Hallo Herr Distel, Herr Münzer, und auch alle anderen,
ich hatte bei meinem schnell hingeworfenen Beitrag weder direkt an Sie gedacht, noch wollte ich mit meinem Nachsatz irgendjemandem zu nahe treten. (Ich glaube aber, dass es niemandem schadet, sich gelegentlich selbstkritisch zu betrachten - ausgenommen die gar nicht so seltenen Leute, die keine Fehler haben). Selbstverständlich respektiere ich, dass anderen Beobachtern hohe Randschärfe sehr wichtig ist - mir ist sie das nur beim Sternegucken, besonders wenn ein Glas fest montiert ist. Bei der Tagbeobachtung fällt sie mir kaum störend auf, wenn ich nicht bewußt darauf achte. Vielleicht ändert sich das mit zunehmendem Alter, wer weiß. Natürlich hätte ich auch nichts dagegen, wenn die Randschärfe einiger Modelle verbessert würde, aber nur wenn dies nicht auf Kosten anderer Vorzüge geschehen könnte. Und genau da, glaube ich, liegen die Probleme!
Höhere Randschärfe zu fordern bedeutet entweder Nachteile in anderer Hinsicht in Kauf zu nehmen, oder Erforschung und Einsatz neuer Materialien und Methoden. Es bedeutet entweder bei den bisherigen technischen Möglichkeiten zu bleiben und die Korrektionsphilosophie zu ändern, also die Gewichtung gewünschter Eigenschaften, oder mit neuen Materialien und Verfahren neue Möglichkeiten zu eröffnen. Letzteres ist ein teurer, langer und vermutlich wenig lukrativer Weg, der noch dazu mit dem Risiko behaftet ist, am zu großen Aufwand zu scheitern oder finanziell unrentabel zu bleiben. Vielleicht bringt die Zukunft tatsächlich neue farbreinere Glassorten, asphärische Elemente, leichte Polymeroptik, bessere Schwärzung gegen Streulicht, gewichtsreduzierte weitwinklige Spiegelprismen, usw. aber Zeit und Geld sind knappe Resourcen. Der Mut ausgetretene Pfade zu verlassen kostet Geld und bedeutet ein höheres Risiko abzustürzen. Wer von anderen diesen Mut zu verlangt, hat leicht reden. Die Unternehmen werden in Zeiten, die sie zur kurzfristigen Gewinnmaximierung zwingen, vorsichtig bleiben müssen. Deshalb zurück in die Gegenwart, denn die Randschärfe-Fans wollen nicht bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten.
Die gegenwärtigen Möglichkeiten hohe Randschärfe zu realisieren müssen immer irgendwomit bezahlt werden, entweder mit höherem Gewicht und minimal geringerer Transmission, oder mit geringerer Mittendefinition, oder größerer Baulänge - von Geld nicht zu reden. Umsonst ist sie nicht zu haben, da sind wir uns hoffentlich einig. Spitzengläser sind extreme Produkte, in denen die Grenzen des unter vernünftigen Randbedingungen gegenwärtig machbaren realisiert sind. Mir kommt es so vor, als würden einige das vergessen, etwa dann, wenn auf Swarovski hingewiesen wird. Wer den Kompromiß, den Swarovski in der Mitte eingeht, nicht störend bemerkt, sollte trotzdem bedenken, dass anderen dies auffallen kann. Für alle gewichtsbewußten Randschärfefans, die höchste Mittendefinition nicht, oder nicht mehr so gut, wahrnehmen können, sind die Swarovskigläser eine optimale Entscheidung. Wo also liegt das Problem, wenn deren Wahrnehmungsvermögen mit diesen Gläsern optimal bedient wird? Swarovski ist ideal für Jüngere mit durchschnittlichem Visus und für Ältere desgleichen, oder für Ältere deren Visus bis in diesen Bereich abgenommen hat. Geld müssen beide mitbringen, da sind die Älteren im Vorteil. Das Swarovski mit dieser Zielgruppe gut ins Geschäft kam, liegt auf der Hand.
Für Rancschärfefans, die gerne ca. 150g Mehrgewicht für besser geebnete Okulare in Kauf nehmen und die etwas weniger bezahlen wollen, sind Nikongläser eine optimale Entscheidung, aller Wahrscheinlichkeit nach besonders die neuen EDG. Auch Canon-Gläser können (vielleicht dank höherem Volumen?) eine bessere Bildfeldebnung anbieten.
Damit sind die momentan machbaren Optionen auf dem Markt und im Angebot. Was also bedeutet die immer wieder erhobene Forderung nach höherer Randschärfe, die sich demzufolge nur an Zeiss und Leica richten kann? Es bliebe Zeiss und Leica nur übrig, in eines der oben genannten beiden Lager überzuwechseln oder eine neue Fernglaslinie zusätzlich ins Programm aufzunehmen. Wenn letzteres aus ökonomischen Gründen ausscheiden sollte, würden diese Hersteller – aus den oben genannten Zeit- und Kostengründen - damit faktisch aufgefordert, ihre Korrektionsphilosophie bei allen Gläsern zu ändern. Andere Beobachter aber schätzen deren bisherige Korrektionsphilosophie ganz außerordentlich, die auf Kosten der Randschärfe eben andere Vorzüge betont, nämlich Gewicht, Transmission, Mittendefinition und Plastizität. Ein kaum lösbares Dilemma.
Warum sollten Zeiss und Leica ihre bisherige Abstimmung besser beibehalten? Viele, die eher punktgenau beobachten lieben maximale Mittendefinition – mir ist z.B. ein Swarovski 8x32 EL deutlich zu weich – und möchten darauf nicht verzichten. Sie nutzen die höchste Leistung in dieser Zone gern, obwohl diese natürlich an hohe Voraussetzungen gebunden ist und deshalb nicht immer abrufbar ist. Hoher Visus des Beobachters, der von Tagesform oder anderen Befindlichkeiten bis hin zum Klima abhängen kann und optimale Lichtbedingungen, abhängig von Sonnenstand bis hin zu atmosphärischen Einflüssen, sind nicht immer gegeben. Unter weniger als optimalen Umständen kann ein Zeiss oder Leica womöglich nicht mehr mit deutlich besserer Mitte punkten, dieses Potential bleibt dann ungenutzt und es überwiegt der Eindruck des schwächeren Randes. Aber weder dieser Sachverhalt, noch etwas, das jemandem mit durchschnittlichem Visus als bloßer Spieltrieb der Ingenieure vorkommen muß, weil er es nicht wahrnehmen kann, berechtigt zu fordern, andere mit besseren Augen und anderen Vorlieben sollten sich zukünftig mit geringerem und dafür gleichmäßigerem Potential zufrieden geben.
Nicht alle sind eher „statische“ Beobachter und rollen lieber die Augen bei fixierter Glashaltung. Eher „dynamische“ Beobachter rollen die Augen seltener und wenn ihnen etwas Interessantes in Randnähe durch indirektes Sehen auffällt, bewegen sie unwillkürlich Augen und Kopf samt Glas dorthin. Dieses Augenrollen und Kopfnachziehen geschieht dann gekoppelt und unbewusst so zügig, dass die winzige Winkelbewegung von Kopf und Glas, es sind doch nur 2oder 3mm, einem zwar anderen, aber genauso „natürlichen“ Beobachten entspricht, wie es Herr Münzer, humorvoll blinzelnd, für seine „Starrköpfigkeit“ plus häufigerem Augenrollen reklamieren möchte. (Etwas mehr Dynamik im Kopf- und Schulterbereich, besonders im Kopfbereich, statt Schonung, dürfte auch älteren Beobachtern nicht schaden.)
Für Leute wie Hern Müllers und mich, die oft auf den Punkt beobachten und selten Panoramen mit rollenden Augen und statischer Glashaltung genießen, ist aus all diesen Gründen eine Korrektionsphilosophie erfreulich, wie sie Zeiss und Leica vertreten, und wir möchten darauf nicht verzichten. Ich liebe ein weites Sehfeld für das indirekte Sehen, bei dem ich etwas Randunschärfe gern in Kauf nehme. Ich benötige kein besser geebnetes Bildfeld, weil ich vorwiegend plastische Objekte mit natürlicher Tiefe beobachte, da kann ein „krummeres“ Bildfeld den näheren Vordergrund sogar besser wiedergeben. Und mir wäre eigentlich ein geringes Gewicht von nur um die 400g für ein 8- oder 10x32 am liebsten! (Ich beobachte sogar freihand ausgesprochen gern und häufig mit einem 1300g leichten 20x70 Porro Vögel und Kleintiere, ob Sie's glauben oder nicht. Auch in Sachen Kompensation der Handunruhe ist das Gehirn lernfähig. Vielleicht kennen einige den sich scheinbar wellenförmig auf und ab bewegenden Boden bei der Ruhepause nach einer langdauernden Wanderung). Die leichten Gläser von Leica und Zeiss sind nicht am Rand schwächer, OBWOHL sie in der Mitte so gut sind, sondern sie sind am Rand schwächer, WEIL sie in der Mitte überragend sind! Die geringe Randschwäche tritt nur im Unendlichen oder bei Betrachtung ebener Objekte zu Tage, und nur wenn man eher augenrollend statt glasschwenkend beobachtet. Mancher findet eine zum Rand nachlassende Bildleistung sogar ästhetisch, weil sie dem natürlichen Bildeindruck des ruhenden Auges entgegenkommt. Berühmte Fotografen wie Ansel Adams dunkelten gern den Bildrand leicht ab, oder tauchten ihn in leichte Unschärfe, um die plastische Bildwirkung zu steigern.
Wenn Herr Münzer angesichts seines hohen Alters bei seiner Art des natürlichen Beobachtens nach ubiquitärer Bequemlichkeit ruft, der sich ein Glas auch am Rand anzupassen habe, ist das legitim. Aber wir anderen rufen dann eben nach lokaler Maximalleistung, der sich bei unserer nicht minder natürlichen Art des Beobachtens ein Glas in der Mitte anzupassen hat. Wir verlangen, dass neben universellen Digital-Pianos auch weiter brilliante Steinway-Flügel gebaut werden, die zwar nicht alles gleichermaßen gut können, aber das uns Wichtigste unvergleichlich besser, auch wenn sie nicht so bequem zu spielen sind und nicht jeden Tag gleich gut klingen.
Herr Werres hat mit seiner Einschätzung, ein Glas realistisch als Gesamtpaket mit Vorzügen und Schwächen zu betrachten und zu beurteilen, meiner Meinung nach vollkommen recht. Auch Herrn Distels Empfehlung zu einer Ergänzung eines 10x56 zeugte von vorurteilsloser Betrachtung von Stärken und Schwächen. Solch kritische Einschätzungen haben etwas Befreiendes. Wenn ich klarer sehe, wie die Verhältnisse bei manchen Dingen wirklich liegen, lerne ich, meine Bedürfnisse besser einzuschätzen. Mir fällt es leichter die Geräte zu erwerben, deren Vorzüge mir wichtig sind und mit deren Nachteilen ich leben kann, sogar leben will. Ich löse mich von der Utopie, das in jeder Hinsicht Beste und Stärkste erlangt zu haben, erlangen zu können, erlangen zu müssen, und schmunzle über Bestenlisten, Schönheitswettbewerbe, Starkult, Werbung, Propaganda und dergleichen. Ich lerne, die Nachteile eines Angebots zu akzeptieren und schätze es trotzdem angesichts seiner Vorzüge nicht weniger.
Die Utopie das Beste realisieren und erlangen zu können motiviert die Menschheit zwar seit langem, aber sie kann und darf immer nur eine Utopie bleiben. Wenn sich Werbung und Propaganda verschiedener Utopien bemächtigen und mit dem Wunsch nach absoluter Überlegenheit spielen, bleibt das in der Kunst oder anderen Gedankenwelten vielleicht harmlos oder wirkt sogar inspirierend und führt das geschäftlich manchmal zum Erfolg. Aber wer solchen Wunschbildern erliegt und sie in der Realität ohne Rücksicht auf Opfer einfordert, der wird sich entweder auf der ewigen Suche nach dem heiligen Gral verlieren oder bei sich und anderen Verdruss hervorrufen. (Und im schlimmsten Fall sogar Krieg, hier gottlob nur den der Worte in einem Forum).
Niveau oder Charakter, es wird eine strittige Frage bleiben. Einige bevorzugen ein gleichmäßig hohes Niveau mit fast unbeeinträchtigter Randzone, andere begeistern sich für eine darüber hinausragende Mitte mit mehr Definition und höherer Plastizität und sehen über Randprobleme hinweg. Den besser bildgeebneten Canon- und Nikon-Gläsern mit höherer Randschärfe wird übrigens in Japan oft vorgeworfen, man blicke durch sie, als läge die Welt künstlich auf einer flachen Monitorscheibe, während man durch ein Zeiss oder Leica die Welt selbst und ihre Tiefe betrachten und erfahren könne. Höhere Randschärfe, geringere Bildfeldwölbung, geringere Plastizität, dazu weniger Mittendefinition oder höheres Gewicht und Volumen, können das wirklich alle wollen? Keiner sollte für die Anschauung seines Lagers die alleinige Vorherrschaft verlangen. Nieder mit der Diktatur einförmiger Harmonie. Es lebe die Toleranz für Unterschiede und ihre Dynamik! Es lebe die Vielfalt der Korrektionsphilosophien! Sie hat ja auch den Vorteil, dass sich mancher, je nach Aufgabe, Alter oder anderen Umständen, mal zu diesem mal zu jenem Lager schlagen kann.
Vielleicht gibt es in der Zukunft neue, andere Lösungen für unser Dilemma, wer wünschte das nicht. Ob sie tatsächlich „besser“ sein werden als die bisherigen Philosophien scheint fraglich. Bis dahin aber werden einige immer wieder, um ein paar schöne Worte Herrn Münzers zu gebrauchen, Schübe schmerzlicher Sehnsucht erleben, nach höherer Randschärfe, besserer Transmission, mehr Bequemlichkeit oder was auch immer. Das ist allzu menschlich. Wenn sie aber zugleich dem Wahn erliegen, alle diese Dinge kompromißlos einfordern zu können ohne andere Qualitäten antasten zu müssen, dann finde ich, hat Ihnen Friedrich Schiller etwas zu sagen. Er konnte, und das vermutlich ohne Fernglas, schon vor über 200 Jahren scharf und weit sehen. Seine Stimme aus der Vergangenheit hat etwas Tröstliches und ist frisch und lebendig wie je:
„Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“
6-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.04.08 02:50.