Hallo Bert,
nicht doch - ueber das Marketing mach ich mich gern lustig, das muessen Sie doch gar nicht ernst nehmen!
Es hat wohl eine ganz natuerliche Ursache: Ich bin als Wissenschaftler auch Lehrer, der Wissen/Verstaendnis weitergeben soll; das Marketing will ueberreden, und das ist manchmal das Gegenteil von lehren. Wenn es um einen Wischmob geht, dann ist das alles kein Problem, es interessiert niemanden, ob das Ding fuer 9,99 Euro wirklich sauberer wischt als das Konkurrenzprodukt.
Bei einem technischen Produkt wird es kritischer: Wer eine Hochleistungsoptik fuer 2000 Euro an den Mann bringen will, den sehe ich in der Pflicht, genau erklaeren zu koennen, was das Geraet unter welchen Umstaenden leistet. Ich erwarte, dass der Hersteller oder Verkaeufer eines so teuren Instruments dem Kunden erklaeren kann, was er mit seiner Investition als Gegenleistung bekommt und was nicht. Natuerlich wird nicht jeder Kunde danach fragen wollen, darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass auf Seiten des Herstellers eine ehrliche Bestandsaufnahme durchgefuehrt wird ueber das, was man erreicht hat, und das, was man in Zukunft erreichen will. Hier rede ich nicht von $$$, sondern von den Leistungseigenschaften eines technischen Produkts. Wenn dieser Aspekt wieder ernst genommen wird, dann haben auch die Entwickler wieder etwas zu sagen, und ich bin fest davon ueberzeugt, dass das langfristig positive Auswirkungen auf den Konsumenten haette. Die Alternative? Viel Schein, Schaumschlaegerei, wenig echter Fortschritt, dafuer kurzfristig schnelles Geld in den Kassen, und zufriedene Investoren, die dann sofort abspringen, sobald der Lack abzublaettern beginnt.
Man nehme Leica: Offenbar traut man dort den Erkenntnissen des eigenen ehemaligen Chefentwicklers (Berek) nicht ueber den Weg. Wenigstens dort koennte man doch etwas ueber die Leistungseigenschaften der eigenen Produkte dozieren, ein paar bunte Kurven und ein paar Erklaerungen, unter welchen Umstaenden ein bestimmtes Fernglas gut funktioniert, und welches nicht. Das liefert nebenbei auch Hinweise dafuer, wie ein bestehendes Sortiment strategisch sinnvoll erweitert werden koennte. Offenbar will man all das gar nicht wissen, und ueberlegt nur noch, in welchen Farben die naechste Sonderserie erscheint. Auf Dauer wird das nicht funktionieren: Zeiss und Leitz sind zu Zeiten gross geworden, in denen man noch ernsthaft geforscht hat; die wissenschaftlichen Publikationen der 1940er Jahre auf beiden Seiten, die heute niemand mehr liest, zeugen von dieser produktiveren Phase, in der das Marketing noch nicht an vorderster Front stand. Damals haette man 2% Transmissionsgewinn nicht als grossartigen Fortschritt verkauft, und man wusste auch noch, dass die Verzeichnung eines Fernglases kein Aergernis war, sondern einen tieferen Sinn hatte.
Viele Gruesse,
Holger