Hallo Herr Münzer,
ich muß mich über die Empfindlichkeiten, die hier zu Tage treten, doch ziemlich wundern, nicht nur bei Ihnen. Ich denke sie haben damit zu tun, dass Premiumnutzer jederzeit fest im Glauben gelassen werden möchten, einen Premiumanspruch, eine Premiumgarantie auf absolute Perfektion Ihres Premiumproduktes in sämtlichen Belangen zu haben. Wenn ein Spitzenfernglas nicht mindestens die nächste Reise zu einem extrasolaren Planeten überstehen würde, kommt es nicht mal als Vitrinenmodell in Frage, nicht wahr? Die Werbung schürt solche absatzförderlichen Fantasien und deutet sich irgendwo auch nur der allerkleinste Verdacht an, derlei Übertreibungen könnten mit der Realität in seltenen Fällen minimal kollidieren, steigt der Gemütsdruck schlagartig an. Warum sonst reagiert man so gereizt auf ein paar prinzipiell vergleichende Überlegungen über die unterschiedliche Natur zweier Werkstoffe?
Was Sie hier anführen, Rufschädigung, unzulässige Vermischung von Fakten und Spekulationen, fehlende Belege und einem vermeintlich resultierenden gefährlichen Einfluß auf die Geschäfte eines Herstellers sind doch ziemlich übertriebene Unterstellungen, finden Sie nicht? Wenn sich jemand über das langsame Rosten von Autokarrosserien im allgemeinen, und bei einem Nobelhersteller im besonderen, öffentlich Gedanken machte, bezichtigten Sie ihn dann auch der gefährlichen Geschäftsschädigung, weil Nobelfahrer von Rost nichts hören wollen? Es hieße ja in letzter Konsequenz, kritische Auseinandersetzungen ab einem gewissen Punkt zu unterbinden und allenfalls hinter vorgehaltener Hand weiter zu munkeln. Wenn Sie ernsthaft dafür eintreten, fände ich das enttäuschend.
Sie kritisieren meine Anonymität. Die einiger anderer, die hier besser getarnt mit vermeintlichen Klartextnamen unterwegs sind, also unbemerkt Pseudonyme verwenden, um Ihre Interessen geschickt lancieren zu können, kritisieren Sie nicht.
Sie betonen Ihr Interesse an offenem Informationsaustausch und wittern hinter meinen Spekulationen verquastes Zündeln am Seelenfrieden der Premiumkunden. Wenn Sie die Zeit haben, einen kurzen Blick auf die prinzipielle sachliche Seite der Debatte zu werfen, dann schmökern Sie doch mal in dieser kurzen Leseprobe:
h t t p://files.hanser.de/hanser/docs/20070904_27941223-54_978-3-446-21851-2_Leseprobe_1.pdf
Was meine Erfahrung mit Polymeren auf anderen Gebieten angeht, kann ich nur sagen, dass es seinerzeit gezielt um deren physikochemische Manipulation des Quellverhaltens in wässrigen Lösungen ging. Ziel war, ihre ligandenabhängige Schichtdickenänderung für die Sensorik quantitativ und spezifisch besser nutzbar zu machen, um ihre Detektion, interferometrisch, mit Oberflächenplasmonenresonanz oder evaneszenter optischer Nahfeldmikroskopie, zu verbessern. Diese Dinge werden in der Umweltanalytik und Arzneimittelforschung eingesetzt und haben wenig mit Ferngläsern zu tun, zugegeben. Aber prinzipiell betrachtet halte ich mich nicht für ganz so unbedarft, wie Sie anzunehmen scheinen.
Was die Erfahrung von Zeiss mit dem Werkstoff angeht kann ich nur annehmen, dass man nicht grundlos die Gehäuse extern fertigen lassen wird, man betont doch, um was für ein Hochtechnologieprodukt es sich handelt. Und glauben Sie wirklich, vor der Einführung seien jahrzehntelange Tests mit den Gläsern gefahren worden? Ich kann nur sagen, dass ein paar einzelne wissenschaftliche Kollegen aus anderen Fakultäten, die dauernd in tropischen Breitengraden unterwegs sind, ähnliches berichtet haben wie Herr Müller. Was daran Einzelfälle sind, was eventuell konstruktiv noch verbessert werden sollte, wurde oder wird, kann ich weder beurteilen, noch gehört es in die Öffentlichkeit. Deshalb kann ich Ihrem Vorwurf, meine Spekulationen seien völlig unbegründet, auch nicht mit Quellenangaben begegnen, es bleibt beim Hörensagen.
Wenn Sie und einige andere so absolut überzeugt von der Unverwundbarkeit des Materials sind, dann machen Sie doch freiwillig ein ähnliches Experiment, wie ich es unfreiwillig mit meine Porro angestellt habe. Nehmen Sie Ihre Lupe, und braten Sie damit vergleichsweise auf dem Metallgehäuse Ihres Habicht und dem Polymergehäuse eines Victorys herum und berichten Sie. So ein Stresstest würde mich wirklich interessieren, müßte er Ihrer Meinung nach nicht völlig problemlos verlaufen? Ich kann Ihnen dank meiner Erfahrungen nur sagen, dass ich da vorsichtiger wäre und es lieber bleiben liesse. (Ich weiss nicht, ob es aus Lakehurst auch Ferngläser gibt, aber die Kameras, die danach gefunden wurden, waren immerhin noch als solche erkennbar.) Und wenn das Material wirklich teurer ist als Metall, könnte man ja überlegen, bei Zeiss wegen der Sammelbestellung einer Sonderserie in preisgünstigeren Metallgehäusen anzufragen, oder?
Ansonsten kann ich nur zum x-ten Mal wiederholen, dass für die weit überwiegende Mehrzahl der Anwender KEINE Probleme geben dürfte und ich selbst für meine Einsatzzwecke mir jederzeit ein polymeres Victory kaufen würde, ich halte mich weder jahrelang in der Wüste, noch in den Tropen auf. Auch gelegentliche Reisen in solche Gebiete werden die Gläser sicher klaglos überstehen. Hier sollte nur über die Frage des Dauereinsatzes unter extremsten Bedingungen spekuliert werden, und wenn einige viel maßvollere Anwender nicht mal das vertragen, kommt mir die bedingunslose Identifikation mit ihren Gerätschaften, die nicht mal den Anflug von kritischen Spekulationen duldet, pardon, kindisch vor.
Lieber Jan Münzer, ich glaube der Gaul ist nicht mit mir sondern mit ein paar anderen durchgegangen. Stellen Sie doch Ihrem Kätzchen nochwas von seiner Kalbleberpastete hin, schlafen Sie gut aus, und Ihre humorvolle Gelassenheit wird wieder zurückkehren, ich bin ganz sicher. Auch für schöne Mufflon- und Kranichbeobachtungen, oder gelegentliche Reisen in den Süden ist diese gedankliche "Materialschlacht", in die wir keine Hitze bringen wollen, ganz sicher völlig irrelevant.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 14.06.09 16:14.