Auf die Herstellerangaben bezüglich der Sehfelder auf 1000 m ist leider nicht viel Verlaß. Manche runden grundsätzlich großzügig auf, andere jewweils auf Vielfache von 5 m oder 10 m nach mathematischem Usus ab oder auf. Und dann gibt es auch welche, die den Wert auf ganze Meter genau angeben. Den Weitwinkeleindruck, den das Auge jeweils hat, kann man also anhand dieser Daten nicht vorhersagen. Dazu kommen ja auch noch zwei weitere Parameter, die auf die vom Auge gesehene Bildkreisscheibe Einfluß haben, nämlich die Vergrößerung, die bei einem 8fach-Fernglas evtl. auch nur 7,8fach oder auch mal 8,2fach sein könnte und bei gleichem tatsächlichen Sehfeld zu unterschiedlich großem scheinbaren Sehwinkel führt, und dann auch noch die kissenförmige Verzeichnung. So hat bekanntlich z.B. das Nikon 8x32 HG-L eine sehr geringe kissenförmige Verzeichnung, die normalerweise kaum wahrnehmbar ist. Dagegen verzeichnen die 8x32-Gläser von Leica, Swarovski und Zeiss vergleichsweise stark kissenförmig, was bei gleichem Sehfeld auf 1000 m und gleicher Vergrößerung zu einem größeren scheinbaren Sehwinkel führt. Man sollte aufgrund der Verzeichnungsunterschiede und der Herstellerangaben zum Sehfeld auf 1000 m bei Annahme exakt 8facher Vergrößerung meinen, daß das Nikon 8x32 HG-L den kleinsten scheinbaren Sehwinkel bietet, denn die Werte sehen so aus:
Leica Ultravid 8x32 ————> 135 m, deutlich kissenförmig
Nikon 8x32 HG-L —————> 136 m, minimal kissenförmig
Swarovski 8x32 EL ————> 140 m, sehr deutlich kissenförmig
Zeiss Victora 8x32 FL ———> 140 m, deutlich kissenföemig
Soweit ich es visuell beurteilen kann, unterscheiden sich Leica und Zeiss in der Verzeichung kaum, und ich sehe mich außerstande zu erkennen, welches dieser beiden stärker verzeichnet. Das Swarovski verzeichnet nach meinem visuellen Eindruck noch ein klein wenig stärker als das Leica und das Zeiss, und das Nikon erheblich weniger als alle anderen.
Nun aber zu den scheinbaren Sehwinkeln. Es geht nicht, mal durch das eine und dann durch das andere Glas zu schauen, um das zu beurteilen. Wir haben keine Gitterlinien oder ähnliche Maßstabs-Anhaltspunkte im Gehirn, um so vergleichen und sich beim Blick durchs zweite Glas exakt merken zu können, wie groß die Kreisscheibe beim ersten Fernglas aussah. Also muß man es anders machen. Ich halte ein Fernglas mit dem rechten Okular vors linke Auge und das zweite, damit zu vergleichende Fernglas mit dem linken Okular vors rechte Auge. Aber man darf dabei nicht in die Landschaft schauen, sondern auf eine helle Fläche. Ich stelle darum alle Ferngläser zuerst auf die gleiche weite Entfernung ein (das muß nicht unendlich sein, und es spielt für die Größe des scheinbaren Sehwinkels auch überhaupt keine Rolle, sondern es dient nur dazu, anschließend beim Vergleich der scheinbaren Sehwinkel beim Blick auf eine nahe weiße oder zumindest helle Wand diese ganz unscharf, also eine ziemlich gleichmäßig helle und strukturlose Kreisscheibe zu sehen.
Wenn man nun die beiden Ferngläser (was etwas Geschicklichkeit und Übung kostet, weil die APs dabei auf den Augenpupillen bleiben müssen) so ausrichtet, daß man mit beiden Augen jeweils eine helle Kreisscheibe sieht, wobei diese nicht deckungsgleich sind, sondern einander seitlich versetzt weitgehend, aber nicht vollständig überlappen. Dann kann man hervorragend beurteilen, welche Kreisscheibe man größer sieht. Wer befürchtet, daß der Abbildungsmaßstab beider Augen eventuell unterschiedlich sein und das Ergebnis verfälschen könnte, kann zur Gegenkontrolle die beiden Ferngläser links und rechts vertauschen. Das Ergebnis wird dann aber dasselbe sein.
Ich habe soeben aufgrund Ihrer Aussage über Zeiss und Nikon, die nicht meiner Erfahrung entspricht, die vier obengenannten 8x32-Gläser in meinem Wohnzimmer am hellen Teppichboden statt an einer hellen Wand wie beschrieben getestet (bei mir im Wohnzimmer gibt es keine ausreichend große weite Wandfläche ohne Bücher-, Schallplatten-, CD-Regale usw. oder ohne Bilder). Das Ergebnis war so:
Die beobachteten Kreisscheiben waren bei Leica und Zeiss so gut wie gleich groß. Falls ein Unterschied besteht, muß er wohl kleiner als 1% sein. Beim Nikon war die Kreisscheibe ein bißchen und beim Swarovski deutlich größer.
Daraus ergibt sich, weil das Nikon-Glas erheblich weniger kissenförmig verzeichnet als die anderen Gläser, daß es entweder ein größeres Sehfeld als vom Hersteller angegeben hat oder die Gläser von Leica und Zeiss kleinere als die herstellerseits angegebenen Sehfelder haben oder daß die Vergrößerung des Nikon-Glases deutlich höher sein muß als die der Gläser von Leica und Zeiss. Jedenfalls konnte ich nicht verifizieren, daß das eindeutig randschärfste Fernglas, nämlich das Nikon 8x32 HG-L, deswegen weniger weitwinkelig sei als die Gläser von Leica und Zeiss, sondern ich sah eindeutig, daß es im Gegenteil einen größeren scheinbaren Sehwinkel bietet.
Wenn ich einmal viel Zeit habe, werde ich die exakten tatsächlichen Sehfelder, die exakten Vergrößerungen und die exakten scheinbaren Sehwinkel messen und daraus auch die Verzeichung aller vier obengenannten Ferngläser berechnen und hier meine Ergebnisse mitteilen.
Wer zwei Ferngläser besitzt und den obigen Test nach meiner Anleitung durchführt, sollte vorher versuchen, nur nach abwechselndem Durchschauen schon eine Aussage über die scheinbaren Sehwinkelgrößen zu machen. Ich bin sicher, daß mancher dann nach dem Test feststellen wird, daß man sich dabei ganz schön verhauen kann (so, wie es vielen mit meinem Transmissionstest gegangen ist). Ein Test kann eben nicht anhand eines flüchtigen Augenscheins durchgeführt werden, weil es zu viele Unsicherheiten und Täuschungsmöglichkeiten gibt, sondern zuverlässige Aussagen sind nur unter kritischen und reproduzierbaren Testbedingungen möglich.
Walter E. Schön