Lieber Herr Müllers,
ich überlasse gerne jedem Anwender die Wahl des für ihn richtigen Fernglases. Ich wüsste auch gern, bei welcher Gelegenheit ich mich hartnäckig geweigert haben soll, zuzugeben, dass ein 7faches Fernglas für den Vogelkundler eine gute Wahl sein kann. Das kann es durchaus sein. Aber es ist aus guten Gründen für mich selten das bevorzugte Glas.
Offenbar denken mehrere Leute so. Ich kenne die Verkaufszahlen zwar nicht, aber was ich so unter den Feldornithologen sehe, ist eindeutig: 10fache Ferngläser sind nach meinem Eindruck deutlich weiter verbreitet als 7fache. Das dürfte gute Gründe haben, sonst hätten mehr Feldornithologen 7fache Gläser. Sicher ist dabei auch der Landschaftstyp von Bedeutung, in dem bevorzugt beobachtet wird.
Ihr Satz: "Ich bin jedenfalls sicher, dass Ihnen auf Zypern so manche Grasmücke nicht durch die Lappen gegangen wäre, und Sie die Doppelschnepfe auch einhändig ohne Absetzen des Spektivs noch erwischt hätten, wenn Sie ein 7/8-faches Glas dabeigehabt hätten" ist nun allerdings absolut spekulativ, weil Sie ja gar nicht dabei waren und die konkreten Situationen folglich auch gar nicht einschätzen können - die Doppelschnepfe flog mir z.B. entgegen, weil sie von einem Mitbeobachter zufällig aufgescheucht worden war, und landete, dicht an mir vorbeifliegend, hinter mir nach vielleicht 3-4 sec Flug in dickster Garrigue, woraus sie wohl nur noch mit einem Hund hätte aufgescheucht werden können. Ich hätte in dieser Lage vermutlich genauso das Stativ mit Spektiv abgesetzt, wenn ich ein 7faches Glas dabei gehabt hätte. Und damit hätte ich den Vogel genau so wenig "richtig ins Bild" bekommen. Immerhin haben wir ja den Vogel noch bestimmen können, wenngleich keiner dieses Tier schön oder, wie ich vorher schrieb, "richtig" ins Bild bekommen konnte.
Einhändig beobachten zu müssen finde ich natürlich immer wackelig bis krampfig, was aber nicht unbedingt bedeuten muss, dass man gewisse Merkmale gar nicht sehen kann: ein Rotkehlchen, eine Bachstelze oder einen nicht allzuweit fliegenden Star kann man doch in der Regel durchaus auch mit 10fachem Glas einhändig bestimmen. Und bei den Grasmücken sieht man wenigstens oft auch schwarze Köpfe oder weiße Schwanzkanten und setzt dann eben das Spektiv ab, um die Art genauer bestimmen zu können. Beim 7fachen Glas geht das einhändige Beobachten sicher leichter als beim 10fachen, aber völlig problemlos ist das auch nicht. Es geht übrigens jedenfalls mit meinen Händen bei meinem alten 7x42 Dialyt besser als mit dem neuen Victory 7x42 FL, das ja fast die gleichen Abmessungen hat wie das von mir mitgeführte Victory 10x42 FL.
Ich könnte nun auch mit größerem Anspruch auf Wahrheit als Sie (denn ich war im Unterschied zu Ihnen ja bei den konkreten Beobachtungen dabei) z.B. behaupten, dass ich ganz sicher bin, dass mir mit dem 7fachen Glas ebenfalls viele oder noch mehr Grasmücken durch die Lappen gegangen wären. Aber das könnte ich natürlich nur, wenn ich beide Gläser dabeigehabt hätte und konkret vergleichend angewendet hätte. Die Flugbestimmungen und mein Hals haben etwas dagegen und wieso das 10fache Glas und dazu noch das Spektiv mitgeführt wurde, habe ich ja wohl sachlich ausführlich genug begründet.
Ob 7fach, ob 10fach: Das Hauptproblem wird in solchen Fällen wie den von mir beschriebenen für jeden Beobachter mit jeder denkbaren optischen Ausrüstung das Verhalten der Grasmücken zu dieser Jahreszeit und in dieser Landschaft sein. Wenn eine Brillengrasmücke aus der dicksten Vegetation eben nicht herauskommt oder Sie nicht wissen, von wo aus sie die nächsten 3 m tief über den Boden bis zur nächsten Vegetationsinsel fliegen wird, hilft gar kein Fernglas, sondern höchstens noch das bloße Auge. In vielen Fällen ist zwar die Artbestimmung wegen der Rufe usw. möglich, aber man bekommt den Vogel nicht schön und nicht lange ins Glas, auch nicht ins 7fache, es sei denn, ihr 7x42 kann in dichte Macchie-Büsche hineinsehen, in die sich die Vögel ja ständig zurückziehen. So eines hätte ich dann auch gern :-)
Ich sehe zufrieden, dass einige Firmen in den vergangenen Jahren schon die Fokussierung ihrer Modelle optimiert haben, z.B. Nikon (HG), Swarovski mit den EL Modellen und Zeiss mit den FL.
MP