Da Ihnen hier schon zweimal widersprochen wurde, möchte ich Ihre Position, Herr Müllers, aus voller Überzeugung unterstützen.
Wer Ferngläser, egal ob beruflich (zum Gelderwerb) oder als Hobby (nur zum Vergnügen und zur Stillung von Wissensdurst) „ernsthaft“, also als echte Arbeitsgeräte benutzt, dem kann es nicht gleichgültig sein, ob die Drehrichtung der Fokussierwalzen einheitlich oder mal so und mal so ist. Ihre Formulierung „mit dem Fernglas arbeiten“ ist wohl von „konfokal“ und Herrn Merlitz nicht im richtigen Sinne interpretiert worden, denn „arbeiten“ muß ja nicht zwangsläufig „beruflich arbeiten“ bedeuten, sondern drückt lediglich aus, daß man damit ernsthaft zu bestimmtem Zweck (z.B. Vogelkunde) und nicht aus reinem Spieltrieb tätig ist.
Die von „konfokal“ zitierten wissenschaftlichen Erkenntnisse, daß der Zwang zur Anpassung an wechselnde Bedingungen und die damit verbundene geistige Aktivität die Gehirnleistung fördert und Alterserscheinungen verhindert oder verlangsamt, sind unbestritten. Aber wie schon Ihr Beispiel von jährlichen Wechsel zwischen Links- und Rechtsverkehr zeigte, dem fast unendlich viele weitere hinzugefügt werden könnten, wäre es töricht, nur um der damit erzwungenen Gehirnaktivität willen so einen Unsinn einzuführen, der in Ihrem Beispiel nur Chaos auf den Straßen förderte und die Unfallhäufigkeit unnötigerweise erhöhte.
Ich bin sicher, daß Sie ebenso wie ich Herrn „konfokal“ und Herrn Merlitz viel Spaß, Unterhaltung und geistige Fitness mit unterschiedlichen Drehrichtungen der Fokussierwalzen ihrer Ferngläser gönnen. Aber wir beide und mit Sicherheit die große Mehrzahl aller „ernsthaften“ Fernglasbeobachtern mit mehr als einem Fernglas werden den großen Vorteil einer einheitlichen Drehrichtung entweder gleich einsehen oder spätestens in der Praxis davon überzeugt werden.
Wenn ich einen Vogel im Geäst nicht scharf eingestellt habe und erkenne, ob die Äste vor oder hinter ihm schärfer sind, drehe ich ganz automatisch die Fokussierwalze gleich in der richtigen Richtung, ohne erst lange überlegen zu müssen, ob das gerade benutzte Fernglas so oder so herum fokussiert werden muß. Es muß schnell gehen, wenn man nichts versäumen will. Die Möglichkeit zur Aktivierung der grauen Zellen finde ich vielfach und ausreichend oft bei anderen Gelegenheiten, und ich hoffe sagen zu können, daß meine Beiträge hier im Forum nicht erkennen lassen, daß ich mangels geistiger Herausforderung durch wechselnde Fokussierwalzen-Drehrichtungen schon vergreist wäre.
Das eben Gesagte gilt nicht nur für Vögel im Geäst. Auch sonst ist bei noch nicht korrekt fokussiertem Fernglas normalerweise sofort, quasi intuitiv feststellbar, ob man in Richtung „weiter“ oder „näher“ fokussieren muß, und damit hat man dann reflexartig auch schon die richtige Drehrichtung.
Dazu möchte ich zur Verdeutlichung ein Beispiel aus dem Bereich Digitalkameras ausfühen: Bei der Phasenkontrastmessung mit Strahlteiler unterhalb des Spiegels der Spiegelreflexkamera „erkennt“ der AF-Mikroprozessor sofort, ob die Schärfe auf zu weit oder zu nah eingestellt ist und kann daher sofort den AF-Motor in der richtigen Richtung laufen lassen. Bei Kameras ohne diese Phasenkontrastmessung, also in der Regel bei den Kompaktkameras, die keine SLR-Kameras sind, dagegen „erkennt“ der AF-Mikroprozessor anhand einer Kontrastmessung auf dem Sensor nur, ob das Bild scharf oder unscharf ist, und daher muß er probehalber erst mal in eine möglicherweise falsche Richtung steuern, um dann erst feststellen zu können, ob dabei die Schärfe besser oder schlechter wird. Also muß in ca. 50% aller Fälle die Fokussierrichtung nachträglich umgekehrt werden, was einige Zehnntelsekunden Zeit kostet. Die Phasenkontrastmessung ist daher in der Schnelligkeit ganz deutlich der einfachen Kontrastmessung auf dem Sensor überlegen. Ich kann das an einer Panasonic L10 und einem für beide AF-Methoden kompatiblen Leica-Zoom sehr gut demonstrieren, wenn ich zwischen SLR-Bild und Live-Bild umschalte, da im ersten Falle mit der schnellen Phasenkontrastmessung und im zweiten mit der erkennbar langsamen Kontrastmessung auf dem Sensor fokussiert wird. Der erste Fall entspricht dem manuellen Fokussieren eines Fernglases, mit dessen Drehrichtung man vertraut ist (sie sozusagen „im Schlaf“ beherrscht), der zweite entspricht dem Fokussieren eines Fernglases, dessen Drehrichtung man nicht im Blut hat und erst durch Hin-und-her-Drehen experimentell herausfinden muß.
Weder Sie noch ich werden Herrn „konfokal“ und Herrn Merlitz vorschreiben, ob sie auf die Drehrichtung der Fokussierwalzen ihrer Ferngläser vor dem Kauf achten sollen, aber wir werden uns umgekehrt von niemandem vorschreiben lassen, ob uns dieses Merkmal bei unserer Kaufentscheidung wichtig ist.
Da Herr Merlitz deswegen gleich empfahl, die Drehrichtung in der Prioritätenliste an die Spitze zu setzen, möchte ich noch sagen, daß es für mich in diesem Falle nicht um die Frage nach der Position in einer fiktiven Prioritätenliste geht, sondern viel einfacher um ein KO-Kriterium: Ein Fernglas, das eine andere Drehrichtung hat als meine anderen zur Beobachtung benutzten Ferngläser (ich meine die, die ich wirklich regelmäßig einsetze, nicht die, die ich wegen meines Buchprojekts oder zu Testzwecken verwende), würde ich nicht kaufen.
Ihrem begründeten Argument, daß die Drehrichtung im Uhrzeigersinn für die Ferneinstellung zu bevorzugen sei, stimme ich aufgrund meiner eigenen gleichartigen Erfahrung zu, aber wahrscheinlich werden Sie ebenso wie ich diesen Punkt nur als ein zusätzliches und nicht das alles entscheidende Argement betrachten. Ich sehe daher das Hauptargument für eine solche Drehrichtung eher in der Tatsache, daß einfach die meisten hochwertigen Ferngläser eben diese Drehrichtung der Fokussierwalze haben und es somit schon allein unter dem Gesichtspunkt einer Vereinheitlichung sinnvoller ist, diese mehrheitlich vorgegebene Richtung bei neu hinzukommenden Ferngläser zu übernehmen, als dafür zu sorgen, daß die wenigen Abweichler mehr werden.
Walter E. Schön