Aus Zeitknappheit keine Antwort in der sonst üblichen Ausführlichkeit, sondern diesmal etwas knapper, aber hoffentlich dennoch ausreichend:
Die MTF (Modulation Transfer Function oder deutsch Modulationsübertragungsfunktion) zeigt den Kontrast von sinus- oder rechteckförmig (sollte jeweils angegeben werden, damit man weiß, ob verschiedene Angaben vergleichbar sind) verlaufenden Linienstrukturen in Anhängigkeit von der Ortsfrequenz (= Feinheit der Struktur). Die MTF kann für den Bildpunkt auf der opt. Achse oder auch für außeraxiale Punkte angegeben werden. In letzterem Falle muß die Bildhöhe (= Abstand des untersuchten Punktes in der Bildebene von der opt. Achse) und die Richtung der Linienstruktur (radial oder tangential bzw. die zugehörige Schnittebene sagittal oder meridional) angegeben werden. Da zur Darstellung der Bildqualität über die gesamte Bildfläche dann aber eine nur schwer überblickbare Zahl von MTF-Kurven angegeben werden müßte, kann man sinnvollerweise einige wenige, jeweils z.B. um den Faktor 2 steigende konstante Ortsfrequenzen auswählen (bei Fotoobjektiven fürs Kleinbildformat meistens 10, 20, 40 und evtl. 80 Lp/mm) und den jeweiligen Kontrastverlauf über die Bildhöhe radial und tangential bzw. sagittal und meridional durch eine noch überblickbare Zahl von Kurven darstellen. Nach den vor knapp 40 Jahren von Heynacher und Köber (Carl Zeiss) durchgeführten und veröffentlichten und inzwischn weltweit anerkannten Untersuchungen ist für den visuellen Schärfeeindruck bei „normalen“ Bildern flächiger Objekte ein guter Kontrast bei mittleren Ortsfrequenzen (bei Kleinbildformat z.B. bei 10 und 20 Lp/mm) wesentlich wichtiger als das Erreichen höchster Auflösungsvermögen, und zwar nicht erst dann, wenn das Auflösungsvermögen der Auges erreicht oder überschritten ist, sondern schon weit darunter.
Sie sahen aus der obigen knappen und einfach gehaltenen Beschreibung, daß hier das Wort „Vergrößerung“ überhaupt nicht auftaucht. Warum? Weil man die MTF für jeden beliebigen Anwendungsfall, also auch für jede beliebige, in der Praxis vorkommende Vergrößerung ermitteln kann. Bei einem Fernglas, dessen Vergrößerung wegen des fest eingebauten Okulars fest vorgegeben ist (wenn man mal Zoomferngläser ausklammert), wäre die Angabe einer MTF natürlich nur für die dort vorliegende Vergrößerung interessant. Da die normalen MTF-Messungen aber Messungen in einer Bildebene sind, also ein reelles Bild voraussetzen, hätte man nur eine MTF, die die Abbildungsqualität des Objektivs charakterisiert und den (nicht weniger großen, oft sogar viel größeren) Einfluß des Okulars unberücksichtigt läßt. Insbesondere bei solchen Ferngläsern, bei denen der Hersteller gewisse Abbildungsfehler des Objektivsystems inkl. Umkehrprismen durch entgegengesetzte Abbildungsfehler des Okulars kompensiert (= sog. dialytische Ferngläser, deren bekannteste Vertreter die Dialyte von Hensoldt und Zeiss sind) gäbe eine Betrachtung der MTF in der Zwischenbildebene sogar ein total schiefes Bild!
Wollte man eine MTF für das Gesamtsystem des Fernglases ermitteln, müßte man bei der Messung ganz anders verfahren und Winkelauflösungen („Winkelfrequenzen“) statt Ortsfrequenzen erfassen oder aber ein genormtes, fehlerfreies „Standard-Auge“ haben, in dessen „Netzhaut“ man doch wieder Ortsfrequenzen messen kann. Letzteres erscheint mir aber technisch unmöglich oder zumindest mit so vielen Schwierigkeiten und Kompromißzwängen verbunden, daß es kaum sinnvoll wäre.
Wenn Sie nun astronomische Teleskope betrachten, so haben Sie dort ganz andere Prämissen: Sie betrachten nahezu punktförmige Objekte, und damit sind die Ergebnisse von Heynacher und Köber nicht anwendbar, sondern da kommt es dann doch auf das Erreichen maximaler Auflösung an, um z.B. Doppelsterne zu trennen oder schwächste Sterne sichtbar (oder fotografisch abbildbar) zu machen. Selbst wenn man Planetenbeobachtung und sogar Mondbeobachtung mit einbezieht, wo es doch wieder flächige Objekte sind, hat man beim Mond um knapp über eine Zehnerpotenz und bei den Planeten knapp drei und mehr Zehnerpotenzen kleinere Sehwinkel bei entsprechend höherer Vergrößerung, bei der man sich dann wieder der Beugungsgrenze nähert. Man kann also die Schärfekriterien für ein Fernglas überhaupt nicht mit denen eines astronomischen Teleskops vergleichen, sondern muß sie genz anders definieren.
Die Definitionshelligkeit sagt auch wieder nur für den sehr achsennahen Bereich (also wichtig für Astro-Teleskope, unzureichend für Ferngläser) etwas aus, und zwar darüber, wie gut die Korrektion der Aberrationen im Bereich des (bei Ferngläsern nicht relevanten) Beugungsbereichs ist, denn der Strahlwert sagt Ihnen, wieviel Prozent des Lichts, das bei einem als ideal gedachten, absolut fehlerfreien Objektiv in das Beugungsscheibchen fällt (aufgrund der Aberrationen real existierender Objektive aber anderso auf die Bildebene auftritt), tatsächlich ins Beugungsscheibchen fällt. Vergessen Sie also „Strehl“, wenn Sie über Ferngläser reden. Der Strehl hat mit der praktisch nutzbaren Leistung von Ferngläsern etwa soviel zu tun wie das Verhalten eines für den Stadtverkehr optimierten Kleinwagens mit dessen cw-Wert im Überschallbereich. Den Stadt-Wagen werden Sie vielleicht nach dessen Wendekreis, Spritverbrauch, Kofferraumgröße und dessen bequemer Zugänglichkeit, nach seiner Stellfläche (Parkraum), Motoralastizität bei niederen Drehzahlen usw. beurteilen müssen, aber nicht danach, ob seine Spitzengeschwindigkeit bis 260 km/h reicht und ob die Karosserie bei Mach 1,2 ins Flattern gerät und die Kotflügel sich dann lösen.
Warum betrachten Sie beim Fernglas, das ein vergleichsweise riesiges Sehfeld bietet, nur punktförmig die Bildfeldmitte und wollen dort eine um den Faktor 5 oder mehr bessere Schärfe haben, als das Auge sehen kann? Normale Fernglasnutzer wollen doch über mindestens 70% des Durchmessers oder besser möglichst bis zum Rand ein so scharfes Bild haben, daß sie keine störende „Unschärfe“ wahrnehmen (auch wenn sie nach Teleskop-Maßstäben vorhanden wäre), was im Randbereich erst dann der Fall ist, wenn dort das Auflösungsvermögen um einen Faktor von vielleicht 1/5 geringer wäre als das Auflösungsvermögen des Auges, das seinerseits etwa um denselben Faktor niedriger ist als die Beugungsgrenze. Betrachtungen des Strehlwerts an Ferngläsern haben mit der Praxis des Fernglasbeobachtung wirklich nichts mehr zu tun.
Das war jetzt keine präzise Erklärung, was MTF und Stehlwert bedeuten, aber eine hoffentlich verständliche Begründung, warum beide für Ferngläser relativ unwichtig sind oder, wenn man sie aus „akademischem“ Interesse doch betrachten wollte, völlig anders interpretiert werden müßten als bei einem astronomischen Teleskop.
Walter E. Schön