Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, die vielleicht noch andere Forumsteilnehmer ermutigen wird, auch ihre Meinung zu meiner Erklärung des sog. „Globuseffekts“ mitzuteilen. Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn Ihnen die folgenden Antworten noch nicht reichen oder neue Fragen aufwerfen.
1. Zitat:
„Warum die Geschwindigkeitsunterschiede entstehen? Ist es Wahrnehmung oder gibt es geometrisch bedingt Gründe? Von beidem etwas?“
Zitatende.
Die Geschwindigkeitsunterschiede sind rein geometrisch bedingt und lassen sich ohne weiteres exakt berechnen, wenn man mit Winkelfunktionen umgehen kann. Diese Berechnung ergibt für Bildpunkte beiderseits der Bildmitte längs der Schwenkrichtung, bei horizontalem Schwenk also links und rechts der Mitte, eine mit zunehmendem Winkel beta abseits der Achse (umgekehrt proportional zu cos² beta) wachsende Verschiebegeschwindigkeit. Mit wachsender Fernglasvergrößerung n bei gleichzeitig auf das n-fache wachsendem Betrachtungsabstand, damit man nach wie vor dasselbe Sehfeld überblickt, wird diese Verschiebegeschwindigkeits-Zunahme aber kleiner, weil für die Verschiebegeschwindigkeit jetzt nicht der scheinbare Sehwinkel beta, unter dem der randnahe Bildpunkt gesehen wird, sondern der annähernd umgekehrt proportional zur Vergrößerung kleinere tatsächliche Sehwinkel gamma = arc tan [(tan beta) : n] verantwortlich ist.
Man sieht also mit dem n-fach vergrößernden Fernglas aus n-facher Entfernung denselben Gegenstand im Sehfeld wie aus der ursprünglichen Entfernung, aber beim Schwenken eine deutlich langsamere Verschiebung der randnahen Bildpunkte. Da der Beobachter beim Blick durch sein n-fach vergrößerndes Fernglas aus n-facher Entfernung den Eindruck hat, als sähe er das Motiv ohne Fernglas aus der ursprünglichen Entfernung*, erwartet er jedoch bei den randnahen Bildpunkten diese zuvor angegebene höhere Verschiebegeschwindigkeit.
* Diese Markierung benötige ich zur Antwort auf das 4. Zitat.
Eine solche Verminderung der Verschiebegeschwindigkeit im Randbereich tritt auch bei einem rotierenden vertikalen Zylinder auf, z.B. bei einer rotierenden Litfaßsäule. Somit kann sich das Gehirn unter Annahme einer derart „abrollenden“ Bildfläche das Zustandekommen der verlangsamten Verschiebegeschwindigkeit am linken und rechten Rand plausibel machen, und da das Bild im Fernglas nicht rechteckig ist (wie der vertikal stehende Zylinder aus größerer seitlicher Entfernung aussieht), sondern rund, liegt ihm der Vergleich mit einer rotierenden Kugel nahe – obwohl sich genau betrachtet bei der Kugel vertikal übereinander liegende Punkte anders als im Fernglasbild beim Schwenken
nicht gleich schnell verschieben. Deshalb ist der Globus ein unzulängliches Modell und nur der Zylinder korrekt.
2. Zitat:
„Ist es bei Ihrem Modell dann so, dass die Rotationsachse dieses gedachten Zylinders immer senkrecht zur Bewegungsrichtung (, die Bewegung des Bildes, die durch das Schwenken hervorgerufen wird), steht?“
Zitatende.
Ja, wie sich aus dem zuvor Gesagten bereits ergibt.
3. Zitat:
„Warum gibt es den Zylindereffekt bei der Vergrößerung 1x Papierrollenfernglas, wenn angenommene und erwartete Bildinformation identisch sind?“
Zitatende.
Da haben Sie sich geirrt. In diesem Falle mit Vergrößerung 1x tritt kein Zylindereffekt auf, weil ja die zum linken und rechten Rand hin zunehmenden Verschiebegeschwindigkeiten genau so sind, wie sie der Erfahrung entsprechen. Erst bei Vergrößerungen über 1x beginnt allmählich die Verschiebegeschwindigkeit im linken und rechten Randbereich relativ zur erwarteten (= der bei Vergrößerung 1x) langsamer zu werden, und erst, wenn ein gewisses Maß (Ansprechschwelle) überschritten wird, kann der Zylindereffekt wahrgenommen werden.
4. Zitat:
„Das Beispiel ... war einleuchtend, aber warum gibt es den Zylindereffekt auch beim Blick in den Sternenhimmel? Ob ich nun 1x oder 10 fach vergrößert in den Sternenhimmel schaue, die Perspektive bleibt gleich, es dürfte zu keinem Unterschiedausgleich (Kompensation) durch das Hirn kommen?“
Zitatende:
Es ist richtig, daß sich bei (so gut wie) unendlicher Entfernung die Perspektive nicht ändert (bzw. nur so gering, daß die Unterschiede unterhalb des Auflösungsvermögens des Auges bleiben), d.h. die Lage der Punkte innerhalb des Sehfeldes relativ zueinander gleich bleibt bzw. die Abstandsverhältnisse gleich bleiben. Aber das gilt doch auch für den Waldrand oder die Häuserfront, und darauf kommt es gar nicht an: Vielmehr ist auch in diesem Falle die sich wegen der Vergrößerung des tatsächlichen Sehwinkels auf den scheinbaren Sehwinkel ändernde „Schräge“ der Blickrichtung zu außermittigen Stern-Bildpunkten dafür verantwortlich, daß sich beim Schwenken außerhalb der Sehfeldmitte zum linken und rechte Rand hin (bezogen auf horizontale Schwenkrichtung) eine geringere Verschiebegeschwindigkeits-Zunahme ergibt als bei unvergrößerter Himmelsbetrachtung. Ich habe doch immer betont, daß man die Sache nicht statisch betrachten darf – einer meiner Vorwürfe gegen die falsche Darstellung von Holger Merlitz –, sondern man die Bewegung analysieren muß!
Sie werden, wenn Sie jetzt meine obige Antwort auf das 1. Zitat aus Ihrem Beitrag nochmals lesen, leicht feststellen, daß alles dort im ersten Absatz Gesagte auch für unendliche Entfernung gilt. Die im zweiten Absatz erwähnte, mit dem Zeichen * markierte Vorstellung, den Gegenstand aus der um 1/n verkürzten Entfernung zu betrachten, kann Ihnen für den endlichen Entfernungsbereich die konkrete Vorstellung erleichtern. Aber entscheidend ist letztlich, ob bei einem um den Winkel beta links oder rechts der Sehfeldmitte liegenden Bildpunkt dieselbe Winkelgeschwindigkeit wie in der Bildmitte wahrgenmmen wird oder nicht. Und diese ist nur dann nahe dem Rand dieselbe wie in der Mitte, wenn in der Projektion auf das ebene Sehfeld die Verschiebegeschwindigkeiten von der Mitte zum Rand genauso schnell (und nicht verlangsamt!) zunehmen wie bei unvergrößerter Beobachtung.
5. Zitat:
„Müßte ein nach Ihrem Vorschlag anamorphotisch kompensiertes Fernglas bei einem Diagonalschwenk, wie er z.B. beim Betrachten von auffliegenden Vögeln notwendig ist, stets so gehalten werden, dass die Verbindunslinie der Tuben parallel zur Bewegungsrichtung liegt?“
Zitatende.
Ja, das ist richtig. Die anamorphotischen Vorsätze müßten zur perfekten Kompensation immer so gedreht werden, daß die Querachsen der Zylinderlinsen (d.h. die Achsen der zylindrisch gewölbten Linsenflächen) rechtwinklig zur Schwenkrichtung verlaufen.
Aber in der Praxis wäre das kaum oder gar nicht nötig:
1. Fliegende Vögel ziehen meistens annähernd horizontal oder nur in mäßig schräger Richtung vor dem Beobachter vorbei, und so würden fest auf horizontalen Schwenk justierte anamorphotische Vorsätze den größten Teil des Zylindereffekts, nämlich die sehr viel größere horizontale Komponente beseitigen und nur eine meistens vernachlässigbare kleine vertikale Komponente übrig bleiben.
2. Wenn die fliegenden Vögel vor mehr oder weniger unstrukturiertem Himmel beobachtet werden, gibt es sowieso keinen störenden Zylindereffekt, weil eine mehr oder weniger homogene blaue oder wolkenweiße Fläche keinerlei Anhaltspunkte für größere der kleinere Verschiebegeschwindigkeiten liefert. Die Vögel selbst machen ja den Schwenk mit und bleiben beim Mitschwenken annähernd an derselben Stelle des Sehfeldes, so daß auch an Ihnen kein Zylindereffekt auftreten kann; abgesehen davon füllen nur einen kleinen Bruchteil des Sehfeldes aus, der viel zu klein für einen feststellbaren Zylindereffekt wäre.
Walter E.Schön