Diese Ansicht ist auch dann naiv, wenn Sie jemand anderer schreibt, in diesem Falle Forumsteilnehmer „Joerg“.
Das Mißverständnis oder vielleicht der Grund für diese falsche Formulierung (wenn ich zugunsten der Verfasser solcher Aussagen unterstellen darf, daß sie sich nur falsch oder unvollständig ausgedrückt haben) besteht wohl darin, daß mir und allen anderen, die meine Meinung teilen, unterstellt wird, ich (wir) würde(n) behaupten, die Herstellkosten ALLEIN bestimmten den Verkaufspreis. Das ist aber ebenso falsch wie eine Behauptung, der Verkaufspreis hätte mit den Herstellkosten NICHTS zu tun.
Ich behaupte ja nur, daß die Herstellkosten im Normalfall* die Basis für die Festlegung des Verkaufspreises ist, dieser dann aber durchaus AUCH NOCH von anderen Einflüssen bestimmt wird. Dazu können gehören:
Konkurrenzsituation, Prestigewert der Firma oder des Produkts, übergroße oder zu geringe Nachfrage, Werbeaufwand (sofern der nicht schon unter dem Titel „Herstellkosten“ erfaßt war), finanzielle Situation der Zielgruppe.
* Selbstverständlich gibt es auch nicht als „Normalfall“ einzustufende Produkte: Daß z.B. bei den von Herrn Weigum völlig zu Recht genannten Luxusuhren (vornehmlich, aber nicht nur aus der Schweiz) der Prestigewert und die finanzielle Situation der „Exklusivität“ um jeden Preis erwartenden Zielgrupppe den Verkaufspreis extrem in die Höhe treiben und der Werbeaufwand (von den Hochglanzprospekten über sehr teure Anzeigen in Zeitschriften bis zu protzigen Messeauftritten) auch noch beträchtlich dazu beiträgt, ist ja offensichtlich. Man braucht doch nur mal eine Luxusuhr mit Goldgehäuse und dem sehr viel verbauten Chronographen-Werk ETA Valjoux 7750 mit einer Uhr eines nicht prestigeträchtigen Herstellers (z.B. Kienzle oder Graf Zeppelin) mit dem gleichen ETA-Werk zu vergleichen. Die Luxusuhr kann 20.000,- bis 30.000,- Euro kosten, die Kienzle kostet 1099,- und die Graf Zeppelin 899,- Euro. Nun ist das Werk der Luxusuhr noch ein bißchen finissiert** (= nachbearbeitet), z.B. sind normale Schräubchen durch gebläute ersetzt und Genfer Streifen oder anderer schmückender Schliff rückseitig aufgebracht sowie die Regulation ein bißchen sorgfältiger statt in ein oder zwei Lagen in fünf oder sechs Lagen vorgenommen worden. Aber das alles könnte bestenfalls 100 bis 200 Euro Mehrpreis rechtfertigen. Und wenn man den Goldpreis (derzeit ca. 22 Euro/g) auf das im Gehäuse vorhandene Materialvolumen umrechnet, so dürfte das den Preis der Uhr je nach Größe um nicht mehr als 2000,- bis 3000,- Euro in die Höhe treiben. Es klafft also eine Lücke in der Größenordnung von 16.000,- bis 26.000,- Euro, die geradezu gigantische Werbemaßnahmen gestattete, wenn das tatsächlich die Hauptursache für den hohen Preis darstellen sollte. Nein, das ist in der Tat ein Fall, in dem ganz andere Mechanismen den hohen Preis verursachen und die eben nur für die Gattung der Prestige-Artikel für Reiche gelten (wozu dann z.B. auch manche Modeartikel wie Herrenanzüge mit eingewebten echten Goldfäden, Klimaschränke zur temperatur- und feuchtigkeitsoptimierten Aufbewahrung von Zigarren und teurer Schmuck gehören). Hier gilt sicher, daß der Preis so hoch ist, wie bei den kleinen Stückzahlen gerade noch erzielbar. Und hier MUSS der Preis auch so exorbitant hoch sein, weil sonst genau das, weshalb diese Dinge gekauft werden, abhanden käme: die imagefördernde Exklusivität.
** Das Verb „finissieren“ bedeutet nicht nur in der Kochkunst das Abschälen oder Abziehen (z.B. einer Wursthaut), sondern auch in der Uhrmacherkunst die zur Steigerung der Ganggenauigkeit und noch mehr des ästhetischen Aussehens vorgenommene Nachbearbeiten (z.B. das Polieren, Entgraten, Vergolden, Bläuen oder das Ersetzen von Teilen wie einzelner Schrauben, Beilagscheiben oder Federn durch solche aus höherwertigen oder verschleißresistenteren Materialien). Und nebenher dient es auch ein bißchen zur Legitimation der hohen Preise bei skeptischen Käufern.
Aber solche Dinge können nicht mit Gebrauchsgegenständen für eine normalverdienende Bevölkerungsmehrheit in einen Topf geworfen werden. Ebensowenig kann man unter Einkaufspreis angebotene Ladenhüter (unabhängig davon, warum und ob sie zu Recht Ladenhüter geworden sind) als Maßstab heranziehen, weil da nur noch gilt, daß ein kleiner Erlös immer noch besser ist als totes Kapital.
Ich bleibe dabei, daß im Normalfall der Herstellpreis plus Vermarktungskosten die Basis für die Preisfestsetzung ist. Normalerweise wird dann noch ein durchaus fairer Gewinnzuschlag addiert und nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, wenn z.B. das Produkt eine herausragende Alleinstellung hat, deutlich mehr bis zu soviel aufgeschlagen, wie irgend möglich. Und wenn zuviel aufgeschlagen wird, so sorgt der Wettbewerb relativ schnell dafür, daß die Gewinne auf ein angemessenes Maß zurückgestutzt werden.
Auch das Beispiel mit dem Preis von Cembali taugt in dieser Diskussion um Preise von hochwertigen Ferngläsern nicht, denn dabei handelte es sich um Produkte, die in extrem niedriger Zahl produziert und verkauft werden, so daß sich die bei Massenprodukten wirksamen Marktmechanismen da gar nicht voll entwickeln können.
Übrigens war mir als altem Bastler und großem Musikfreund mit durchaus überduchschnittlich guter Kenntnis von Musikinstrumenten schon klar, daß Cembali nicht aus Sperrholz gebaut werden, aber ich wollte meine Aussage damit nur ein bißchen zuspitzen, damit Ihnen klarer wird, daß man (und jetzt spitze ich erneut stark zu) „Laubsägearbeiten“ nicht mit Hochtechnologie vergleichen kann. Das bedeutet keine Anbwertung Ihrer Arbeit, denn ich könnte die gleiche Argumentation auch auf die Arbeit von van Gogh oder Picasso beziehen, deren „Pinselei“ nicht mit Hochtechnologie und deren Bilderpreise nicht mit den Preisen von Ferngläsern vergleichbar sind.
Walter E. Schön