1. Mit dem Fernglas beobachtete Szenen zeigen nicht immer Bewegung im Bild. Meistens ist ein Großteil der Bildfläche in Ruhe (z.B. Landschaft), während sich eventuell (nicht zwingend) darin ein kleiner Teil bewegt (z.B. ein Tier). Wenn der behauptete Effekt funktionierte, würde das also nur auf einen kleineren Teil der Situationen und innerhalb dieser auf einen kleineren Teil der Bildfläche gelten. Rein optische Ferngläser zeigen immer und in der gesamten Bildfläche ein erheblich schärferes, von Pixelstrukturen und Artefakten freies, farbgetreues, im Kontrast unverfälschtes und den vollen Dynamikumfang des Auges umfassendes Bild. 2. Die Behauptung ist aber falsch. Ich brauche dazu gar nicht auf die Signalverarbeitung im Gehirn einzugehen, sondern es genügt, auf eine allgemein bekannte Erfahrung von Schmalfilmern und Videofilmbetrachtern mit einem Gerät, das ein Standbild zuläßt, zu verweisen: Ein in der Bewegung halbwegs scharf erscheinendes Film-, Video- oder TV-Bild erscheint
erheblich unschärfer, sobald man die Bewegung anhält und ein Standbild zeigt. In der Bewegung sind so viele andere Informationen vom Gehirn zusätzlich zu verarbeiten und auch die Aufmerksam zu einem gewissen Teil auf die Verfolgung der Bewegung gerichtet, daß eine mäßige Unschärfe des Bildes gar nicht auffällt. Sobald jedoch das Bild stillsteht, kann das Auge auf einzelnen Details ruhen und Feinstrukturen wahrnehmen, so daß nun eine Unschärfe sehr offensichtlich wird. Diese Beobachtung, daß das Standbild aus demselben Film, den man in Bewegung nicht als sehr unscharf empfindet, plötzlich eine erhebliche Unschärfe offenbart, darf nicht zu dem Schluß führen, daß Bewegung das Bild schärfer mache. Vielmehr ist es so, daß die Aufmerksamkeit beim bewegten Bild nur von der Unschärfe ablenkt. Man könnte z.B. auch feststellen, daß ein Tonfilm mit sehr aggressiver, dynamischer Musik ebenfalls dazu führt, die Bildschärfe weniger zu beachten als bei einem Stummfilm, bei dem die gesamte Aufmerksamkeit auf das Bild gerichtet ist und nicht teilweise auch den Ton umfassen muß. Das könnte dann analog zu Deiner Logik zum Schluß führen, daß man die Digitalferngläser auch gleich noch mit einem MP3-Spieler ausstatten sollte, damit der Fernglasbenutzer während der Vogelbeobachtung über Kopf- oder Ohrhörer mit Heavy-Metal-Krach beschallt werden kann. Das würde dazu führen, daß er das miese Digitalfernglasbild noch schärfer empfindet (genauer: von der Unschärfe noch mehr abgelenkt wird)
Walter E. Schön
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 07.08.09 11:11.