Zitat:
"keinesfalls jedoch müssten die standortbedingten Unterschiede bei fast 40% liegen - siehe Preise der japanischen Autos. Folglich müsste eigentlich ein nennenswerter Betrag der Preisdifferenz "übrig" sein, um die Zielkonflikte Sehfeldgröße, Gewicht und Bildhelligkeit vs. Randschärfe wenigstens in einem zufriedenstellenden Kompromiss zu lösen."
Wie können Sie behaupten, dass die Preisunterschiede geringer sein müssten? Wonach bewerten Sie Preisunterschiede? Und wieso glauben Sie, Ihr Preismaßstab wäre der richtige? Preise bestimmen sich doch in erster Linie danach, was der Markt hergibt und nicht nach persönlichem Dünken. Die Tatsache, dass die europäischen Spitzenhersteller auf dem hiesigen Markt für manche Produkte bei anderer, vielleicht gar geringerer Leistung höhere Preise erzielen können, hat mit psychologischen Faktoren, wie Markenbindung, Historie, Design, Exklusivität, meinetwegen auch Kult, kurz gesagt mit Gefühlen zu tun. Hohe Preisdifferenzen, die nicht durch adäquat höhere (hier optische) Leistung gedeckt sind, sind Teil des Spiels, dem nicht nur technische Produkte als Statussymbole unterliegen. Ich sehe nicht, was daran unverständlich sein sollte. Wenn Sie Swarovski-Gläser anschauen, ist die Preisdifferenz sogar noch höher, obwohl ihre optische Gesamtleistung in einigen Fällen inzwischen nicht mehr ganz state of the art ist. Solange die Kundschaft mitspielt, ja sogar gerne für die vermittelten Gefühle bezahlt,ist daran nichts auszusetzen. Wir sollten uns darüber volkswirtschaftlich gesehen eher freuen.
Wenn Ihnen der Mehrpreis der Zeissgläser zu hoch und die genannten Zielkonflikte bei Nikon besser gelöst erscheinen, worin ich Ihnen zustimmen würde, dann nutzen Sie Ihre Erkenntnis dazu ein Nikon-Glas zu erwerben und auf das Zeiss-Logo und die guten Gefühle zu verzichten. Wenn aber einige der o. g. psychologischen Faktoren im Spiel sind, sollten Sie sich die Freude an einer einmal getroffenen Wahl durch das Schielen nach anderen Töchtern nicht verderben lassen. So schmerzlich sind die Unterschiede bei den Spitzenprodukten wahrlich nicht. Sie fühlen sich nur dann so an, wenn man einst geschätzte Vorzüge durch die Gewöhnung zu übersehen beginnt und einst übersehene Fehler durch ständiges Nachschauen zu überschätzen beginnt. (Und mit dieser Verhaltensweise kann man nicht nur die Beziehung zu seinem Fernglas ruinieren...)
Sie behaupten ferner, dass Zeiss "wenigstens" einen zufriedenstellenden Kompromiss anbieten müsste und dazu einen nennenswerten Betrag der Preisdifferenz in die Verbesserung der Randschärfe stecken müsste. Dass Sie den Entwicklern gegenüber respektlos sind, wie das Wörtchen "wenigstens" verrät, mag in Ordnung gehen, dass Sie aber andere Kunden, denen höchste Randschärfe weniger wichtig ist, mit höherem Gewicht und geringerer Transmission zwangsbeglücken möchten, geht ein bisschen weit. Wie erklären Sie den momentan grossen Verkaufserfolg der FL-Linie? Für die Käufer ist der angebotene Kompromiss offenbar sehr zufriedenstellend. Wozu sollte Zeiss seinen Gewinn schmälern und womöglich diese Kunden enttäuschen, die bisher Handlichkeit und Helligkeit der FL-Gläser sehr schätzen und dafür gern auf den letzten Fitzel Randschärfe verzichten? Zeiss hat schon einmal versucht, eine optisch exzellente Fernglaslinie an den Mann zu bringen, die aufgrund schwergewichtiger Gläser mit anomaler Teildispersion etwas unhandlich geraten war und deren Verkaufserfolg sich sehr in Grenzen hielt, um es vorsichtig auszudrücken. Warum wohl ist man nun zu leichteren (und optisch weniger exklusiven) Konstruktionen zurückgekehrt und setzt dabei auf Kunststoffgehäuse, die zwar funktional sind, aber nicht gerade das Gefühl höchster mechanischer Präzision und Ästhetik vermitteln?
Man darf eben nicht vergessen, dass optische Höchstleistung bei Ferngläsern nur dann am Markt erfolgreich ist, wenn die Gläser handlich und leicht (und schön) sind. Diese wichtige Vorbedingung, ein bestimmtes Volumen und Gewicht nicht zu überschreiten, ist die eigentliche Herausforderung für die Entwicklungsingenieure. Fernoptiken, die nicht klein und leicht sein müssen (z.B. militärische Zieleinrichtungen, Periskope, etc.) sind auch heute noch bei sonst gleichen optischen Kenndaten jedem Handglas um Längen optisch überlegen. Und dass stabilisierte Gläser heute noch nicht den Markt beherrschen, hat ganz wesentlich auch mit diesem Punkt zu tun.
Wenn man die Nikon HG-Linie betrachtet, kann man förmlich spüren, wie die Entwickler beim Ringen um einen handlichen Kompromiss das Feld der konstruktiven Möglichkeiten in allen Richtungen bis and die gegenwärtigen Grenzen abgetastet und das Ergebnis so platzsparend und leichtgewichtig wie möglich verpackt haben. Sie können also sicher sein, dass eine höhere Randschärfe mit weniger als ca. 150g Mehrgewicht bei 32er-Gläsern momentan nicht zu machen ist, auch nicht für Zeiss oder Leica. Spitzengläser zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass hier die Grenzen des vorgegebenen technischen Rahmens ausgelotet werden. Da sich alle Faktoren gegenseitig bedingen, kann es kein alleiniges bestes Ergebnis geben, sondern nur verschiedenartige Kompromisspakete. Leica und Zeiss bieten andere Eigenschaftskombinationen als Nikon, weil sie eine andere Klientel im Auge haben. Zeiss favorisisert höchste Transmission, damit die Gläser in der Dämmerung Höchstleistung bieten, denn die jagende Kundschaft erwartet dies ebenso, wie ein geräuscharmes funktionales Gehäuse, das darum gerne aus Kunststoff sein darf. Leica optimiert seine Gläser auf maximalen Tagkontrast bei höchster Farbsättigung, erfreut damit die Vogelfreunde und spricht mit seinen wertigen Metallgehäusen in edlem Design die Ästheten an . Swarovski legt Wert auf höchsten Komfort bei Einblick und Handhabung und leistet sich ein Loch zum Durchgreifen, das auch die Meinungen teilt. Alle erreichen ihr Ziel in einem für handliche 32er-Reisegläser akzeptablen Gewichtsbereich von 500-600g. Wer Nikon wählt, bekommt die vielleicht insgesamt höchste optische Leistung und das auch noch zum besten Preis, muß dafür aber Abstriche bei Gewicht, Design (gewölbte Okulartuben), Transmission, Marktpräsenz und Statuswirkung, womöglich auch beim Service hinnehmen.
Zum Schluss werfen Sie den europäischen Herstellern von Spitzengläsern den "Fehler" vor, die finanziellen Möglichkeiten Ihrer Kunden zu verkennen, die Ihrer Meinung nach für mehr Randschärfe gern ein paar Euro mehr hinblättern und ein paar Gramm mehr herumtragen würden. Vielleicht haben Sie darin Recht. Es wäre sehr zu wünschen, denn dann wäre hier Marktpotential für die Zukunft unserer Hersteller vorhanden. Da Zeiss momentan gut verkauft, besteht für dieses Haus wohl in nächster Zeit wenig Anlass, etwas zu ändern. Vielleicht leistet sich ja Leica eine neue randschärfere Linie, um auch die "tragfähigen finanzkräftigen Perfektionisten in den besten Jahren" so gut zu bedienen, wie sie es sich wünschen und verdient haben. Auch Swarovski könnte seine erfolgreiche Hochpreisstrategie mit neuen Produkten fortsetzen, falls man von den hübschen Gewinnen der Vergangenheit der Entwicklunsabteilung etwas zugute kommen liess, was aber fraglich erscheint. Wollen wir im Interesse Europas hoffen, dass die Nikon-Marketingabteilung auch weiterhin fest schläft und die Chinesen nur langsam erwachen.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 15.10.06 01:10.