Sehr geehrter Herr Schön,
Sie kennen die Marktverhältnisse sicher besser als ich, und so würde ich ja gerne an die von Ihnen beschriebenen Regulationskräfte des Marktes glauben, die dem Käufer ein ehrliches Gefühl beim Bezahlen seines Premiumglases vermitteln sollen. Dennoch sitzt meine Skepsis an einer "anständigen" Preisbildung inzwischen tief. Der sogenannte freie Wettbewerb scheint mir alles andere als fair und transparent, und warum sollten die von Ihnen beschriebenen quasi-idealen Verhältnisse sich auf dem Markt hochwertiger Ferngläser gehalten haben, falls sie früher überall herrschten?
Zunächst noch einmal kurz zu Digitalkameras, ich habe mich keineswegs nur im Internet imformiert, wie ein weiteres verwirrendes Beispiel zeigt: Die normale Fotofiliale am Ort bietet ein bestimmtes Canonmodell für 200 Euro an. Im ortsansässigen Saturn wird der "fantastische Preissturz" dieses Modells auf nur 190 Euro seit ein paar Wochen heftig beworben, die Kartons liegen, passen zur abstoßenden Werbung, zum Wühlen in einem Gitterkorb, vermutlich soll das animierend wirken. Der Versandhandel verlangt laut Internet günstigstenfalls 160 Euro. Der überregional angesehene Fotofachhändler, das erste Geschäft am Platz, präsentiert die gleiche Kamera für 240 Euro auf einem kleinen Podest in seiner noblen Auslage. Und beim allerkleinsten Fotohändler, ein paar Meter weiter, steht sie schon seit ein paar Monaten vor Weihnachten im schlichten Schaufenster und wird als eine unter anderen seither für 150 Euro verkauft, ziemlich gut, wie mir scheint.
Es fällt mir schwer angesichts solcher Differenzen wirklich zu glauben, dass bei Ferngläsern alles grundsätzlich anders ist, natürlich nur bei "hochwertigen" Ferngläsern. Verstehen wir darunter also optisch und mechanisch gute Ferngläser, dann kann man das genannte Vixen durchaus dazuzurechnen, dessen neuer Preis sich kaum an gestiegenen Herstellungskosten orientieren dürfte. Vermutlich hat man sich Nikons Porropreise angeschaut und dann die Neueinstufung vorgenommen um herauszuholen, was geht. Aber streiten wir nicht um die Qualitätseinstufung eines Glases, das ich eh nicht kenne. Eher darum, dass Ihrer Meinung nach bei Nobelgläsern mit Spitzenpreisen das alles gänzlich anders ist und hier plötzlich die harten, aber fairen Preisfindungsmechanismen eines transpartenten Marktes herrschen und regulierend eingreifen.
Ich erinnere mich: der Preisabstand Swarovskis seit zehn Jahren, der kräftige Aufschlag Leicas bei Einführung von Ultravids und der HD, das gebliebene Preisniveau von Zeiss beim Übergang zu viel günstigeren Kunststoffgehäusen, der deutliche Preisverfall lotutecloser Victorys oder HD-loser Ultravids, der schlagartige Preisanstieg der Nikon E Porros usw., sind das alles Beispiele für Preisfindungen auf der Basis von Herstellungs- und Entwicklungskostenkalkulationen und dank transparenter Marktgesetze?
Wenn Sie diese Ansicht als Hersteller oder Verkäufer verträten, oder weil Sie entsprechende Verbindungen zu diesen hätten, und diese schützen wollten, könnte ich es verstehen. Da Sie aber gern Ihre Unabhängigkeit betonen, insbesondere die Ihrer Urteile, muß ich Sie nun wohl für Ihren Glauben an das Wahre, Gute und Schöne des fairen Preiswettbewerbs auf einem offenen Markt bewundern - überzeugen kann mich diese Vorstellung, nach allem was hier zu lesen war, immer weniger. Es scheint sich um einen Anachronismus zu handeln, und ich könnte mir denken, dass viele andere das zunehmend auch so sehen - und zwar nicht erst seit der Finanzkrise.