Das Bild, das in Ihrem Kopf entsteht, ist auch nur das Produkt eines Computers - Ihres eigenen. Sie sollten nicht glauben, dass das, was Sie sehen, echt sei. Ihr visuelles System ist das Resultat einer millionen Jahre andauernden Evolution, darauf ausgerichtet, in der Wildnis zu ueberleben. Dabei wurden jede Menge Kompromisse in Kauf genommen, die dazu fuehren, dass das Bild, das Sie sich von der Umgebung machen, extrem subjektiv ist und nur teilweise mit der "Realitaet" zu tun hat. Das Bild eines digitalen Monitors ist daher nicht mehr oder weniger echt als das Ihres visuellen Systems, es erscheint nur weniger gewohnt - Ihnen jedenfalls (der bekannte Ausspruch der Computerspiele-Generation: "Das Leben ist ein echt langweiliges Spiel, hat aber ne coole Grafik").
Ich erinnere mich genau an die Diskussionen unter den Amateurastronomen vor knapp 20 Jahren. Damals kamen die CCD Kameras auf, und die ersten Amateure begannen damit, ihre Galaxien am Monitor zu zaehlen anstatt hinter dem Okular oder auf dem Fotonegativ. Viele Kollegen argumentierten dagegen, Astronomie am Monitor sei zu kuenstlich und wuerde gegen die fundamentale Idee ("Naturerlebnis") verstossen. Die Profiastronomen stellten solche Fragen nicht, sondern nutzten die Vorteile der neuen Technologie konsequent aus. Heute arbeitet praktisch jeder ernsthafte Amateurastronom zumindest zeitweise digital, viele steuern ihre Teleskope vom Wohnzimmer aus ueber ihren Laptop. Die Aufnahmen sind von solch einer fantastischen Qualitaet, wie sie vor 30 Jahren nur von den Grossteleskopen der Profis geliefert wurde.
Natuerlich wird man auch weiterhin die Natur mit dem unbewaffneten Auge oder mit herkoemmlichen Optiken geniessen wollen. Sobald die neuen Technologien aber da sind, werden sie genutzt werden, und deshalb wird es sie geben - das war der Ausgangspunkt meiner Diskussion.
Viele Gruesse,
Holger Merlitz