Zunächst danke für die Erklärung der „Kerbe in der Maus“. Da ich nicht zu den schießwütigen Zeitgenossen gehöre, war mir diese Gepflogenheit der Revolverhelden unbekannt.
Natürlich dürfen Sie hier Fragen aufgreifen (warum schreiben Sie „trotzdem“?).
Die heute in Dachkantfergläsern überwiegend verwendeten Schmidt-Pechan-Umkehrprismen und auch die von Zeiss und Nikon in einigen Modellen verwendeten Abbe-König-Prismen bestehen aus jeweils zwei Teilen, die verkittet oder auch in kleinem Luftabstand gehalten werden können. Früher, als es noch keine Vergütung gab, hat bzw. hätte man sie immer verkittet, um die Transmissionsverluste und die immerhin ca. 9% ausmachenden Reflexionen zu vermeiden, die zum Teil als Streulicht oder Geisterbilder ins Bild gelangen können. Heute hat man mit hochwertigen Mehrschichtvergütungen und damit in einem weiten Spektralbereich auf unter 0,2% gedrückten Reflexionen kein Problem mehr, so daß man jetzt lieber einen Luftspalt läßt, in dem sich eine Abschattblende anbringen läßt. Die verhindert weit mehr Streulicht (z.B. von den Tubusinnenwänden reflektiertes Licht) als die beiden zusätzlichen MC-vergüteten Glas-Luft-Flächen verursachen können.
Man könnte also auf die Idee kommen, auch zwischen den beiden Prismenteilen eine oder mehrere Linsen (zu welchem Zweck auch immer, z.B. als Barlowgruppe zur Brennweitenverlängerung des Objektivs) einzubauen. Um zu klären, ob das sinnvoll ist, denkt man sich die beiden Prismenteile „aufgefaltet“, also als jeweils nur einen relativ langen Glasquader von genau der Länge, den der durch mehrere Reflexionen an Prismenflächen gefaltete Strahlengang im Prisma hat. Die beiden Glasquader sind nicht gleich lang, sondern der eine ist grob geschätzt ca. doppelt so lang wie der kleinere. Wenn wir ein mittelgroßes Fernglas annehmen, das am Umkehrprisma eine lichte Weite von ca. 25 bis 30 mm haben dürfte, ergibt sich bei den genannten Prismentypen ein gesamter Glasweg von ca. 130 bis 160 mm. Das ist viel, sicher mehr, als sich der Laie vorstellt.
Wenn nun in den Zwischenraum eine Linse eingefügt werden soll, müssen die beiden Teile auseinander rücken. Da die Umkehrprismen bereits dicht vor der Feldblende sitzen, muß der dem Objektiv zugewandte Prismenteil (bzw. der ihn jetzt repräsentierende Glasquader) näher zum Objektiv rücken. Das aber hat wegen des innerhalb eines Kegelstumpfes vom Objektiv zur Feldblende verlaufenden Lichts zur Folge, daß der Querschnitt dieses Prismenteils bzw. Glasquaders vergrößert werden muß, was wiederum eine noch weitere Verlängerung bewirkt. Nun wächst leider das Gewicht des schweren Glases proportional zum Volumen und somit zur dritten Potenz einer linearen Vergrößerung. Wenn also der Glasquader z.B. um 20% größere lichte Weite haben muß, vergrößert sich seine Masse um ca. 73% (denn 1,2·1,2·1,2 = 1,728). Auch die Prismenhalterung und evtl. sogar das Fernglasgehäuse muß dann ebenfalls stabiler und somit schwerer werden. Das alles könnte bei einem 8x32-Fernglas vielleicht ein Mehrgewicht von 100 bis 150 g oder bei einem 8x42-Fernglas ein Mehrgewicht von 200 bis 300 g zur Folge haben. Ich denke, daß das von den potentiellen Käufern nicht akzeptiert würde.
Es gibt aber auch noch andere Probleme. Wie Sie wissen, erfolgen fast alle Reflexionen an den Prismenflächen (mit Ausnahme einer einzigen beim Schmidt-Pechan-Prisma und ebenso bei der Nikon-Version des Abbe-König-Prismas) als Totalreflexion. Das funktioniert nur, wenn der Einfallswinkel aller am Bildaufbau beteiligten Lichtstrahlen auf diesen Flächen größer als der Grenzwinkel der Totalreflexion ist. Und Sie wissen sicher auch, daß man deshalb für die meisten (speziell für die lichtstarken) Dachkantprismen BaK4-Glas statt des kostengünstigeren und leichter zu bearbeitenden BK7-Glases verwenden muß, weil nur der höhere Brechungsindex des BaK4 dies für ALLE am Bildaufbau beteiligten Strahlen garantiert. Wenn Sie nun aber eine Linse zwischen den Prismenteilen einfügen, bekommen Sie im hinteren Prismenteil andere Einfallswinkel, und das könnte je nach Art und Stärke der Linse dazu führen, daß bei einem Teil der Lichtstrahlen der Grenzwinkel der Totalreflexion unterschritten wird. Also müßten Sie für den hinteren Prismenteil eine Glassorte mit noch höherem Brechungsindex (und dann leider wohl auch mit nochmals erhöhter Dispersion) wählen, um die Totalreflexion für alle Strahlen zu gewährleisten. Das kostete aber möglicherweise viel Geld (denn BaK4 ist noch ein in großen Mengen verwendetes relativ preiswertes Glas) und würde zu höheren Aberrationen führen. Übrigens würde auch die Verlängerung des Glasweges des vorderen Prismenteils höhere Aberrationen verursachen (vor allem sphärische Aberration, Astigmatismus und chromatische Aberration), die eine andere und aufwendigere Korrektion der Objektive erforderte. Alles das ist aber kontraproduktiv.
Nicht ein wirkliches Hindernis, aber eine vermeidbare Erschwernis wäre zudem bei einer zwischen den Prismenteilen eingebauten Linse der dann größere Aufwand beim Justieren den Prismenteile.
Es müßte also schon sehr triftige Gründe geben, daß eine zusätzliche Linse trotz all dieser Probleme sowie Gewichts- und Kostensteigerungen ausgerechnet im Zwischenraum zwischen den beiden Prismenteilen angebracht werden sollte, und die sehe ich hier nicht. Die europäischen Hersteller werden sich also andere Innovationen ausdenken müssen, um ihren Führungsanspruch durchzusetzen.
Walter E. Schön