Die Diskussion um das nicht ausgeschöpfte Potential der Porros blendet wichtige Anwendungsbereiche aus, Bereiche, in denen solvente Fernglaskäufer anzutreffen sind.
Der Markt der Ferngläser für den Einsatz in der unchristlichen Seefahrt ist groß und hartumkämpft. Wer einmal bei miesem Wetter durch die griechischen Inseln unterwegs war und nur mit viel Mühe die Hafeneinfahrt identifizieren konnte, der wird schon einmal nachfragen, ob er mit dem optimalen Glas ausgerüstet ist. Um diesem Markt kämpfen Fujinon, Nikon, Steiner und Zeiss. Die Stückzahlen sind ausreichend groß, weil sich die meisten Skipper für ein Modell 7x50 entscheiden. Der Wettbewerb ist hart und mit Ausnahme der Firma Steiner verfügen die anderen drei Hersteller garantiert über das Wissen und die Technologie, um ein solches Glas zu optimieren. Wir sind heller, wir zeigen mehr ist ein Verkaufsargument, dass dieser Käufergruppe einleuchtet. Es zeigt sich aber, dass die recht simpel aufgebauten Porros mit wenig Glas und sehr wenig Vergütungsflächen nicht heller sind als die aufwändiger konstruierten Kollegen aus der Dachkantfraktion.
Sitzen die Produktmanager in einem Hinterzimmer zusammen und vereinbaren Technologieverzicht? Ich kenne Zeiss ganz gut, soweit man als einfacher Händler so etwas schreiben darf. Zeiss liefert ein Victory 8x56 FL, bestehend aus einem 3-linsigen Objektiv, die Innenfokussierung besteht aus 2 Linsen, die Abbe-König sind die teuersten Prismentypen, die man in Ferngläser verbauen kann, dazu noch die recht aufwändige Okulare.
Dann betrachten wir das 7x50. Das Objektiv ist zweilinsig, Fokussierung okularseitig, die geliebten Porroprismen, ein weniger aufwändiges Okular. Das 7x50 mußte mit der Verordnung über schwermetallhaltige Gläser mit anderem Material ausgestattet und neu gerechnet werden. Es ist also einfach nicht wahr, dass dieses Glas nicht auf dem aktuellen Stand ist, jedenfalls nicht soweit zurück, um als Erklärung für irgendwelche Transmissionsunterschiede zu dienen.
Das "einfache" 7x50 ist nach meiner eigenen Beobachtung nicht heller sondern eher etwas lichtschwächer als das Victory 8x56 FL.
Noch ein wichtiger Punkt. Selbstverständlich könnten alle Premiumhersteller noch bessere Ferngläser bauen. Es gibt an allen Fronten bekannte und technisch beherrschte Reserven. Es bleibt aber immer und in jedem Einzelfall die Frage, ob dieser Mehraufwand vom Markt bezahlt würde. Da gibt es dann schon eine finanzielle Grenze, dass darf man nicht völlig ignorieren.
Was heute optisch möglich ist, kann man erkennen, wenn man sich einmal Mikroskopoptik anschaut. Dort ist es Usus, Qualitäten für verschiedene Ansprüche zur Verfügung zu stellen. Ein aktuelles Zeiss Mikroskopobjektiv vom Typ Plan-Apochromat ist inzwischen für 8! Farben auskorrigiert. Hat man einen vollbestückten Objektivrevolver mit 6 oder 7 dieser Objektive, dann repräsentiert dies den Gegenwert eines stuttgarter Sportwagens. Im Konzern ist also Wissen und Technologie vorhanden. Dieser Aufwand ist aus wirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt, weil es einen Markt gibt um den 4 Firmen im Weltmaßstab ringen.
Im Fernglasbereich ist es völlig anders. Kein Konstrukteur braucht seinem Produktmanager ein ideales 8x32 vorzuschlagen, wenn der Verkaufspreis 5-stellig wäre. Marc Champollion würde nicht an sein Sparschwein gehen, auch wenn ein solches Fernglas mit großem Sehfeld und ordentlichem Einblickverhalten auch seine Gewichtswünsche berücksichtigen könnte. Also wird das Potential nicht ausgereizt.
Alle Spitzenfirmen wissen dies und jede dieser Firmen hat schon mehrmals erleben müssen, wie es ist, wenn ein an sich sehr gutes Modell trotz unvernünftig knapper Kalkulation vom Markt nicht mehr angenommen wird. Klassisches Beispiel ist das 15x60 von Zeiss, für mich eines der Spitzenprodukte, die der Markt nicht bzw. zu spät verstanden hat. Weitere Beispiele sind einige Nischenprodukte bei Nikon. Rechnet man die Preissteigerungen seit dem Produktionsende der 15x60 durch, dann müßte das Glas heute über 3000 Euro kosten. Wer will beurteilen, ob dafür dann noch ein ausreichender Markt existiert.
Es gibt also eine gefühlte, markenspezifische Preisobergrenze, die nur schwach von der Qualität abhängig ist.
Sie sehen, es ist nicht ganz so einfach und eindeutig.
Werner Jülich