Zitat: „Dass ein Fernglas 8 Stunden Arbeit kostet wundert mich, wo für ein Auto kaum das zwei- bis dreifache nötig sind (Ausnahme: VW braucht 35,2H!)“ Ende des Zitats.
Vorab, weil Sie immer gleich behaupten nicht zu wissen, was gemeint ist, wenn jemand in einem Wort nur einen Buchstaben falsch geschrieben hat: Was meinen Sie mit „35,5H“? Meinen Sie vielleicht „35,5 h“ mit „h“ gleich dem Einheitenzeichen für „Stunde(n)“, abgeleitet von lat. „hora“? Das von Ihnen benutzte Einheitenzeichen „H“ steht nämlich für „Henry“, und das ist die physikalische Einheit der elektrischen Induktivität, mit der ich im Zusammenhang mit der Arbeitszeit bei VW nichts anfangen kann!
Die von Ihnen veranschlagte „Arbeitszeit“ für ein Auto ist doch keineswegs das, wofür Sie sie halten. Denn darin ist alles das an Arbeitszeit nicht enthalten, was außerhalb der Mauern der Herstellerfirma (hier VW) geleistet wurde, also z.B. vom Bergbau zur Gewinnung der Erze über die Stahlwerke zur Erzeugung der Bleche, Stangen usw. aus Stahl oder Eisen, die Fertigung der Zulieferer von Stoßdämpfern, Armaturen, Spiegeln, Scheinwerfern, Autoradios, Einspritzpumpen, Elektronikausstattung vielfältiger Art, Polsterbezügen, Reifen, Felgen, Kugellagern, Schmierstoffen, Kabeln und Isolierungen und und und. Es ist also nur die für das Zusammensetzen aus weitgehend vorfabrizierten Bauteilen und Baugruppen benötigte Zeit. Jetzt werden Sie sagen, daß auch bei einem Fernglas die als Hersteller geltende Firma nicht alles von Grund auf selbst macht, sondern auch Gußteile, Glas, manchmal schon Linsenpreßlinge, Dichtungen, Schrauben, Gummiarmierungen, manchmal sogar Gehäuseteile aus Magnesiumlegierung oder hochfesten, extrem maßhaltigen glasfaserverstärkten Polycarbonaten usw. von anderen Herstellern beziehen. Richtig, aber beim Fernglas sieht das Verhältnis zwischen den Anteilen an Arbeitszeit bei den Vorlieferanten und beim Fernglashersteller ganz anders aus und ist daher nicht so simpel vergleichbar wie in Ihrer Betrachtung. Ich vermute, daß die Fertigungstiefe z.B. bei Zeiss für ein Fernglas erheblich größer ist als bei VW für ein Auto (jeweils bezogen auf den Wert der bei Vorlieferanten und dem Produkthersteller geleisteten Arbeitszeit).
Schließlich hinkt der Vergleich auch deshalb, weil in der Automobilindustrie ein vielfach höherer Grad an Automatisierung möglich ist, da sich die dort viel eher lohnt (weil die Stückzahlen höher sind, weil die erforderliche Präzision* in den meisten Fällen viel geringer ist und daher viel weniger Kontrollen und Messungen während der Produktionsschritte nötig sind als bei Fernglas, schließlich auch wegen des beim Auto erheblich höheren Anteils „schwerer“ Arbeit, die ohnehin nur mit Maschinen bewältigt werden kann). Je höher die Automatisierung, also der Einsatz von Robotern, desto kleiner wird ganz von selbst der Anteil an Arbeitzeit von Menschen.
* Nur ein Beispiel: Wenn beim Auto die Glasscheiben gefertigt und mit Dichtungen in die Karosserie eingesetzt werden, geht es bestenfalls um Zehntelmillimeter Genauigkeit, aber wenn Linsen und Prismen gefertigt und im Fernglas eingebaut werden, geht es oft um Tausendstelmillimeter und Winkelsekunden. Wollte man diese Arbeit beim Fernglas durch Roboter ohne Mitwirkung und/oder Kontrolle durch Menschen ausführen lassen, so brauchte man Roboter, die so teuer wären, daß die Ferngläser noch viel teurer sein müßten, als sie jetzt schon sind. Bei den Billigferngläsern aus China sind die Qualitätsstandards (zumindest derzeit noch) vielfach so niedrig, daß man das Zusammensetzt der Teile auch einfachen Robotern überlassen könnte, aber weil dort die Hungerlöhne so niedrig sind, sind Menschen dort sogar noch billiger als Roboter.
Schließlich protestiere ich dagegen, die Kostenkalkulation für teure (genauer: höchstwertige) Ferngläser allein an der Arbeitszeit für das Zusammensetzen und Prüfen festzumachen. Um die schon für die Bauteile vor dem Zusammensetzen nötige Qualität zu erzielen, sind die im Vorfeld zu tätigenden Investitionen und Betriebskosten gewaltig und haben einen hohen Anteil an den Gesamtkosten: Forschung und Entwicklung, z.B. von neuen Glassorten oder verbesserten schleif- und Polierverfahren, für Zentrierverfahren mit Lasern für noch höhere Genauigkeit, Gewährleistung von Reinraumbedingungen, Verhinderung oder zumindest Minimierung von Umweltbelastungen, etwa beim Galvanisieren und Reinigen von Gläsern, wo zum Teil aggressive Säuren bzw. hochgiftige Lösungsmittel so eingesetzt werden müssen, daß sie nicht die Mitarbeiten gefährden und nicht in die Umwelt gelangen, sondern gesammelt, aufbereitet und wiederverwendet werden. Lieber Herr Champollion, Sie betrachten alles auf eine sehr naive Weise ohne jegliche Ahnung von den Produktionsverfahren. Die Einzelteile für ein Fernglas zu bauen, geht etwas anders als das Sägen und Zusammenkleben von Sperrholz für ein Cembalogehäuse.
Walter E. Schön