Es ist nicht so, daß ich Sie mißverstanden hätte; vielmehr haben Sie mich mißverstanden:
1. Sie hatten geschrieben, daß Sie Herrn Merlitz' Erklärung „verstanden“ hätten. Ich sage aber, daß niemand sie wirklich „verstehen“ kann, auch Sie nicht, weil sie einfach nicht stimmt. Und als Beweis dafür, daß sie nicht stimmt, habe ich die drei Kritikpunkte ausgeführt.
Diese drei Kritikpunkte beweisen
völlig unabhängig davon, wie meine Erklärung des sog. „Globuseffekts“ lautet, daß die Vorstellungen von Herrn Merlitz falsch sind. Deshalb ist es an dieser Stelle auch keinesfalls nötig, daß ich meine Darstellung quasi als Gegenargument benutze, wie Sie es gern hätten.
Natürlich weiß ich sehr wohl, daß meine drei Kritikpunkte kein Beweis für die Richtigkeit meiner Erklärung sind, aber darum ging es mir an dieser Stelle doch gar nicht! Es ging mir nur darum, daß die mit viel wissenschaftlich anmutendem Drumherum, aber eben auch mit fatalen logischen Stolperern zusammengebastelte „Erklärung“ von Herrn Merlitz falsch ist.
2. Ich würde ja gern auf Literatur zu diesem Thema verweisen, aber ich kenne leider keine, die richtig wäre. In allen meinen Fachbüchern, die sich irgendwie mit Optik, mit Physiologie oder mit Wahrnehmungspsychologie befassen, kommt der „Globuseffekt“ nicht vor. Deshalb habe ich – wie das so meine Art ist – einfach selbst intensiv darüber nachgedacht und so meine eigene Erklärung des „Globuseffekt“ gefunden und dabei auch festgestellt, daß es gar kein „Globuseffekt“, sondern eine „Zylindereffekt“ ist. Ich will damit nicht behaupten, daß ich der erste Mensch wäre, der diese Erklärung gefunden hat, aber mir ist bislang niemand sonst bekannt, der eine meiner Erklärung gleiche Erklärung gefunden und veröffentlicht hat.
3. Wie meine Erklärung lautet, habe ich in kurzen Worten hier schon mehrfach gesagt oder angedeutet, und ich will es jetzt für eine horizontale Schwenkrichtung noch etwas ausführlicher darstellen: Bei solchem Schwenken ist die Geschwindigkeit der Bildpunkte nicht in der gesamten Bildfläche einheitlich, sondern nur längs senkrechten Linien. Je weiter links und rechts vom senkrechten Durchmesser sich ein Bildpunkt beim Schwenken verschiebt, desto schneller verschiebt er sich. Die Geschwindigkeitszunahme zur linken wie (exakt lateralsymmetrisch) zur rechten Seite hin ist nahe der Mitte verschwindend klein, wird aber zum Rand hin immer stärker. Der als Kurve gezeichnete Geschwindigkeitsverlauf (Geschwindigkeit auf der y-Achse und seitlicher Abstand vom senkrechten Durchmesser auf der x-Achse) hat etwa die Form einer sich nach oben öffnenden flachen Parabel oder der Senke einer Sinuskurve im Bereich um das negative Amplitudenmaximum.
Eine solche Geschwindigkeitszunahme läge auch bei einem Fernglas mit der Vergrößerung 1 vor, somit also auch ohne Fernglas, wenn man das Bild in einer zur Blickrichtung rechtwinkligen Ebene innerhalb eines Kreises betrachtet, der der Begrenzung durch den scheinbaren Sehwinkel des Fernglases entspricht. (Man kann sich z.B. denken, das Motiv durch eine ebene Fensterscheibe hindurch zu betrachten und auf der Fensterscheibe die Konturen des Motivs für den Betrachter deckungsgleich mit den realen Konturen nachzuzeichnen.) Es ist sinnvoll, sich bei diesen Überlegungen eine solche Bildebene zu denken, weil wir beim Blick durchs Fernglas die Bildebene betrachten, für die alle folgenden Überlegungen gelten sollen.
Zurück zur obengenannten Geschwindigkeitszunahme bei Vergrößerung um den Faktor 1. Diese findet unser Gehirn, das sich von unserem Babyalter an bei jedem Drehen des Kopfes daran gewöhnt hat, völlig normal, so daß damit keinerlei unnatürliche Objektverformung verbunden wird.
Bei der Fernglasbeobachtung mit einer Vergrößerung deutlich über 1, also z.B. 8fach, ändert sich aber der Geschwindigkeitsverlauf von der Mitte zum linken und rechten Rad und stimmt dann nicht mehr mit dem Verlauf überein, den unser Gehirn als Erfahrung gespeichert hat und deshalb als richtig empfindet. Diese Verfälschung hat ihre Ursache darin, daß wir den Gegenstand auch beim Blick durchs (nicht verzeichnende) Fernglas perspektivisch exakt so sehen, wie von unserem wirklichen Standort aus, aber aufgrund der Vergrößerung von Breite und Höhe den Eindruck haben, als stünden wir nicht im tatsächlichen, sondern in dem durch die Vergrößerung dividierten Abstand vor dem Motiv. Betrachten wir z.B. einen Waldrand oder eine Häuserzeile aus 400 m Abstand mit einem 8fach vergrößernden Fernglas, entspricht der Geschwindigkeitsverlauf vom linken Rand über die Mitte zum rechten Rand dem aus der tatsächlichen Entfernung innerhalb des tatsächlichen Sehwinkels zu beobachtenden. Unser Gehirn erwartet jedoch aufgrund des 8fach vergrößerten Bildes, das eine auf 400 m : 8 = 50 m verkürzte Betrachtungsentfernung suggeriert, einen solchen Geschwindigkeitsverlauf, wie er aus dieser viel kürzeren Entfernung innerhalb des scheinbaren Sehwinkels auftritt. Ohne jetzt auf weitere Einzelheiten einzugehen, die eine geometrische Darstellung zum Verständnis und zur Ableitung der Formeln erforderte, beschränke ich mich auf das Ergebnis: Der Betrachter sieht beim Schwenken am linken und rechten Rand eine langsamere Bildpunktverschiebung als er erwartet.
Diese Abweichung des Gesehenen vom Erwarteten versucht das Gehirn (wie auch sonst im Falle scheinbarer Widersprüche) durch eine passende Annahme der Randbedingungen zu erklären, die den Widerspruch auflöst. Das ist das Wirkprinzip fast aller optischen Täuschungen. In diesem Falle genügt die einfache Annahme, daß sich das Bild nicht wie im statischen Zustand in einer Ebene, sondern beim Schwenken auf einer zylindrischen Fläche befinde, die vor dem Betrachter passend zur Schwenkgeschwindigkeit „abrollt“. Wenn Sie sich vor eine rotierende Litfaßsäule stellen, sehen Sie, wie die Details in der Mitte der Litfaßsäule einheitlich von oben bis unten vor Ihren Augen am schnellsten vorbeiwandern und die Details links und rechts davon mit zunehmender Entfernung von der Mitte (aber auch wieder einheitlich für alle senkrecht übereinander liegenden Punkte von ganz oben bis ganz unten) langsamer verschieben.
Weil das Bild im Fernglas beim Schwenken genau dasselbe macht (und nicht, wie Holger Merlitz behauptet, die Geschwindigkeiten radialsymmetrisch verlaufen), paßt diese Erklärung zur Auflösung des Widerspruchs zwischen dem Gesehenen und Erwarteten perfekt, und so resultiert ganz automatisch im Kopf des Betrachters die Vorstellung eines abrollenden Bildes. Das kreisrunde Bild läßt dann in einer Art Kurzschlußreaktion mangels ausreichend genauer Beobachtung die Idee vom rotierenden Globus aufkommen. Der ist auch rund und zeigt in der Mitte die schnellste und zu beiden Seiten hin eine sich immer stärker verlangsamende Bewegung. Erst eine genauere Beobachtung, für die dem Menschen aber ein ausreichend genauer Sinn oder Maßstab fehlt (was er aber durch geometrische Kenntnisse und Nachdenken erschließen kann, wie ich es tat), hätte ihm offenbart, daß sich die Verschiebegeschwindigkeit beim Globus mit wachsender geografischer Breite schneller (stärker) verlangsamt, während sich im Fernglasbild bei horizontaler Verschiebung alle senkrecht genau übereinander liegenden Punkte mit einheitlicher Verschiebegeschwindigkeit bewegen – also nicht wie auf dem Globus, sondern wie auf der rotierenden Litfaßsäule.
Die Einführung einer kissenförmigen Verzeichnung beim Fernglasbild hat nun nicht nur die eigentlich unerwünschten durchgebogene Geraden im Randbereich zur Folge, sondern führt dort beim Schwenken des Fernglases auch zu einer schnelleren Bildpunktverschiebung (die Beschleunigung ist proportional zum jeweiligen lokalen Verzeichnungswert). Nimmt die Verzeichnung annähernd so von er Mitte zum Bildkreisrand zu wie die Differenz zwischen der gesehenen und der erwarteten Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeit beim nicht verzeichnenden Fernglas, dann erhöht sich die gesehene Verschiebegeschwindigkeit auf die erwartete und der Zylindereffekt verschwindet, weil nun Gesehenes und Erwartetes übereinstimmen.
Weil es sich, wie hiermit bewiesen, um einen Zylindereffekt handelt, wäre die beste Möglichkeit seiner Kompensation eine Art „anamorphotische“ kissenförmige Verzeichnung nur in der Horizontalen, die mit zusätzlichen Zylinderlinsen im Fernglas oder vor dem Objektiv bewerkstelligt werden könnte. Diese hätte ferner den Vorteil, daß der Globuseffekt ober- und unterhalb der Bildmitte noch präziser korrigiert würde und vor allem senkrechte und waagerechte Linien schnurgerade blieben. Lediglich schräg verlaufende Linien würden geringfügig (mit dem „Bauch“ zur Bildmitte) verbogen. Das würde aber selbst bei Architekturmotiven kaum auffallen, denn da dominieren Senkrechte und Waagerechte.
In dieser Weise würde zwar bei senkrechtem Schwenken die Kompensation des Globuseffekt unterbleiben, aber da senkrechtes Schwenken im Vergleich zu waagerechten extrem selten ist, wäre das akzeptabel. Wer unbedingt bei jeder Schwenkrichtung optimal kompensieren möchte, könnte eine „anamorphotische Kompensationsoptik“ drehbar vor den Objektiven anbringen und evtl. eine Synchronisation beider Drehelemente vornehmen.
Vielleicht greift mal ein Fernglashersteller meinen Vorschlag zu einer solchen Zylindereffekt-Korrektur auf. Er könnte dann wie Swarovski mit schnurgeraden Senkrechten und Waagerechten und gleichzeitig wie Leica und Zeiss mit Kompensation des Zylindereffekts werben. Dabei würde es mich nicht stören, wenn in dieser Werbung wieder fälschlich vom „Globuseffekt“ die Rede wäre, damit auch die unverbesserlichen „Globus”-Gläubigen diese Ferngläser kaufen. Wer immer diesen Vorschlag realisiert, der sollte dann aber an den Urheber dieses Vorschlags denken, mich nach meiner Bankverbindung fragen und fairerweise ein angemessenes Honorar dafür bezahlen.
Herr Norbert Weigand, da ich nun weiß, daß auch Sie diese Diskussion verfolgen: Hätten Sie nicht Lust, Zeiss für meinen Vorschlag zu gewinnen?
Sicherheitshalber weise ich darauf hin, daß diese obige Erklärung des meisten fälschlich als „Globuseffekt“ bezeichneten „Zylindereffekts“ sowie der Vorschlag seiner Kompensation durch kissenförmige Verzeichnung nur in horizontaler Richtung allein auf meinem Mist gewachsen ist und ich dafür das Urheberrecht beanspruche. Wer diese Erklärung so oder in abgewandelter Form oder in Auszügen anderweitig verbreitet, egal z.B. ob schriftlich durch Text und/oder Zeichnungen oder auf elektronischen Wege wie z.B. im Internet oder als PDF-Datei, verstößt gegen mein Copyright und macht sich strafbar und schadenersatzpflichtig.
So, wer es jetzt immer noch nicht kapiert hat, daß das pseudiwissenschaftliche „Paper“ von Holger Mertlitz nicht ins Intenet, sondern in den Papierkorb gehört und meine Erklärung die einzig richtige ist, dem kann ich nicht mehr helfen. Mehr werde ich nur noch in meinem Fernglasbuch zum Zylindereffekt schreiben, zeichnen und rechnen und unter dem Stichwort „Globuseffekt“ sinngemäß nur schreiben „irrtümliche, aber seit langem gebräuchliche Bezeichnung für den Zylindereffekt (siehe dort)“.
Danke fürs Lesen und Verinnerlichen meines sehr langen Beitrags.
Walter E. Schön
PS.: Da sich an der bisherigen, sich schon über mehrere Jahre (bereits früher im Fernglasforum von A.de) hinziehenden und sehr kontroversen Diskussion des sog. „Globuseffekte“ kaum jemand wirklich beteiligte, also eigene Ansichten und ergänzende Erklärungen oder zumindest Überlegungen einbrachte, wäre ich sehr daran interessiert, zumindest von den Naturwissenschaftlern oder naturwissenschaftlich interessierten oder „angehauchten“ Forumsteilnehmern eine Stellungnahme zu lesen. Konnten Sie meiner Argumentation in allen Punkten folgen und sie akzeptieren? Sind Ihnen wichtig erscheinende Punkte nicht oder unzureichend erklärt worden (mal abgesehen davon, daß ich hier ganz bewußt auf Zeichnungen und Formeln verzichtete). Ist Ihnen der große Unterschied zwischen den Darstellungen von Holger Merliz und mir klargeworden? Stimmen Sie mir jetzt zu, daß die Darstellung von Holger Merlitz falsch und meine richtig ist, oder sehen Sie es umgekehrt? Rückkopplung jeder Art ist mir willkommen, damit ich in meinem Fernglasbuch evtl. noch offen gebliebene Fragen beantworten, letzte Zweifel beseitigen und sonstige Verbesserungen vornehmen kann.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 10.12.09 16:32.