Ich kann Protest gegen so etwas lapidares wie verschiedene Fokussierrichtungen und die Forderung nach strikter Einheitlichkeit überhaupt nicht verstehen. Die Vehemenz, mit der diese Intoleranz hier vertreten wird ist für mein Empfinden absurd. Es werden nicht nur Begriffe benutzt wie „falsch“ oder „verkehrt“, die seltsam diffamierend wirken, es wird auch noch vor der Gefahr gewarnt, solche „Abweichler“ könnten sich ausbreiten. Und für all das werden Begründungen geliefert, die abgesehen von purer Bequemlichkeit an den Haaren herbeigezogen sind.
1. Wer mit Geräten wirklich arbeitet, weil er sich für etwas wirklich interessiert, weil er begeistert ist, der lernt auch gern, sie optimal und individuell zu bedienen. Und gerade weil er das vielleicht gegen einen kleinen persönlichen Widerstand erlernen muss, behält er es auch leichter. Er hat Freude an der individuellen Bedienung, und mit Sicherheit, wenn er viele Ferngläser besitzt, kein Problem, sich die ein oder andere Ausnahme zu merken. Wer hingegen selbst dazu zu bequem ist, findet soviel Auswahl, dass er dem vermeintlichen Problem mit Leichtigkeit aus dem Weg gehen kann.
2. Wer auf Reisen so viele verschiedene Ferngläser mitführt, dass er sich die andere Drehrichtung von kaum mehr als einer Ausnahme darunter nicht merken kann, der hat bezogen auf seine kognitive Kapazität wahrscheinlich zu viele Ferngläser dabei.
3. Es wurde behauptet, für feinfühliges Fokussieren sei die Beugebewegung des Zeigefingers der Streckbewegung überlegen (auch wenn das bei gesunden Menschen medizinisch gesehen Quatsch ist). Nehmen wir an es wäre wirklich so. Was ist dann mit Linkshändern? Die dürften sich in Zukunft dem übergeordneten Bedürfnis einiger Senioren nach bequemer Einheitlichkeit unterordnen, wobei selbstverständlich die von diesen Herrschaften bevorzugte andere Drehrichtung verbindlich zu sein hätte. Hört man anderswo umgekehrt vielleicht Klagen von Linkshändern, viele Dinge, Kameras, Scheren, Autos, Tastaturen Musikinstrumente usw. seien falsch herum konstruiert, dagegen müsse dringend eine linksbenutzerfreundliche einheitliche Abhilfe geschaffen werden? Was würde passieren, wenn alle Linkshänder konsequent keine für sie „falsch“ konstruierten Dinge mehr kaufen würden? Sind Toleranz und Anpassungsbereitschaft, die Linkshändern ständig abverlangt werden, für einige der älteren Generation selbst in unvergleichlich geringerem Umfang schon zu viel verlangt? War es für die vielen Rechtshändigen wirklich unzumutbar zu lernen, mit der Gabel in der linken Hand zu essen? Werden kleinste Herausforderungen dieser Art ab einem gewissen Alter so schwierige geistige Klimmzüge, dass man verlangen darf, sie selbst auf Kosten einer für andere folgerichtig nützlichen Vielfalt auszumerzen?
4. Wenn ich mir die „Gründe“ anschaue, kann ich außer Bequemlichkeit, um nicht zu sagen Faulheit, nichts stichhaltiges erkennen. Nicht nur, dass es genügend Gläser mit der hier geforderten Drehrichtung gibt und es sich damit um ein Luxusproblem handelt. Wenn sich selbst bei Modellen und in Preisregionen beschwert wird, für die man sich weniger interessiert, wenn vor der Gefahr gewarnt wird, die „falsche“ Drehrichtung könne sich ausbreiten, wenn letztlich verlangt wird, die Fernglaskonstruktion habe sich in diesem Punkt einem willkürlich standardisierten Bequemlichkeitsanspruch möglichst vollumfänglich anzupassen, (das absolute Billigsegment könne man ja großzügig davon ausnehmen), dann wird das Ganze nicht nur absurd, sondern es kommt zur Faulheit auch noch Maßlosigkeit hinzu. Für mein Empfinden kann man eine so verwöhnte Kombination aus Luxusproblem, Intoleranz, Bequemlichkeit und Maßlosigkeit eigentlich schon dekadent nennen. Die Maßlosigkeit zeigt sich auch darin, dass man sich bis hin zu einem grotesken Vergleich versteigt, der vor den Gefahren jährlicher Fahrtrichtungswechsel im Straßenverkehr warnt, mit der schlimmen Folge von vielen tausend Unfällen, Verletzten und Toten. Nicht auszudenken, wie viele tausend Unfälle, Verletzte und Tote vermieden werden könnten, wenn man die Fokussierrichtung bei Ferngläsern vereinheitlichte, nicht wahr? Was für ein Riesen-Bullshit!
5. Herr Müllers möchte dann gerne noch maskulin vom bloßen Werkzeugcharakter eines Fernglases sprechen, aha. Sehen wir mal davon ab, dass man so gut wie alles auf der Welt zum Werkzeug erklären kann. Werkzeuge nutzen sich ab, nicht zuletzt weil sie der individuellen Nutzung angepasst werden. Wenn man Ferngläser nicht nur scheinbar imponierend rein funktional betrachtet wissen will (auch wenn ich das fast keinem Enthusiasten abkaufe), dann sollte es auch kein Problem sein, dieses reine Werkzeug zu markieren. Z.B. mit den ebenso reinen Werkzeugen Pinsel und Farbe, oder einer Graviernadel, oder mit Klebstoff und einer Plastikmarkierung oder was weiss ich, irgendwie und irgendwo reversibel oder irreversibel, auf dass dem schwachen Geist beim Griff zum Glase aufgeholfen werde, wenn’s denn schon nötig ist.
4. Man kann sich übrigens den Umgang mit einer anderen Drehrichtung einfacher machen, wenn man sich von vornherein angewöhnt, das anders fokussierende Glas genau spiegelverkehrt zu greifen, es also mit der linken Hand zu fokussieren, statt sonst mit rechts. Danach muss dann kein Umdenken beim Fingerbeugen oder -strecken mehr erfolgen, denn die für einen rechten Finger mental abgespeicherte Standard-Drehrichtung ist für die linke Hand vorzugsweise und unwillkürlich spiegelverkehrt gespeichert – das kann jeder bei sich selber testen. (Wer den Standard gewohnt ist und in Richtung unendlich denkt, beugt unwillkürlich den linken Zeigefinger. Wenn diese unwillkürliche gegensinnige Lateralisierung gar nicht funktionieren sollte, sollte man vielleicht darüber nachdenken, sich bei einem Neurologen vorzustellen). Die einzige schreckliche Pein bliebe, eine im Laufe der Jahre verschnarchte rechte Hirnregion für die linke Hand hin und wieder aufzuwecken.
5. Für die an den Haaren herbeigezogenen Vergleiche mußten auch Musikinstrumente herhalten. Kennt jemand Reinhard Goebel, der mit dem Concerto Köln bekannt wurde? Er ist inzwischen nur noch als Dirigent tätig, spielte aber früher auch selber professionell Geige. Solange ganz normal, bis ihn eine seltene Erkrankung seines rechten Arms hinderte, den Bogen damit zu führen. Die Bogenführung ist das schwierigste. Er bespannte die Geige kuzerhand andersherum, lernte, die Arme zu wechseln und führte fortan den Bogen mit links. Nach einer erstaunlichen kurzen Übungsphase spielte er mit links genauso gut wie zuvor mit rechts! Auch diese Umstellung ist ein eindrucksvoller Beleg für die unwillkürliche gegensinnige spiegelverkehrte Speicherung von Körperbewegungen, und Goebel ist kein Ausnahmefall. Auch wer gewöhnlich mit rechts schreibt tut sich leichter, wenn er beim Versuch mit links in Spiegelschrift schreibt.
Vielleicht darf ich zusammenfassend daran erinnern, was einst ein großer Linkshänder zu alledem gesagt hätte: "And so, my fellow keen observers: ask not what your binoculars can do for you - ask what you can do for your binoculars." Ob es dabei um die Fokussierdrehrichtung geht oder um Trageösen, die einem auf dem Magen drücken: statt Ferngläser für Kleinigkeiten anzuklagen, die der eigenen Veranlagung einen gewissen Widerstand entgegensetzen, kann man ebenso die korrespondierenden Unzulänglichkeiten bei sich selber angehen. Ein gutes Fernglas darf an seinen Benutzer Ansprüche stellen, wie ein Musikinstrument auch. Wer ihnen nicht genügen will oder kann hat das fragliche Instrument entweder nicht verdient, oder soll es meinetwegen modifizieren. Aber er soll nicht fordern, alle Instrumente nach seiner Mode einheitlich zu bauen. Wo kommen wir hin, wenn demnächst ältere Pianisten bei Klavieren einheitlich ventralfreundliche konkave Klaviaturen verlangen. Natürlich nur bei Steinway, Bösendorfer und Fazioli. Und zwar ganz ohne schwarzen Tasten. Denn wie jeder leicht hören kann, erfolgt die für deren Bedienung nötige kleine Streckbewegung der Finger viel weniger feinfühlig.
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