Wie ich feststelle, gab es keine weiteren Einwaende zu meinem Beitrag "Es geht weiter: Haben wir Kreise?", und wir koennen uns jetzt bald unseren Fernglaesern widmen. Ein klein wenig Geduld brauchen wir noch, um einen sehr wichtigen Sachverhalt zu klaeren:
In dem Beitrag "Sehr gut! Fingeruebung: Die Dartscheibe" habe ich die Dartscheibe mit einem Polarkoordinatensystem identifiziert. Wir hatten mit dem Spannen unserer Membran aus Quadraten konzentrische Kreise gemacht und dann das Koordinatensystem mit den radialen Strahlen ergaenzt. Ist das eigentlich identisch mit dem Koordinatensystem in unserer Halbkugel? Wer es versucht, ein kreisrundes Tuch in eine Halbkugel zu legen, der wird feststellen, dass es nicht gelingen will: Es wirft Falten in radialer Richtung. Was ist passiert?
Die Dartscheibe hat einen Umfang, den wir leicht berechnen koennen: Wir nahmen urspruenglich mal an, dass wir mit einem quadratischen Tuch der Seitenlaenge L = 5m starten, und nach dem Dehnen haette es einen Radius von etwa R = 2.5m*sqrt(2) = 3.53m. Wie jeder Schueler weiss, berechnet man den Kreisumfang zu U = 2*PI*R = 22.2m, wo PI = 3.1415... die beruehmte Kreiszahl ist. Die Flaeche unserer Dartscheibe ist F = PI*R^2 = 39.1 m^2 (hier ist R^2 das Quadrat des Radius, und m^2 steht fuer Quadratmeter).
Aehnlich kann man mit der Halbkugel verfahren: Wir hatten angenommen, deren halber Umfang sei identisch mit der Diagonalen des Tuches, also 5m*sqrt(2), also ist der volle Umfang U = 10m*sqrt(2) = 14.1m. Die Oberflaeche einer Kugel ist 4*PI*R^2, was auch jeder Schueler lernt, also gilt fuer die Halbkugel F = 2*PI*R^2. Den Radius R berechnen wir aus dem bekannten Umfang U zu R = U/(2*PI) = 2.24m. Mit diesem Radius erhalten wir F = 31.6m^2.
Auch wer keine Lust hat, diese Rechnung nachzuvollziehen, erkennt jetzt: Wir waren zwar jeweils mit Quadraten der Kantenlaengen L = 5m gestartet, was einer Flaeche von 25m^2 entspricht, im Falle der Dartscheibe wurde dieses Quadrat aber weiter gedehnt als im Falle der Halbkugel. An der Radialen Streckung kann es nicht gelegen haben: Wir haben jeweils die Ecken der Quadrate unbehelligt gelassen und nur die Seiten gedehnt. Die konzentrischen Kreise haben in beiden Faellen (Dartscheibe und Halbkugel) identische Abstaende, wenn man im Falle der Halbkugel die Entfernungen entlang der Kruemmung misst (Bogenlaengen). Nein, es liegt an dem unterschiedlichen Verhalten der radialen Koordinatenlinien!
Um das zu verstehen, starten wir mit der Dartscheibe, und zwei Ameisen, die sich vom Zentrum aus Richtung Rand auf den Weg machen. Beide Ameisen laufen gleichzeitig los und mit identischen Geschwindigkeiten. Sie haben aber leicht unterschiedliche Richtungen, und waehrend beide Ameisen auf ihren radialen Strahlen Richtung Rand laufen, entfernen sie sich voneinander. Mit einer ganz einfachen Rechnung (Strahlensatz) kann man schnell nachvollziehen, dass der Abstand beider Ameisen auf der Dartscheibe linear mit der Zeit (oder dem Abstand vom Zentrum) zunimmt.
Jetzt kommt dasselbe Experiment mit der Halbkugel. Wir stuelpen diese Halbkugel jetzt mal um, so dass sie wie die Kuppel eines Domes aussieht. Die Ameisen starten ganz oben am "Nordpol" und laufen jeweils auf einer anderen Linie, die einem Laengengrad entspricht, Richtung Aequator. Zunaechst verlaeuft es ganz aehnlich wie auf der Dartscheibe, die Ameisen entfernen sich voneinander, nachdem sie sich auf den Weg gemacht haben. Aber bald schon passiert etwas: Die Linien, die den Laengengraden entsprechen, beginnen sich zu verbiegen, so dass die Ameisen ihren Abstand nicht mehr so schnell vergroessern. Nahe am unteren Rand der Kuppel, also dem Aequator, laufen die Ameisen sogar in dieselbe Richtung, nach unten, und ihr Abstand aendert sich ueberhaupt nicht mehr!
Im Vergleich mit der Dartscheibe sind die radialen Strahlen in unserer Kuppel nicht radial, sondern gekruemmt. Abstaende entlang dieser Koordinaten wachsen nicht mehr linear mit dem Abstand zum Pol, sondern langsamer, und daher hat unser Tuch nach der Dehnung in der Kuppel eine geringere Flaeche als auf der flachen Dartscheibe. Was das alles mit der Fernglasabbildung zu tun hat, diskutieren wir beim naechsten mal.
Viele Gruesse,
Holger Merlitz