1. Zum Begriff „identisch“:
Zwar ist „identisch“ von lat. „idem“ = derselbe oder dasselbe abgeleitet, aber es hat in der heutigen deutschen Sprache nicht die Bedeutung von „selbst“. Wenn ich z.B. sage „ich habe das Teleskop selbst gebastelt“, so kann ich hier nicht „selbst“ durch „identisch“ ersetzen. Auch im Satz „das Licht schaltet sich bei Dunkelheit selbst ein“ oder im Satz „selbst der Stärkste konnte den schweren Stein nicht heben“ geht das nicht. In zusammengesetzten Wörtern wie „selbstbewußt“ oder „Selbstbildnis“ versagt dieser Versuche ebenso.
Die Bedeutung von „identisch“ ist (keineswegs nur in Bayern!) vielmehr „völlig übereinstimmend“, „ein und derselbe/dasselbe“, wobei es ganz wesentlich auf die Wesenseinheit ankommt, die beim Wort „gleich“ nicht unbedingt gegeben sein muß. Ich verweise hierzu auf die oft verwechselten Ausdrücke „derselbe“ und „der gleiche“: Wenn z.B. sowohl Sie als auch ich ein Fernglas „Swarovski 8x32 EL“ hätten, dann könnte ich zwar sagen, daß ich „das gleiche“ Fernglas wie Sie besitze, aber nicht „dasselbe“ (letzteres hieße, daß wir uns ein und dasselbe Exemplar teilen). Insofern ist „identisch“ enger gefaßt als „gleich“, und genau deshalb hätte ich in meinem Vorschlag im vorigen Beitrag lieber „identisch“ als „gleich“ benutzt. Ich könnte jedoch im obigen Beispiel mit den 8x32-EL-Ferngläsern durchaus sagen, daß ich „dasselbe“ Modell oder „denselben“ Typ von Swarovski wie Sie besitze, denn dann handelt es sich bei dem so bezeichneten Gegenstand um ein und dasselbe Abstraktum (also Wesensgleichheit) und nicht um die zwei konkreten Ferngläser (zwei Individuen).
2. Zum Begriff „Trennschärfe“:
Sie dürfen „Visus“ nicht einfach durch „Trennschärfe“ ersetzen, denn es handelt sich bei „Visus“ um einen ganz präzise mit einer Meßvorschrift definierten Fachbegriff der Augenoptik, während „Trennschärfe“ wesentlich allgemeiner definiert ist und z.B. auch als eine Eigenschaft eines Rundfunkempfängers angegeben werden kann, zwischen den auf der Frequenzskala eng benachbarten Sendern einen, auf den der Tuner abgestimmt wurde, ohne oder nur mit geringsten Nachbarkanalstörungen (Interferenzen, Zwitschern, Übersprechen usw.) empfangen zu können.
Sie können den wegen seiner leicht verständlichen Wortbestandteile „trennen“ und „Schärfe“ auch dem Nichtfachmann in seiner Bedeutung klaren Begriff „Trennschärfe“ zwar zur Erklärung des Begrifft „Visus“ heranziehen und durch weitere Angaben präzisieren, aber nicht beide Begriffe gleichsetzen.
Wenn Sie jemandem, der nicht weiß, was ein Cembalo ist, erklären, daß dies ein Tasteninstrument sei, bei dem die Saiten angerissen werden, dann werden Sie doch sicher auch protestieren, wenn derjenige dann anschließend „Cembalo“ und „Tasteninstrument“ einfach gleichsetzt.
Walter E. Schön