Auch auf die Gefahr hin, die Leserschaft mit dem Thema zu langweilen, möchte ich noch ein paar Gedanken loswerden, die zu notieren bisher zu wenig Zeit und nach dem Verlauf der Debatte zunächst auch keine Lust mehr vorhanden war. Wen die Geschichte langsam anödet, was ich verstehen kann, der möge jetzt gleich wieder wegspringen.
Ziel meiner Überlegungen ist es, erstens eine andere, wie ich denke durchaus mögliche Lösung von Herrn Schöns Aufgabe zu präsentieren und zweitens, die meiner Meinung nach inkonsistente Haltung Herrn Schöns in der Diskussion aufzuzeigen. Die interessierten Leser mögen entscheiden, wer hier, wenn auch unter gelegentlichen Irrtümern und Fehlern und nicht ohne menschliche Schwächen, einen einheitlichen Standpunkt sucht und vertreten möchte, und wer durch behendes (oder behändes?) Hin- und Herwechseln von Standpunkten die Perspektive geschickt so abändert, dass er aus seiner Sicht immer richtig liegen muss und daher unfehlbar bleibt. Das Ganze ist zwar eine unangenehme Übung, aber eine konstruktive Diskussion sollte, wie ich finde, weder durch Erschöpfung oder Kränkung der Teilnehmer beendet werden, noch durch den beim Publikum erweckten Eindruck, wer das letzte Wort behalten könne, liege richtig.
Herr Streib und ich hatten die reale Möglichkeit einer windschiefen Tubusachse geschildert, die die Phänomene im diskutierten konkreten Fall erklären könnte, und dem hat, wenn ich es nicht schon wieder ganz falsch verstanden haben, sogar Herr Schön zugestimmt! (Wenngleich das beim Umfang der Diskussion vielleicht untergegangen sein könnte.) Wenn also diese reale Möglichkeit besteht, fragt es sich, wieso Herr Schön, hätte er sie schon anfangs erkannt, darauf nicht schon viel früher in der Diskussion hingewiesen hat und statt dessen nicht nur mir erklärte „Ihre windschiefe Knickbrückenachse kann nicht die Ursache sein“ sondern auch Herrn Nickel Vorwürfe machte und das Fernglas von solchen freisprach.
Herr Schön hat diesen realen Lösungsvorschlag für die Symptome im Fall Nickel also nicht ausgeschlossen, ihn aber als Lösung für seine Aufgabe abgelehnt, in der er höhere Anforderungen gestellt hatte, auch wenn diese für unseren Fall gar nicht notwendig wären. Mit dem Wort „Ihre“ in seiner damaligen Entgegnung hat er, wie er im nachhinein spezifizierte, eine besondere Art von windschiefer Knickbrückenachse gemeint, nämlich den Fall, dass zu dieser horizontal windschiefen Knickbrücke NICHT noch ein Tubus parallel steht. (Was dasselbe ist, wie zu sagen, nur EINE Tubusachse stünde windschief, also dem oben genannten ersten Fall entspricht). Vielmehr versteht er darunter, dass die Knickachse horizontal schief stehen soll zu BEIDEN, noch parallelen Tuben, so wie ich es zwar nicht nur, aber eben auch in meiner Antwort an Herrn van den Berg geschildert hatte. Diesen zweiten Fall, der die Symptomatik ebenfalls erklären könnte und den er als vom ersten realistischen Fall grundverschieden betrachtet, hielt er für so unrealistisch, dass er für ein realistisches Szenario, wie es doch dazu kommen könnte, einen Preis ausgesetzt hatte.
Dazu hier ein neuer Vorschlag:
Wir nehmen das von Herrn Streib und mir vorgeschlagene Glas mit nur EINER windschief verkippten Tubusachse, wie sie auch Herr Schön nicht für unmöglich hält, und verkippen in einem zweiten Schlag, Stoß oder was auch immer, die andere Tubusachse ebenfalls und zwar gleichsinnig so, dass diese nun wieder zur ersten schiefen Tubusachse parallel steht. Der erste Schlag hätte z.B. den Okulartubus horizontal außen getroffen und diesen Tubus objektivseitig divergent verkippt, der zweite Schlag hätte den anderen Tubus horizontal in entgegengesetzter Richtung objektivseitig getroffen und diesen Tubus dadurch wieder hinreichend parallel zum ersten verkippt. Resultat wäre die von Herrn Schön geforderte horizontal schief stehende Knickbrücke zu beiden nun wieder parallel stehenden Tubusachsen.
Ein solcherart verschobenes Glas würde bei Verringerung des Augenweitenabstands stets in der Vertikalen parallele Tubusachsen ermöglichen, die dabei allerdings zunehmend in vertikaler Richtung gegensinnig auseinanderdivergieren würden. (Hielte man das Glas als Beobachter etwa 20cm entfernt in normaler Beobachtungsstellung vor Augen, und könnte man die vertikale Bewegung der Tuben quasi vergrößert sehen, würde man beim Verringern des Augenweitenabstands erleben, wie z.B. das linke Objektiv in vertikaler Richtung nach oben geschwenkt würde, während das rechte Objektiv vertikal nach unten sänke, oder eben umgekehrt, je nach horizontaler Verkipprichtung der Knickbrücke). Diese Art der Verschiebung würde also die Symptomatik – bei Verringerung des Augenabstands zunehmende vertikale Disparation ebenfalls erklären. Der Grad der möglichen vertikalen Tubusdivergenz wäre dabei sogar doppelt so hoch, wie im von Herrn Streib und mir zuerst genannten Fall, in dem ja nur EIN Tubus aus der Horizontalen in die Vertikale geschwenkt würde, denn der andere behielte seine Stellung, da parallel zur Knickachse.
Und einige denkbare Antworten
Nun könnten wir uns vergegenwärtigen, was Herr Schön zu einem solchen möglichen zweiten Szenario sagen könnte, nachdem er das erste als zwar hinreichende Erklärung für den Fall Nickel akzeptiert, aber als nicht den schärferen Bedingungen seiner Aufgabe genügend abgelehnt hat. (Weshalb er eine Aufgabe mit schärferen Bedingungen noch für sinnvoll zu betrachten hält, wenn doch schon unter leichteren Bedingungen eine Erklärungsmöglichkeit für den realen Fall gefunden ist, wird nicht ganz klar. Denn er betont an anderer Stelle, Ziel der betrachteten Beispiele und der Aufgabenstellung sei die Erklärung des realen Falls.)
Auf welche gedankliche „Parallel“-Ebenen könnte Herr Schön, oder besser allgemein gespochen, könnte MAN also wechseln, um die Relevanz des neuen zweiten Szenarios zu bestreiten? Ich möchte Herrn Schön hier ausdrücklich keinen der folgenden Standpunkte unterstellen, sondern nur aufzeigen, durch welch verschiedenartige Betrachtungsweise meiner- und seinerseits die ganze Angelegenheit vermutlich immer unfasslicher werden könnte. Man kann z.B. folgende Dinge ins Feld führen bzw. folgende Ebenen betreten:
I. Die reale Ebene
Physikalische Realität
Die gestellte Aufgabe verlangte einen realistischen physikalischen Vorgang, bei dem allein eine horizontale Verkippung der Knickachse erfolgen sollte. Das Glas mit zwei Schlägen zurechtzubiegen entspricht nicht dieser Vorgabe, man könnte sonst gleich erlauben, das Glas mit beliebig vielen Schlägen zurechtzudengeln. (ähnlich der von Herrn Champollion beschriebenen Rosskur).
Unwahrscheinlichkeit
Die Wahrscheinlichkeit, mit zwei Stößen, die in passender Richtung und Stärke erfolgen müssten, und das noch dazu an verschiedenen Stellen des Glases entgegengesetzt gerichtet (an einem Tubus objektivnah, am anderen okularnah), ist als so minimal zu erachten, dass sie praktisch ausgeschlossen werden kann. (Obwohl das zweifelhaft wäre, denn die Stöße müssen keineswegs exakt gleich stark und an eng umgrenzten Stellen stattfinden, allerdings wäre die Toleranzen dafür zu finden wohl aussichtslos).
Materialbeschaffenheit des Victory
Es ging bei der gestellten Aufgabe um ein realistisches Szenario, ein reales Victory könnte bei der erforderlichen Schlagstärke niemals ohne die kleinsten äußerlichen Spuren bleiben, hinzu kämen zu hohe Materialstärke, und evt. andere Konstruktionsaspekte.
Äußerliche Sichtbarkeit der Achsenverkippung
In einem wie oben verschobenen Glas würden Augenmuschelkanten und Tubusvorderkanten jeweils nicht mehr untereinander fluchten, sie wären minimal versetzt (ca. 0,5mm) und verletzten daher die zwar nicht explizit ausgesprochene, aber sich nach der Aufgabenstellung implizit ergebende Forderung nach Parallelität auch der Okular- bzw. Objektivlinsenebenen. Dies wäre sofort beim Hinstellen der Objektivtuben auf einen Tisch zu bemerken.
II. Die sinnesphysiologische Ebene
Zu geringer resultierender vertikaler Bildversatz
Ein Beobachter würde beim Blick durch ein solches Glas dieses nicht mehr exakt waagerecht halten, sondern durch leichtes seitliches Neigen der horizontalen Ebene des Glases einfach den vertikalen Bildversatz verringern. (auf Kosten eines resultierenden gewissen horizontalen Bildversatzes, der durch unwillkürliches Einwärtsschielen aber unmerklich ausgeglichen würde)
(Anmerkung: in unserem gewählten Rechenbeispiel mit einer Disparationsgrenze von 1,5° ist dieser Ausgleich durch seitliches Neigen der Horizontalebene immer so gut möglich, dass die vertikale Divergenz danach unter der Wahrnehmungsgrenze läge. Erst unter einer Disparationsgrenze von ca. 1,2° könnte der vertikale Versatz durch Augenweitenverminderung um mindestens 10mm beim Victory nicht mehr mit Neigen des Glases ausgeglichen werden, wenn ich das nicht ganz falsch überschlagen habe. Ich würde nicht ausschließen, dass die individuelle Disparationsgrenze noch unter den erforderlichen 1,2° liegen könnte)
III. Die mathematische Ebene
Parallelität und Windschiefe
Die Anwendung der Definitionen dieser Begriffe und die erlaubten Abweichungen beim vorliegenden konkreten Fall und bei der gestellten Aufgabe kann man verschieden interpretieren und dabei auch verschieden hohe Toleranzen ansetzen. Dieses Problem hatte ich in meiner Reaktion zur "idealen" Parallelität angesprochen, denn wie die Diskussion ergab, gelten für ein Fernglas unterschiedlich hohe Anforderungen in Sachen horizontaler und vertikaler Parallelität.
IV. Die kommunikative Ebene
Sprachliche Feinheiten
In der Aufgabenstellung war klar die Rede von „EINER“ realistischen Situation, das Ausführen von ZWEI Schlägen, war damit klar ausgeschlossen und ist als unsinnig zu bezeichnen.
V. Die Metaebene der Diskussion
Verstummen
Das Ganze ins Meer der Vergessenheit ablaufen lassen und damit dem Publikum demonstrieren, dass das Niveau der Debatte die eigenen geistigen Ansprüche nun endgültig unterschritten hat, wozu meine kleine Laudatio allen Anlass bot.
Neue komplexere Szenarien diskutieren
Wie im Fall der Prismenverkippung schon geschehen, könnte man die Leserschaft auf komplizierte „weitere Aspekte“ die in der Aufgabenstellung bisher verborgen lagen, hinweisen und sie damit von der Trivialität der bisherigen Lösungsversuche zu überzeugen beginnen, und ihre Aufmerksamkeit in eine neue ganz andere Richtung lenken, die noch komplexer und für das Publikum noch weniger zu überschauen wäre. Damit ließe sich zugleich eine unzweifelhaft überlegene Fachkompetenz demonstrieren.
VI. Die persönliche Ebene
Die Gegenseite der Unsachlichkeit, der Lügen und Unterstellungen bezichtigen, („Bitte keine Lügen und Unterstellungen verbreiten“) während man selbst darauf hinweist, wie klar und eindeutig die eigenen und die Formulierungen der anderen aufzufassen sind („Ihre windschiefe …“)und wie redlich man sich stets verhält und gar verhalten muß, um der Unlauterkeit der Gegenseite entschieden entgegenzutreten. („Ich lasse mir keine Unwahrheiten unterstellen“)
VII. Alle genannten und/oder noch weitere Ebenen
betreten, jede Ausweichmöglichkeit mal mehr mal weniger auf beliebige Weise nutzen und darauf setzen, dass sich das Publikum ermüdet abwendet, und über den Fall zu Recht amüsiert (siehe Kxx-Code für Knickbrückenachse, ich liebe Herrn Münzers Humor!!). Das Publikum könnte sich allein aufgrund des Eindrucks höherer Fachkompetenz (und die wird Herrn Schön niemand bestreiten, selbstverständlich auch ich nicht) für diese und ihren Träger entscheiden, wer mag schließlich nicht auf der Seite des Gewinners stehen.
Und so weiter, und so weiter.
Fazit
Die Debatte fortzuführen hieße vermutlich, eine dabei immer neue gleichsam fraktal sich entfaltende Struktur zu erzeugen, es bedeutete also ein endloses und für mich aussichtsloses Unterfangen, ich könnte niemals mithalten, auch fehlten mir Zeit und Motivation. Weil ich aber einiges lernen konnte, möchte ich meinerseits sie hier nicht beenden, ohne allen Beteiligten meinen Respekt zu bezeugen:
Herrn Jülich,
der sich im konkreten Fall nach meinem Dafürhalten völlig korrekt und untadelig verhalten hat
Herrn Nickel
der immerhin mit seiner Schilderung eines Problems die Debatte erst ermöglichte, wenngleich er danach nichts Konstruktives mehr beitrug
Herrn Streib,
dessen konstruktive sachliche Einstellung und dessen Nachgiebigkeit trotz Zuvorkommens ich ihm hoch anrechne
Herrn Weigand,
der zu rechten Zeit zur Sachlichkeit ermahnte, dessen Kompetenz ich achte, und der mir die an anderen Stellen begangenen unverschämten Frechheiten nachsehen mag
Herrn Schön,
dessen fachliche Kompetenz und Bereitschaft, viel Zeit in eine Diskussion zu stecken ich schätze, dessen informative Beiträge ich auch in Zukunft nutzen werde, aber dessen Diskussionsverhalten ich manchmal nicht billigen kann – ebenso wie Herr Dr. Max P.- und dem eine kleine Laudatio zu widmen ich nicht widerstehen konnte.
Dem Zeiss Victory 8x32FL,
einem der ganz sicher weltbesten Ferngläser dieser Klasse, das ich auch mit windschiefer Knickbrücke noch liebend gerne besäße
Und, last but non least, dem kleinen Zeiss 3x12B mono,
das zwar nur virtuell auftauchen durfte, aber doch immerhin einen „schönen“ Ansporn bot.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 01.04.08 07:09.