Mit Gewißheit kann ich sagen, daß die bei meiner Prüfmethode erkennbaren Unterschiede wesentlich deutlicher sind als die Auswirkungen der Qualitätsunterschiede auf die Bildschärfe. Es ist also ähnlich wie bei meinem Transmissions-Papiertest oder sogar in noch höherem Maße so, daß ich besser prüfen kann, als es für die Beurteilung der Auswirkungen auf die Bildgüte nötig oder wünschenswert ist. Mit anderen Worten: Wenn die von mir festgestellten Unterschiede nur sehr gering (aber durchaus noch verifizierbar!) sind, dann spielen sie für die Beobachtungspraxis keine Rolle mehr. Eine noch präzisere Prüfmethode ist daher nicht erforderlich, wenn es nur darum geht, Ferngläser zu beurteilen.
Welche quantitative Auswirkung auf die Bildschärfe sich aus den festgestellten Unterschieden ergeben, könnte man erst dann zuverlässig sagen, wenn man umfangreiche und nur mit sehr großem Zeit- und Kostenaufwand machbare Testreihen durchführte. Dazu fehlen mir die Zeit und das Geld, zumal sich daraus für mich auch keine finanzielle Entschädigung oder gar ein Gewinn ergäbe. Ich bin hier im Forum sowieso nur als „Non-Profit-Unternehmen“ tätig und verdiene meinen Lebensunterhalt mit anderen Tätigkeiten. Ich plane deshalb auch keine derartigen Tests.
Um denen, die nicht mit solchen Dingen vertraut sind, ein anschauliches Beispiel zu bieten, wähle ich den „Klirrgrad“ von HiFi-Anlagen. Bei diesem Verzerrungswert handelt es sich um den Anteil der nicht im Original enthaltenen, sondern vom Gerät aufgrund nichtlinearer Verstärkung oder Wandlung, z.B. eines elektrischen Signals in den mechanischen Hub einer Lautsprechermembran, hinzugefügten Oberwellen (= ganzzahliger Vielfacher der jeweiligen Grundfrequenz von Sinusschwingungen, aus denen sich alle Klänge zusammengesetzt denken lassen). Den höchsten Anteil und die störendste Wirkung hat meistens die dreifache Grundfrequenz, weshalb oft in Testergebnissen statt des Gesamtanteils der einfacher meßbare K3, also der Leistungsanteil der zweiten Harmonischen = der dreifachen Grundfrequenz, angegeben wird. Man kann solche Messungen sehr genau durchführen, aber was sie als empfundene Störung eines Musiksignals bedeuten, ist sehr schwer zu sagen, weil es zur Beurteilung auf viele weitere Parameter ankommt (z.B. 1. wo innerhalb des Hörbereichs diese dreifache Grundfrequenz liegt – im Bereich im 1 kHz wäre es am schlimmsten, weil dort die Lautheitsempfindung am höchsten ist; 2. welches Oberwellenspektrum das jeweilige Instrument hat – bei einer relativ obertonarmen Flöte hört man Klirren deutlicher als bei der sehr obertonreichen Geige oder beim Cembalo; 3. ob es sich um den Klang eines einzigen Instruments oder um das komplexe Gemisch der Klänge mehrerer, eventuell sehr verschiedenartiger Instrumente handelt, deren Obertonspektren das Klirren kaschieren können; 4. ob ein lang anhaltender Ton oder Klang oder nur ein impulsartiger gespielt wird, bei dem das Ohr gar nicht genügend Zeit zur Frequenzanalyse hat und möglicherweise sogar kurzzeitig übersteuert und somit unfähig wird, Klirren herauszuhören; 5. wie das Klirrspektrum aussieht, also wie sich die Pegel von K2, K3, K4, K5,... relativ zueinander verhalten). Deshalb sind die in HiFi-Zeitschriften angegebenen Klirrgradangaben immer mit großer Vorsicht zu interpretieren. Insbesondere ergibt sich nicht zwingend, daß z.B. ein Verstärker mit Klirrgrad 0,02% besser klingen muß als einer mit Klirrgrad 0,05%. Man kann letztlich nur sagen, daß es von Vorteil ist, einen möglichst kleinen Klirrgrad zu haben. Eventuell können andere Mängel (Frequenzgang, Intermodulation, Rauschen, Phasenverschiebungen usw.) einen viel größeren Einfluß auf die Klangqualität haben und dann eine ausschließlich aus Klirrgradwerten abgeleitete Qualitäts-Rangfolge völlig auf den Kopf stellen.
Ähnlich ist es mit der Wirkung des Phasenkorrekturbelags. So kann ein ansonsten sehr gutes Fernglas ohne Phasenkorrekturbelag, z.B. ein Leica- oder Zeiss-Dachkantferngals 8x32 von 1985, durchaus ein viel schärferes Bild zeigen als ein heutiges Dachkantfernglas minderer Optikqualität mit Phasenkorrekturbelag. Es gibt auch sicher eine Mindestschärfe, die erst erreicht werden muß, um einen Kosten verursachenden Phasenkorrekturbelag überhaupt sinnvoll werden zu lassen. Solange diese Mindestschärfe nicht erreicht ist, wäre es besser, das durch Weglassen des Phasenkorrekturbelags eingesparte Geld anderweitig für Verbesserungen auszugeben, z.B. für teurere Glassorten oder wirksamere Vergütung.
Um zur ursprünglichen Frage zurückzukommen: Die von mir genannten Prozentwerte waren, wie ich auch schon geschrieben hatte, nur grobe Schätzungen der Korrekturwirkung, nicht aber der damit erzielten Steigerung der Bildschärfe. Um da eine Korrelation zu ermitteln, müßte man am besten mittels MTF-Messungen an ein und derselben Fernglaskonzeption ohne Phasenkorrektur und mit Phasenkorrektur in abgestuftem Wirkungsgrad durchführen. Und dann müßte man noch die Korrelation zwischen den MTF-Werten und der von Beobachtern empfundenen Schärfe mittels Reihenuntersuchung an vielen Testpersonen ermitteln. Alternativ könnte man die Reihenuntersuchungen mit vielen Testpersonen auch direkt in Abhängigkeit von unterschiedlich guten Phasenkorrekturen (unter Umgehung der MTF-Messungen) durchführen. Solche Untersuchungen könnte eine Universität oder Fachhochschule mit Studenten quasi als Grundlagenforschung durchführen oder sich evtl. auch eine gut verdienende Herstellerfirma zur Optimierung ihrer Produkte leisten, aber mich als kleinen Einzelkämpfer führten derartige Untersuchungen mit Gewißheit in den finanziellen Ruin. Ich muß mich darum leider weiterhin mit nur qualitativen und nicht auch noch quantitativ untermauerten Ausssagen begnügen. Ich glaube, daß es aber dennoch interessant sein kann zu erfahren, welche Ferngläser einen besonders guten oder einen weniger effektiven Phasenkorrekturbelag habe. Zu erfahren, welche gar keinen haben, obwohl der Hersteller die Existenz eines solchen verspricht, ist natürlich noch wichtiger und kommt glücklicherweise ganz ohne Aussagen über eventuell umstrittene Prozentwerte aus.
Walter E. Schön