walter E. Schön 1122 24. Oktober 2004 20:27

Re: Kulisseneffekt ? Globuseffekt

Rainer Braun 1410 24. Oktober 2004 12:30

Re: Kulisseneffekt ? Globuseffekt

A. Mackenbrock 1106 25. Oktober 2004 10:46

Re: Kulisseneffekt ? Globuseffekt

Wolfgang Henseler 1220 25. Oktober 2004 10:59

Re: Kulisseneffekt ? Globuseffekt

Franz-Josef Severin 1260 24. Oktober 2004 15:28

Über das Wesen kissenförmiger Verzeichnung

Walter E. Schön 1613 25. Oktober 2004 16:03

Re: Über das Wesen kissenförmiger Verzeichnung

Rainer Braun 1135 26. Oktober 2004 09:01

Verzeichnung kontra Farbsaum, 8x32 kontra 10x50

Walter E. Schön 1681 26. Oktober 2004 13:09

Re: Verzeichnung kontra Farbsaum, 8x32 kontra 10x50

Rainer Braun 1134 26. Oktober 2004 13:45

Re: Verzeichnung kontra Farbsaum, 8x32 kontra 10x50

A. Mackenbrock 1284 26. Oktober 2004 15:03

Re: Verzeichnung kontra Farbsaum, 8x32 kontra 10x50

Walter E. Schön 1356 26. Oktober 2004 22:58

Re: Verzeichnung kontra Farbsaum, 8x32 kontra 10x50

Erich Weidenfeld 1224 27. Oktober 2004 11:14

Re: Verzeichnung kontra Farbsaum, 8x32 kontra 10x50

Walter E. Schön 1106 27. Oktober 2004 18:09

Kontrast

Stephen Green 1425 28. Oktober 2004 12:02

Re: Kontrast

Gunnar 1249 28. Oktober 2004 16:05

Re: Kontrast

Stephen Green 1216 29. Oktober 2004 09:36

Re: Kontrast

Wolfgang Henseler 1323 29. Oktober 2004 10:23



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