"Das Aufzählen kann ja das Buch übernehmen ..."
Selbstverstaendlich! Soll ich aus dieser ketzerisch anmutenden Frage etwa schliessen, dass Du das Buch noch immer nicht kennst :-)
Ich wurde gerade etwas anderes gefragt, und das ist im Buch nicht ganz so explizit diskutiert: Wieso koennen die offenkundig besten Fernglaeser auf dem Markt SP-Prismen verwenden, wenn diese doch angeblich diverse Nachteile haben?
Dazu haette ich zwei Antworten, und ich weiss nicht, welche von beiden die Realitaet genauer trifft:
1. Antwort: Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ein Schmidt-Pechan Prisma mag gewisse Nachteile besitzen, die sich aber so weit eliminieren lassen, dass man davon hinter dem Okular nichts mehr sieht.
2. Antwort: Kompaktheit schlaegt Optik, und die Mehrheit der Kaeufer ist dazu bereit, etwas mehr Geld zu investieren, und gleichzeitig etwas an Perfektion aufzugeben, wenn das Fernglas dadurch kompakter und mobiler ausfaellt.
Vermutlich ist es beides gleichzeitig. Ein sehr anspruchsvoller Beobachter mag eventuell in einem Premiumfernglas kleinste Defizite in der Mittenschaerfe (etwa: bei der Sternabbildung) feststellen. Das kratzt jedoch 95% der anderen Anwender nicht, die sich fuer ein handliches Fernglas entschieden haben. Es ist klar, wem die Hersteller zu folgen haben.
Dazu noch eine andere Geschichte: In den letzten Monaten habe ich mich mehr mit der Entwicklung von astronomischen Refraktoren beschaeftigt, dabei auch in diversen Foren herumgelesen. Dabei fiel mir auch ein Zitat von Roland Christen auf, der mit seiner Firma "Astro-Physics" exquisite und hochwertige Apochromaten baut. Er meinte, dass man APOs mit schnellen Oeffnungsverhaeltnissen wie etwa 1/6 gar nicht mehr vollstaendig korrigieren koenne, weil die Aberrationen hoeherer Ordnung derart durchschlagen, dass sie nicht mehr zu uebersehen sind. Dennoch kaufen immer mehr Leute diese kurzen und kompakten APOs, und zwar derart gezielt, dass inzwischen die laengeren Brennweiten kaum noch eine Marktchance haben und zunehmend verschwinden. Hier spielt auch wieder ein fehl-informierendes Marketing eine Rolle: Man traut sich nicht, die Wahrheit zu sagen. Denn wenn Hersteller X sagt, wir haben langbrennweitige Refraktoren, die optisch perfekt sind, und kompakte Alternativen, die nur 95% perfekt sind, dann hat er schon verloren. Weil naemlich Hersteller Y (faelschlicherweise) behauptet, kompakte APOs mit perfekter Abbildung zu haben.
Das erinnert mich an eine Diskussion, die ich vor Jahren mit Roger Ceragioli fuehrte (ebenfalls ein bekannter Refraktor-Designer), und der im wesentlichen dieselbe Sichtweise vertrat.
Kompaktheit schlaegt optische Perfektion, selbst bei Apochromaten. Ich erinnere daran, dass diese APOs extrem teuer sind und von den meisten gerade deshalb den Vorzug vor den Spiegeln erhalten, weil sie auch bei Uebervergroesserung noch perfekt abbilden (es fehlen die Beugungseffekte durch Sekundaerspiegel bzw. deren Halterung). Es scheint inzwischen darauf hinaus zu laufen, dass man, um wirklich einen optisch perfekten Refraktor zu bekommen, besser ein aelteres (und laengeres) Geraet aus zweiter Hand findet, als einen der modernen, kompakten APOs.
Genug davon ...
Viele Gruesse,
Holger
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 19.02.14 01:59.