Dazu gab es erst vor wenigen Wochen hier im Forum eine Diskussion. Die „Lichtbalken“ (Astronomen nennen sie „Spikes“) beiderseits sehr heller Lichter in dunkler Umgebung entstehen durch Beugung und werden dann deutlich sichtbar, wenn die Dachkante nicht fein genug ist (sondern aufgrund unpräziser Fertigung verbreitert). Theoretisch könnte die Dachkante als Schnittgerade der beiden Dachflächen unendlich dünn sein - eben wie eine mathematische Gerade. Dann gäbe es auch keine Beugungs-Spikes. Praktisch ist sie es jedoch nicht, sondern es gibt eine gewisse Verrundung und Ausbrüche beim Schleifen und Polieren. Wer eine hochwertige, extrem dünne und dann kaum sichtbare Beugung verursachende Dachkante produzieren will, muß mit sehr niedriger Drehzahl bzw. Geschwindigkeit polieren. Da kann die Politur eines Prismas durchaus eine Stunde lang dauern. Es ist klar, daß ein Billighersteller sich solchen Aufwand nicht leisten kann und folglich Prismen produziert, die schon in weniger kritischen Situationen sichtbare Lichtbalken durch Beugung erzeugen.
Man kann die Beugung an der Dachkante an einem Fernglas mit Porroprismen, also ohne Dachkante innerhalb des Lichtbündels und somit auch ohne diesen unerwünschten Effekt, simulieren, indem man mittig (wie einen Durchmesser des Kreises) vor das Objektiv einen Faden oder dünnen Draht spannt. Die Beugungs-Lichtbalken verlaufen stets rechtwinklig zum Faden bzw. zur Dachkante, also z.B. horizontal, wenn man den Faden vertikal vors Objektiv spannt. Die Beugung an einen solchen strichförmigen Hindernis im Strahlenkegel entsteht genauso wie die Beugung an einem Lichtspalt. Sie ist im Grunde nur dessen Komplement (quasi das Fehlen des Beugungsbildes eines Lichtspaltes, der anstelle des strichförmigen Hindernisses (Faden, Dachkante) das dort fehlende Licht wieder hinzufügen und das Bild wieder frei von Beugungs-Lichtbalken machen würde. Wenn Sie jetzt fragen, warum man dann nicht dunkle, sondern helle Balken sieht, wenn das durch den Spalt am Ort des Hindernisses fallende Licht fehlt, so haben Sie nicht bedacht, daß sich bei kohärentem Licht nicht Helligkeiten einfach addieren, sondern sie sich je nach den Phasenbeziehungen durch sog. Interferenz auch auslöschen können. Wenn Sie sich vorstellen, daß die von einem strichförmigen Hindernis erzeugten Lichtbalken identisch sind mit denen, die ein exakt wie das Hindernis dimensionierter Spalt am gleichen Ort erzeugt hätte, nur mit dem Unterschied, daß die Wellen gegenphasig schwingen, dann liegen sie richtig. Würde man die beiden Beugungserscheinungen, also die der Dachkante und die eines gleich großen und an gleicher Stelle liegenden Spalts einander überlagern, würden sie sich aufgrund der entgegengesetzten Phase auslöschen und die Beugungs-Lichtbalken wären weg.
Walter E. Schön