Und um noch einen Vorschlag hinzuzufügen und zum Thema Fernoptik zurückzukehren: Canon bringt im März ein neu konstruiertes 10x42 wasserdichtes IS Fernglas heraus. Bisher konnten die bildstabilisierten Gläser von Canon rein optisch ja nicht ganz mit den Spitzenferngläsern von Leica etc. mithalten. Ich bin wirklich gespannt auf dieses neue Fernglas. Wenn es Spitzenoptik plus Bildstabilisierung liefert, dann kommt der Angriff auch noch von dieser Seite und die Traditionsfirmen müssen sich noch wärmer anziehen. Es reicht heute im internationalen Wettbewerb nicht mehr, sich auf seine Kernkompetenz, in diesem Fall Optik, zurückzuziehen. Es kommt auf die sinnvolle Erweiterung der Kompetenzen an und das ist nun einmal die (Mikro-)Elektronik - daran wird man zukünftig immer weniger vorbeikommen. Man versucht ja auch bei Leica in diesen Bereich z.B. durch die Zusammenarbeit mit Panasonic vorzudringen.
In einem englischsprachigen Optikforum wurde der Unterschied zwischen europäischer und japanischer Unternehmensphilosophie einmal recht treffend so beschrieben: Die Europäer vertrauen auf ihre Kompetenz und Qualität, werfen Produkte auf den Markt und sagen zum Verbraucher: das ist, was wir haben. Die Japaner fragen den Verbraucher vorher, was sie haben wollen.
So sollte man auch an die Verbesserung von fernoptischen Geräten herangehen. Ein Beispiel für eine solche Herangehensweise wäre: Was stört den Benutzer eines Fernglases, wenn er unbedingt etwas genau sehen will? Antwort 1: er sieht zu wenig Details. Lösung 1: man erhöhe die Vergrößerung. Diesen Punkt hat Leica durch Einführung der Duovid-Modelle schon sehr gut gelöst. Doch dabei verstärkt sich ein anderes viel grundlegenderes Problem: die Verwackelung. Der Fernglasnutzer will kein Stativ herumschleppen. Eine andere Lösung 2 muss her: die Bildstabilisierung. Vielfach kollidieren die Lösungen verschiedener Fragestellungen miteinander. Zeiss hat mit dem 20x60S zwar ein Angebot im Programm, doch der Preis für dieses Produkt kollidiert mit dem Ziel, dass sich möglichst viele Leute ein solches Gerät kaufen. Hier wird bereits deutlich, wie komplex Herstellung und Verkauf solcher Produkte sind und wie sehr auch nichtoptische Kriterien von Bedeutung sind.
Ich habe hier nur ein Beispiel für ein Kriterium genannt. Im Grunde muss man alle Eigenschaften eines solchen Gerätes in Einzelfragen auflösen. Besonderes Augenmerk sollte man dabei auch auf die Ergonomie legen. Das Geheimnis hinter dieser Wissenschaft liegt in der Anpassbarkeit der Technik/des Gerätes an die individuellen Gegebenheiten. Jahrzehntelang schien der Dioptrieausgleich das Einzige zu sein, was den Herstellern hierzu einfiel. Die Drehaugenmuschel (ich glaube, diese wurde von Nikon Mitte der 90er Jahre eingeführt) brachte einmal einen weiteren Schritt in diese Richtung.
Wann liegt eigentlich ein Fernglas gut in der Hand? Diese Frage mag man sich bei Swarovski gestellt haben, als man die Daumenmulde und später den sogenannten Durchgriff erfand. Solche Fragen sind es, welche ein Produkt voranbringen. Die Oppornierbarkeit des Daumens ist das anatomische Charakteristikum der menschlich Hand. Hier anzusetzen war eine geniale Idee und auch hier musste man über den Tellerrand der optischen Kernkompetenz hinwegschauen und sich z.B. mit der Anatomie der menschlichen Hand beschäftigen. Dieses fachübergreifende Denken und die Fähigkeit, sich in andere Menschen, z.B. den Kunden hineinzuversetzen - hier sehe ich das Hauptdefizit in vielen deutschen Unternehmen.
S. Green
