Zunächst: Warum wollen Sie den untauglichen Vergleich mit den Flugzeugen fortführen? Allein die Tatsache, dass Verbundmaterialien nur sehr allmählich im Rumpfbereich eingesetzt werden, und dort immer noch vorwiegend auf Aluminium gesetzt wird zeigt doch, wie vorsichtig man damit ist, um sich für den Gewichtsvorteil dieses Materials nicht anderswo Risiken einzuhandeln. Die Anforderungen an die Materialien sind dort jedenfalls ganz andere als im Fernglasbau, auch die Dichtigkeit muß ja nur stundenweise gewährleistet sein, zwar bei tieferen Temperaturen, aber nicht jahrzehntelang ununterbrochen. Ich glaube jedenfalls, Ihr Vergleich führt nicht wirklich weiter.
Sie halten Stoßbelastungen für kritisch in Sachen Materialhaltbarkeit – gerade bei Kunststoff dürfte genau das aber ein viel geringeres Problem sein als bei Metall, der Kunststoff ist zähelastisch, da sind wir einer Meinung. Bei der Ihrer Meinung nach so harmlosen UV-Einstrahlung dagegen passiert umgekehrt zwar nichts mechanisch sichtbares, aber molekular dafür beim Kunststoff umso mehr, Stichwort UV-induzierte radikalische Polymerisation. Die durch das Licht übertragene Engergie wird von Polymeren absorbiert, wobei die Moleküle in angeregte reaktive Zustände geraten, die ganze Reaktionskaskaden auslösen können. Solche chemischen Reaktionsketten können an der Oberfläche angeregt werden, sich über die konjugierten Bindungssysteme der Makromoleküle aber weit nach innen fortpflanzen. Da die schwammartige Struktur von Kunststoffen oft nur aus vergleichsweise dünne Zellwänden oder Fasernetzwerken besteht, können selbst mit geringen Schädigungen in äußerlich dicken Kunststoffpartien durchaus kleine labyrinthartige Durchgänge entstehen und das Material schleichend gas und wasserdampfdurchlässiger machen. Bei Metall hingegen liegen die dichtestmöglichen Kugelpackungen der Kationen in der Gitterstruktur so eng und streng organisiert bei und übereinander, das hier selbst für Licht kaum ein Durchkommen ist: das Metall reflektiert.
Sie stellen sich vor, die UV-Strahlung müsste durch die Gummiarmierung dringen. Auch wenn Sie das je nach Gummi mehr oder weniger gut vermag, viel kritischer dürften die Objektiv und Okularöffnungen sein. Auch wenn Glas UV-Licht absorbiert, unmittelbar hinter den jeweiligen dünnen Außenlinsen dürfte bei schrägem Lichteinfall noch genügend UV von innen an die Tubuswände gelangen, die dank Innenschwärzung besonders gut Licht aborbieren sollen…
Es muß auch gar nicht unbedingt ein Dichtigkeitsproblem oder das innere Ausgasen und Niederschlagen einer Kunststoffrestfeuchte sein. Dazu noch eine leidvolle eigene Erfahrung vor ein paar Tagen. Bei meinem billigen aber optisch guten Chinaporro sind sogar die Okularfassungen und die damit verbundene Sehfeldblende aus Kunststoff. Da ich das Glas intensiv nutze, habe ich es neulich bei Sonnenschein zufällig schräg auf ein paar Büchern am Gartentisch kurz abgelegt. Als ich zurückkam, rauchte es aus einer der Prismenabdeckungen, und in die Okularschutzdeckel, ebenfalls Kunststoff, waren hübsche Langlöcher eingebrannt. Beim Herausnehmen der Okulare zeigte sich, dass die Sonne beim Wandern durch die Frontlinsen eingefallen war und an einer der hinteren Okularlinsenfassungen einen Teil der Kunststoffseitenwand weggeschmort hatte. Der Dampf hatte sich natürlich auf den Prismen niedergeschlagen und ich habe den Schleier bis heute nicht völlig beseitigen können. An eine ähnliche Reaktion, nur in viel geringerem Umfang, also an eine Art langsames Verdampfen von Kunststoff oder seinen Bestandteilen im Fernglas-Inneren unter intensiver zufälliger Bestrahlung könnte man vielleicht auch bei einem viel hochwertigeren Kunststoff denken. Dichtungen und Lagerfett nicht ausgeschlossen. Wie auch immer.
Zeiss hatte den Mut, es mit Kunststoffgehäusen zu versuchen. Dass mechanisch und dynamisch vermeintlich höher belastete Teile immer noch aus Metall gefertigt werden - Achsen, Fokussiermechanik etc.- zeigt das Bestreben, an kritischen Stellen nicht um jeden Preis sofort auf bewährte Materialien zu verzichten. Man ging sicher wie Sie davon aus, den mechanisch so gering belasteten Part Gehäuse leicht und komplikationslos durch Kunststoff ersetzen zu können, die günstigere Fertigung war auch verlockend. Da man bei einem Fernglasgehäuse kaum so aufwendige Dauerbelastungstests machen wird, wird man den angegebenen Spezifikationen eines Zulieferers vertraut haben, und den eigentlichen Dauerbelastungstest denjenigen Kunden überlassen haben, die die Gläser extrem nutzen. No risk, no fun. Daran ist nichts unredlich, ein gewisses Restrisiko muß man bei jeder Neueinführung eingehen. Es werden beständig viel mehr neue Materialien auf den Markt geworfen, als auch nur ansatzweise zuvor auf ihren Anwendungszweck hin umfassend ausgetestet werden können. Wenn es also tatsächlich wie vermutet unter extremen Nutzungsbedingungen etwas häufiger zu Beschlagproblemen kommen sollte, wodurch auch immer, dann hätte man keinen Grund von Zeiss "schwer enttäuscht" zu sein. Solche Dinge kann man unmöglich im voraus quantitativ abschätzen. Wenn solche Probleme auftreten, kann man außerdem immer noch versuchen, sie hinterher technisch in den Griff zu bekommen, sie sind ja nicht lebensgefährlich. Im Übrigen ist Langlebigkeit bei vielen technischen Produkten gar nicht so gefragt, die meisten wünschen sich alle paar Jahre neue Spielzeuge. Und auch der Enkel, der irgendwann Opas Glas bekommt, und Gefallen am Beobachten findet, wird sich früher oder später sicher lieber ein akuelles Modell, mit den dann verfügbaren besten Hi-Tec-Materialien zulegen… Panta rhei! (Für Herrn van den Berg)
4-mal bearbeitet. Zuletzt am 13.06.09 03:21.