Der Markt, wir haben schon oft darüber diskutiert, zerfällt ganz brutal in Billigst- und Spitzenklasse. Das gilt nach meinen Informationen nicht nur für Westeuropa, sonder weltweit. Die sogenannte "solide Mittelklasse" kommt bzw. kam (z.B. Firma O.) bereits unter die Räder. Der Kunde hat sich immer stärker in Richtung kompaktes Dachkantglas bewegt, der Kunde hat entschieden, daß ein Zeiss 7 x 50 Porro ein Ladenhüter und ein Zeiss 7 x 42 Dachkant ein Renner ist, zumindest bei uns. Nikon kann Dir ähnliches berichten, es fällt ihnen viel leichter, ein HG zu verkaufen als ein SE. Wobei das SE mir auch okularseitig nicht so gefällt, also nicht wirklich durchkonstruiert ist. Wäre Nikon an dem Glas ernsthaft interessiert, würde die Klagen über kidney bean der Vergangenheit angehören, denn was man da machen muß, ist ja bekannt.
Man braucht sicher ein ganze Zeit um die Irrelevanz eines A.de Fernglasforums zu verstehen, aber es ist so. Da diskutieren die Jungs über Ferngläser, an denen kein westeuropäischer Hersteller auch nur einen Cent verdienen kann. Da werden gebrauchte Gläser empfohlen und bei Ebay erworben, um dann festzustellen, daß man Brillenträger ist. Da gibt ein mutiger Schreiner Hinweise zur Justage von Ferngläsern.
Das ist vielleicht unterhaltsam, aber interessant im wirtschaftlichen Sinne ist es nicht.
Bei uns liegt der mittlere Verkaufspreis für Ferngläser irgendwo knapp im 4-stelligen Bereich und Du kannst glauben, daß diese Käufer gründlich prüfen und diskutieren bevor sie soviel Geld ausgeben. Da spielen völlig unterschiedliche Interessen und Einsatzvorstellungen hinein, aber die große Gemeinsamkeit sind Gewicht und Volumen. Bei uns kaufen auch mindestens 25-30% Frauen ihr eigenes Fernglas, und die wollen auch greifen können und scharfstellen ohne Klimmzüge.
Damit sind Porrogläser als Komkurrenten gleichgroßer Dachkantgläser (Objektivdurchmesser) mausetot.
Anders sieht es noch eine kurze Zeit im Billigstsegment aus. Da zahlen halt überwiegend junge Leute Lehrgeld beim sympathischen Händler, dessen Werbeprosa sie nicht entschlüsseln können, manchmal denke ich, er kann es selber nicht.
Kommen wir zur Mittelklasse, früher die Domäne von Steiner, Eschenbach und weiteren Lieferanten, z.T. auch Vixen. Der Einbruch ist hier so massiv, die Ausweichbewegungen so eindeutig, daß man kein Hellseher sein muß um zu wissen, wie das ausgeht.
Ich bin kein Marketingspezialist, aber vielleicht muß das bei den Dingen so kommen, die man nicht wirklich braucht. Für die meisten von uns sind Ferngläser nämlich entbehrlich. Sie machen Spaß, entziehen sich aber einer wirtschaftlichen Betrachtung.
Die Entwicklung eines Porroglases kostet nicht die Welt. Wenn man bei Null anfangen muß, könnte ich mir ein paar hunderttausend Euro vorstellen, maximal eine halbe Million. Kalkulieren wir einmal extrem optimistisch einen jährlichen Abverkauf von 1000 Exemplaren. Allein die Abschreibung und Zinslast belastet dann jedes Glas mit 50-100 Euro. Handel und Marketing, Ersatzteilrücklagen, Garantieaufwand und Produktionskosten müssen berücksichtigt werden. Glaub mir, NIEMAND mit Verstand in der optischen Industrie würde dieses Wagnis eingehen.
Frag mal bei Zeiss, warum die APQ gestorben sind? Frag aber lieber die Leute aus der Kalkulation im Westen, nicht die traurigen Entwickler, die entwickeln durften ohne Kostenbremse. Die haben was absolut Tolles auf die Beine gestellt, nur leider nicht gewinnbringend.
Werner Jülich